Sebastian Fleischmann

DIE, DIE NICHT STERBEN


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Tochter nicht das Ausmaß der Verletzungen preisgeben wollte.

      >>Es ist vorbei, Vale. Jetzt wird uns nichts mehr passieren. Es ist alles wieder gut.<< Er selbst glaubte kein bisschen an die Aussage seiner Worte. Jetzt ließ das Mädchen ihren Gefühlen freien Lauf und weinte bitterlich. Ihr Gesicht war tief in den Pullover ihres Vaters vergraben.

      >>Ich hatte solche Angst!<<

      >>Ich weiß, mein Schatz. Ich weiß. Die hatte ich auch.<<

      Trotz gebrochener Rippe drückte er seine Tochter noch fester an sich. Auch Martins Augen füllten sich mit Tränen. Während er versuchte, sie durch das sanfte Streicheln ihres Rückens zu beruhigen, kletterte Thomas über den Fahrersitz und öffnete das Handschuhfach. In der Dunkelheit und mit geöffnetem Airbag benötigte er mehrere Handgriffe, bis es ihm schließlich gelang. Ohne den Inhalt zu sondieren griff Tom direkt zur Taschenlampe und kroch daraufhin wieder rückwärts nach draußen.

      Martin bemerkte, dass vereinzelte Tropfen Blut aus seiner Nase in Valentinas Haare sickerten. Er wandte seinen Kopf zur Seite und strich ihr mit der freien Hand über den Schopf. Sein Blick war nun zu Thomas gerichtet, welcher das Feuerzeug einsteckte und nun - mit der Taschenlampe im Anschlag - vor das zerstörte Fahrzeug trat. Sein Gesicht schien sich zu versteinern. Seine Muskeln verkrampften und erschwerten jede weitere Bewegung. Ein gewaltiger Schauer ließ ihm die feinen Nackenhärchen aufstellen. Der Schein der Lampe war nun direkt auf den Kadaver des Tieres gerichtet, welches mit dem Blech des Autos verschmolzen zu sein schien.

      >>Was zum Teufel...<< Es drang nur als leises Flüstern über seine Lippen. Auch Martin konnte über das eingedrückte Dach problemlos zur Motorhaube blicken. Riesiges Entsetzen breitete sich in seinem Körper aus. Er spürte, wie die aufkeimende Angst sein Blut erneut zum pulsieren brachte. Während Valentina noch immer schluchzte und versuchte sich wieder zu fangen, drückte Martin ihren Kopf etwas fester an sich. Ihr Blick war in die entgegengesetzte Richtung gewandt und das sollte auch so bleiben. Diesen Anblick würde er seiner Tochter ersparen.

      Der Körper des toten Tieres füllte die komplette Motorhaube aus, wobei drei seiner Extremitäten noch immer zwischen den beiden Fahrzeugen klemmten und zu einer roten, breiigen Masse zerquetscht waren.

      Das vierte Bein schien mehrfach gebrochen und stand in degoutantem Winkel zum Rest des Körpers. Den Fuß formte kein Huf, sondern eine riesige Pranke, ähnlich der eines Wolfes mit zentimeterlangen, ausgefahrenen Krallen. Aus dem Fußwurzelknochen - knapp unterhalb des Sprunggelenks - ragte eine gewaltige, sichelartige Klaue. Der massive Knochen maß über zwei Dezimeter und war auf der Innenseite mit kleinen Widerhaken versehen, vergleichbar mit den Zähnen eines weißen Hais.

      Ein Schwanz am Rückenfortsatz existierte nicht. Das pferdegroße Wesen ähnelte einem gewaltigen Dobermann. Jedoch besaß dieses Tier keinerlei Haut oder Fell, als sei es ihm abgezogen worden. Rote und weiße Muskelfasern lagen frei und ließen auf eine enorme Kraft des Monstrums schließen. Das Rückrad war fest mit den Sehnen verbunden und entblößte kleine, spitze Knochenplatten vom Hals bis zum Steiß.

      Der Schädel glich im weitesten Sinne ebenfalls dem eines Hundes. Ein langes, gefräßiges Maul, gespickt mit rasiermesserscharfen Zähnen und einer gespaltenen Zunge. Nasenlöcher besaß es keine, ebenso wie Augäpfel. Tom stierte in schwarze, kalte Höhlen, welche tief ins Schädelinnere führten. Das Gehirn schien frei zu liegen. Der Knochenansatz endete bereits nach wenigen Zentimetern und mündete in einer formlosen Masse, welche sich auf Motorhaube und Wagendach verteilte. Eine winzige Öffnung an der Seite des Kopfes schien Teil des Gehörgangs zu sein. Geschlechtsorgane existierten nicht. Dieses Tier war weder männlich, noch weiblich.

      Tom hatte so etwas noch nie gesehen. Keine Legende, kein Mythos, kein Ereignis aus seinem Leben hatten ihm jemals so viel Angst bereitet, wie er in diesem Moment verspürte.

      >>Was ist das, Martin?<<

      >>Ich weiß es nicht.<<

      >>Ich habe so was noch nie gesehen. So etwas gibt es doch gar nicht.<<

      >>Ich habe keine Ahnung, Thomas. Aber ich will auch nicht länger hier bleiben, um es herauszufinden.<<

      Beide redeten in einem leisen Ton, damit Valentina so wenig wie möglich mitbekam. Diese schien sich langsam etwas zu beruhigen. Ihr Weinen war leiser geworden. Ihr Griff schien sich allmählich zu lockern.

      >>Was verflucht noch mal soll das sein?!<< Diesmal ignorierte Martin die Frage seines Bruders. Er konnte schließlich auch nicht mehr dazu sagen. Tom starrte wie gebannt auf den teilweise zermatschten Körper.

      >>Wir müssen noch mal rein gehen<<, sagte Martin nach einem kurzen Moment des Überlegens. Jetzt wandte Tom sich wieder seinem Bruder zu.

      >>Was?! Warum?!<< Er wollte hier weg und keinesfalls noch einmal zurück in das Polizeigebäude, wo alles begonnen hatte.

      >>Wir müssen deine Wunde versorgen. Sieht nicht so aus, als würde sie aufhören zu bluten.<<

      Der Schock und die letzten, heftigen Minuten hatten ihn seine Verletzung komplett vergessen lassen. Tom blickte an sich herab und erkannte, dass sein Bruder recht hatte.

      >>Oder wollen wir das hier draußen neben dem da machen?!<< Martin nickte mit seinem Kopf in Richtung Motorhaube und wies anschließend gestisch auf Valentina.

      >>Nein, auf keinen Fall. Ich hole den Verbandskasten aus dem Kofferraum.<<

      Während Tom losmarschierte sah Martin zu seiner Tochter hinunter. Sie blickte ihn mit verheulten Augen an. Ihr Vater achtete immer darauf, dass sie das Ausmaß des Unfalls nicht sehen konnte, obwohl sie es vorhin miterlebt hatte.

      >>Schatz, wir gehen jetzt noch mal ins Haus und kümmern uns um deinen Onkel, okay?<<

      >>Ich will nicht dahin zurück. Ich will wieder nach Hause.<<

      >>Da gehen wir auch hin. Aber zuerst müssen wir Tom verbinden, damit sein Arm nicht mehr weh tut.<<

      >>Aber danach gehen wir gleich weg von hier!?<<

      >>Auf der Stelle. Das verspreche ich dir.<<

      Martin lächelte sie zuversichtlich an und es gelang ihm tatsächlich, ihr Vertrauen zu schenken. Inzwischen kam Tom zurück. In der einen Hand noch immer die Taschenlampe, in der anderen den Verbandskasten. Die Pistole hatte er sich am Rücken in den Gürtel gesteckt. Obwohl sie vorhin nicht funktionierte, verlieh sie ihm dennoch ein beruhigendes Gefühl..

      >>Okay, ich hab ihn. Gehen wir rein.<<

      Martin setzte sich mit Valentina in Bewegung. Er hielt sie stets zu seiner Linken, damit sein eigener Körper den Blick zur Unfallstelle verbarg. Langsam und humpelnd schritten sie Stück für Stück voran.

      >>Geht es einigermaßen? Ich kann dich auch stützen?!<<

      >>Danke, Tom, aber das schaffe ich schon.<<

      Thomas hielt die Taschenlampe immer auf den Eingang des Gebäudes gerichtet und ließ das Geschehene somit in der Dunkelheit verschwinden.

      Die Flügeltür fiel zurück ins Schloss, als Martin sich langsam auf einen Stuhl in der Nähe des Wasserspenders sinken ließ. Valentina setzte sich ebenfalls an den Tisch. Thomas legte die Taschenlampe neben dem Kaffeeautomaten aufs Regal; das Licht auf seine Begleiter ausgerichtet. Dann setzte er sich dazu und öffnete den Verbandskasten.

      >>Warum hast du eigentlich nicht geschossen?<< fragte Martin.

      >>Sie hat nicht funktioniert. Ich habe es versucht.<< Er knöpfte sein Hemd auf und zog langsam den linken Arm heraus. Der Stoff war klebrig vom geronnenen Blut. Es fühlte sich an, als würde jemand ein Tesaband von seiner Haut abziehen. Dann lag die Wunde frei. Es gab zwei kleine Löcher in seiner Haut, aus der noch immer Blut sickerte. Es handelte sich um einen direkten Durchschuss. Da Tom seinen Arm allerdings noch bewegen konnte, durfte es kein Knochentreffer sein. Der Anblick seiner Verletzung ließ