Friedrich Kämpfer

Die Nacht der tanzenden Teufel


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war eine Schönheit, etwas Besonderes.

      Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, eine weiche Stimme, war lebhaft, und hatte Humor. Mit ihr konnte man lachen.

      Ich hatte sie in einem Studentenwohnheim kennen gelernt, wo ich ein paar Bekannte hatte. Sie hatte ein schönes Zimmer in der obersten Etage eines Hochhauses. Man konnte weit über die Landschaft schauen, sah in der Ferne den Kaiserstuhl. Nach der anderen Seite hatte man einen guten Blick auf den nahe gelegenen Schwarzwald.

      Hier konnte man plaudern, aber ich wollte mehr.

      Ich ließ mich öfter einladen, warb um sie. Wir unterhielten uns, tranken Tee. Etwas war in ihr, das mich erregte. Ich wollte sie von mir überzeugen. Ich wollte ihre Seele, ich wollte ihren Geist. Ich wollte sie ganz. Noch nie hatte ich mich auf eine Frau so eingelassen, wie auf sie.

      Wir diskutierten über Politik, über Baudelaire und Edgar Allan Poe, über das Böse in der Welt, die Romantik, den Symbolismus und die Schönheit des Daseins. Wir sprachen über Literaturtheorie. Und abends tranken wir Wein.

      Dann liebten wir uns. Ich kam jeden Abend zur ihr. Wir küssten uns, wir zerkratzten uns, wir bissen uns. Wir sagten uns süße Dinge ins Ohr. Wir spielten die Spiele der Liebe. In unserer Maßlosigkeit bekamen wir nicht genug. Ich versprach Christina, ihr die Sterne vom Himmel zu holen.

      Ich liebte ihre Augen, ihre Stimme, ihre schöne Figur. Ich liebte alles an ihr.

      Nach dem Sex sprachen wir wieder über die Schwarze Romantik, den Minnesang oder die Begierde. Oder über Jazz und Rockmusik. Für uns war alles interessant.

      Und dann kamen die ersten Semesterferien. Ich wollte für ein paar Tage nach Hamburg gehen. Christina brachte mich nach unserem letzten Beisammensein zum Aufzug, wir verabschiedeten uns und sie fragte: „Kommst du wieder?“ Ich war ein bisschen überrascht, dann sagte ich: „Neues Spiel, neues Glück“, lachte und fuhr nach unten. Es sollte ein Spaß sein.

      Nach einer durchzechten Nacht an einem denkwürdigen Morgen in St. Pauli schrieb ich Christina eine Karte. Ein Gruß aus Hamburg!

      Ich hatte Christina nicht vergessen.

      Als ich wieder nach Freiburg kam, ging ich sofort zu ihr. Sie war erstaunt. Sie hatte Angst gehabt, dass ich nicht wieder käme. Aber sie freute sich und es gab keine anderen Liebhaber mehr. Nur noch mich. Damit begann die schönste Phase in meinem Leben. Große Liebe! Mein Glück schien vollkommen zu sein.

      4

      Christina wohnte etwas außerhalb der Stadt Freiburg. Mein Apartment befand sich in einem großen Wohnblock im Zentrum nahe der Universität. Nach ein paar Wochen zog Christina zu mir.

      Wir genossen das Leben, liebten uns, tranken und tanzten nachts in den Studentenbars und Diskotheken, Le Caveau und Roter Punkt, Tangente und Parabel und wie sie alle hießen, tranken morgens spritzigen Weißwein am Münsterplatz und speisten wie viele Nachtschwärmer nachts um drei im „Löwen“.

      Irgendwann schliefen und arbeiteten wir und dann kam wieder die Nacht. Schön ist die Jugend!

      Christina schaffte es trotz des intensiven Nachtlebens, ihre Semesterscheine zu machen und eine brillante Studentin zu sein.

      Ich dagegen fand Gefallen an dem unregelmäßigen Leben und beschloss, Künstler zu werden. Ich wollte die Natur der menschlichen Seele und die Strukturen der realen Welt erfassen, eine geheime Macht, eine Lust am Denken zog mich in ihren Bann.

      So studierte ich in meinem Kämmerlein wie ein Alchimist des Mittelalters, der seinen Willen der Welt gegenüber ausprobieren und aus den Abgründen seiner Seele das Gold der Erkenntnis gewinnen will. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Ich dürstete nach den Weinen der Erkenntnis, sah das Edle und dachte über das Wesen des Bösen nach.

      Ich war ein Suchender.

      Die Wahrheit ist ein scharfes Schwert und wer zu viel nachdenkt, richtet sich selbst. Vor der Vollkommenheit wirst du niemals bestehen, und so auch nicht vor Gott! Wenn er dich lieben wollte, so müsste er dir verzeihen, was du bist. Aber was ist das für eine Liebe, die grundsätzlich verzeihen muss? Und kann man sich jemals selbst verzeihen, wer man ist? Solche und ähnliche Gedanken quälten mich, ich suchte einen Ausweg, die Erlösung, aber fand keine.

      Aber ich war jung, wollte leben, daher verscheuchte ich diese Gedanken. Ich wollte Schriftsteller werden, und so brauchte ich Storys, Anregungen, Leben, und nicht nur grundsätzliche Reflexionen und Philosophie.

      Allmählich wurde mein Geld knapp, und ich musste mich nach einer Arbeit oder einem Nebenjob umsehen. Ich hatte Kenntnisse in Buchhaltung und Mathematik, arbeitete aber lieber im Nachtleben. Ich bekam einen Job in einer Studentenbar, schenkte Bier, Müller-Thurgau, Ruländer, Schnäpse und was sonst noch so dazugehörte, aus, sorgte für die Musik und schäkerte mit den hübschen Studentinnen, die sich von den Anstrengungen ihres Studiums erholen wollten. Später wechselte ich in eine Diskothek, die ebenfalls vorwiegend von Studenten besucht wurde, und schließlich arbeitete ich in einem Nachtclub als Barmixer, ein Job, auf den ich mich gründlich vorbereitet hatte. Nebenbei betrieb ich meine Studien weiter und schrieb. Es wurden sogar ein paar meiner Storys in einem Science-Fiction-Magazin und einer Literaturzeitschrift veröffentlicht (Blade’s Spiel – der Mann mit der Klinge, Doomsday, No Exit to hell und Thinkmachine), aber ich sehnte mich nach mehr!

      Da draußen war die Welt und drehte sich, aber um sie zu beherrschen oder in ihr mitzumischen, musste ich mehr wissen, brauchte tiefere Erkenntnis. Also dachte ich nach, las viel, versuchte in das Innerste meines Geistes und meiner Seele einzudringen, hörte göttliche Musik, genoss die Liebe und die Schönheit meiner Freundin Christina und ihre Einsichten und Intelligenz.

      Das Leben lächelte mir zu. Ich genoss seine Intensität, arbeitete hart an meinen künstlerischen Zielen, trank köstliche, teure Weine und spürte diese Gier, die Gier nach mehr, nach Erfolg, diese Sehnsucht nach noch mehr Glück.

      So waren drei Jahre vergangen. Ich war umtriebig gewesen, oft nachts unterwegs. Aber ich hatte auch erste Kontakte zur Unterwelt geknüpft und blieb bei meinem unregelmäßigen Leben.

      Die düstere Poesie meines Großvaters, sein plötzliches Verschwinden, die Abkehr von seiner Familie und die Geheimnisse seines Schicksals hatten mich beschäftigt und ihre Spuren hinterlassen. Auch der überraschende Tod meiner Eltern, dieser grausige Unfall, und der Tod meiner Großmutter machten mir zu schaffen. Erinnerungen stiegen in mir auf, Streit, Glück, harmonische Momente, Zerstörung, Leidenschaften und die Einsicht in menschliche Abgründe. In diesen dunklen Stunden suchten Alpträume meine Seele heim, es war mir, als liege ein böser Fluch über mir und meiner Familie. Schatten legten sich auf mein Glück. Und wieder zog ich eine Parallele zu meinem Großvater. Wollte nicht auch ich die Geheimnisse der Welt ergründen, war nicht auch ich bereit für die Offenbarung des Bösen ?

      Christina spürte die Veränderung, die in mir vorging. Ich trank viel und maßlos, schlief unregelmäßig und wenig, suchte Streit und hatte eine düstere Sicht auf die Welt. Nichts befriedigte mich mehr. Ich hatte Sex mit anderen Frauen, kam betrunken nach Hause, verschwendete mein Geld.

      Dann kam jene Nacht im September unseres vierten gemeinsamen Jahres. Ich kam gegen Morgen nach einer Tour durch die Bars nach Hause, Christina lag noch wach, hatte nicht geschlafen, hatte die ganze Nacht geweint. Ich war angetrunken, blanker Hass schlug mir entgegen, Schmerz, Verzweiflung, das Gefühl der Erniedrigung. Sie ging auf mich los, schlug nach mir. Ich stieß sie zu Boden, trat nach ihr, wir beschimpften uns. Christina war fassungslos, weinte, kam hoch, ich schlug ihr die Faust ins Gesicht und stieß sie erneut nieder. Ein jäher Ausbruch von Gewalt! In diesen Augenblicken zerstörte ich ihr Bild von mir. Ich hatte etwas getan, das ich niemals hätte tun dürfen. Ich hatte eine Schwelle überschritten, elementare Regeln verletzt. Etwas Böses hatte mich beherrscht.

      Danach bemühte ich mich sehr um Christina, wir redeten, ich bat um Verzeihung, gelobte Besserung, beschwor unsere Liebe, alles, was wir gemeinsam erlebt hatten, alles Schöne, alles, was so wunderbar, so köstlich gewesen war. Eine Liebe, die so nicht enden durfte.

      Christina