Friedrich Kämpfer

Die Nacht der tanzenden Teufel


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später verstand ich, was geschehen war: Der Teufel spielte mit mir. Ich hatte ihn angezogen. Er gab mir persönliche Macht. Aber er wollte seinen Preis dafür. Irgendwann würde ich bezahlen müssen.

      So fuhr ich also jeden Tag von Freiburg nach Basel und ließ mich einarbeiten. Ich war gespannt, was sie genau mit mir vorhatten, was Brodsky wollte. Ich war mir sicher, er hatte einen Plan. Ich war zwar jung, aber nicht naiv. Hätte Brodsky kein Format gehabt, wäre er nicht ganz oben gewesen. Er war reich, lange im Geschäft, hatte offenbar eine verzweigte Organisation und vielfältige Geschäfte aufgebaut, deren Umfang ich nicht einschätzen konnte und über den ich auch nicht informiert würde. Er wirkte sehr kontrolliert. Er war skrupellos und würde nicht zögern, die Dinge zu tun, die er für notwendig, vielversprechend oder erfolgreich hielt. Ein Mann, der alle Register zog oder ziehen konnte.

      Schon bald war klar, dass Brodsky mich zu seiner persönlichen Verfügung haben wollte, eine Art Spezialwaffe für besondere und schwierige Aufgaben. Er hatte ein weitverzweigtes Netz von Bordellen, da gab es manches zu regeln. Frauen konnten Probleme machen, Unregelmäßigkeiten in den Zahlungen kamen vor, Konkurrenzkämpfe mussten ausgefochten werden, es gab Leute, um die man sich kümmern musste, Absprachen mussten getroffen, Botschaften überbracht werden. Es gab auch Leute, die ausgeschaltet werden mussten. Aber das tat ich nicht.

      Ich musste einen glatten, unauffälligen Stil haben und skrupellos sein. Subtil reden können, den Deal machen und wieder verschwinden, am besten niemals involviert sein. Zuschlagen. Präsent, aber nicht fassbar sein. Weg sein, bevor man verstand, was fehlte, was die Stunde geschlagen hatte oder was die geheime Absicht war, der tiefere und verborgene Teil des Plans. Oder zuverlässig, verbindlich sein. Wort halten. Vertrauen schaffen. Eine Seele von Mensch sein.

      So zu handeln war ein natürlicher Teil meines Wesens, meiner Natur. Gerade das tun, was richtig ist. So handelte ich bei den Aufträgen und Aufgaben, mit denen Brodsky mich betraute. Immer der richtige Härtegrad. Und alles geräuschlos, glatt, ohne Probleme. Brodsky gefiel es. Ich konnte nach allen Regeln spielen! Ich bestand seine Tests. Seine Wahl war gut gewesen. Und plötzlich verstand ich, was er in mir sah.

      Ich war präzise, scharf wie ein Messer, und hatte etwas von der Eleganz einer tödlichen Schlange. Er sah den geborenen Falschspieler und Profikiller in mir.

      Und gerade darin täuschte er sich!

      Christina rebellierte gegen meinen Job in Basel. Ich war öfter auf Reisen, kam erst spät nachts nach Hause, erzählte ihr wenig. Und plötzlich hatte ich Geld. Auch das war ihr unheimlich. Aber ich beschenkte sie, warb um sie, nahm Anteil an ihrem Studium, plauderte mit ihr über Literatur, Musik, die Oper, über Philosophie und Politik. Wir sprachen über ihre Sorgen und Wünsche, ich gab ihr meine Liebe.

      Den Rest verbarg ich vor ihr. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in einer anderen Welt, zu der sie keinen Zugang hatte, für die ihr Verständnis und Sinn fehlten. Die ihr schrecklich und abstoßend war. Roh, amoralisch und böse. Von der sie aber wusste, dass es sie gab. Und dass ich nun ein Teil davon war. Auch wenn ich nie darüber sprach. Gerade dadurch wurde ihr zur Gewissheit, dass etwas Schreckliches geschah.

      Von nun an würde sie ihre Unruhe, ihre Angst nie mehr abschütteln können. Es war ihr, als wäre ein Würgeengel in ihr Leben eingedrungen, der ihr die Luft zum Atmen nahm. Immer wieder klagte sie, Bilder wie von Goya suchten ihre Seele heim. Etwas für sie Ungreifbares vollzog sich.

      Von nun an kam es wieder zu Spannungen, Angst und Lüge lasteten auf unserer Beziehung. Wir sprachen kaum mehr miteinander, Christina stellte Fragen, ich gab keine Antwort. Wir gingen nicht mehr miteinander ins Bett, Christina entzog sich meiner Liebe, war verzweifelt. Es kam zu Streit, Gewalt, Drohungen, Beschimpfungen und gegenseitiger Erniedrigung. Ich schlug sie, trat nach ihr, brüllte sie an und stieß sie nieder. Sie ging auf mich los wie eine Furie, wir kämpften und rangen miteinander, ich wurde brutal. Wimmernd lag sie auf dem Boden und rührte sich kaum mehr. „Du elendes Schwein,“ sagte sie immer wieder, „du elendes brutales Schwein.“ Ich verließ das Haus, trank, nahm mir Frauen, schlief im Hotel.

      Dann saßen wir wieder beisammen. Sie weinte, sie wollte sich von mir trennen, kam aber nicht von mir los. „Was machst du?“ fragte sie mich, „was bist du für ein Mensch? Du sprichst von Liebe, aber du zerstörst alles.“ Ich sprach wirklich von Liebe, von unendlicher, großer Liebe, dass ich nie für einen anderen Menschen so empfinden könne wie für sie.

      So quälte es sich hin, wieder und wieder gab es Versprechungen, Beschwörungen der Liebe, Verzweiflung, immer neue Chancen und immer wieder ging ich trinken, nahm mir Frauen und erzählte ihr davon. Immer wieder gab es Gewalt zwischen uns. Und immer war ich es, der härter schlug.

      Es war im September, drei Jahre nach jenem unheilvollen Jahr, in dem ich die Entscheidung für Brodsky gefällt hatte. Ich hatte schnell sehr viel Geld verdient. Nun kam ich heim und freute mich auf Christina. Ich hoffte, sie doch wieder für mich gewinnen zu können. Ich hatte Krimsekt und ein Diamantcollier gekauft, dazu einige Leckereien aus dem besten Feinkostgeschäft der Stadt und Flugtickets für eine Reise nach Paris. Dazu hatte ich die schönste Suite im Hilton für drei Tage gebucht. Schon Präsidenten hatten hier geweilt. Das war mir meine Liebe wert.

      In der Hierarchie von Brodskys Organisation war ich aufgestiegen. Er war mit meiner Arbeit zufrieden, weihte mich immer mehr in seine Geschäfte und Geheimnisse ein. Er hatte eine Art professionelles Vertrauen zu mir gefasst, bei unveränderter Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, und ich spürte, dass er jetzt bald den vollen Einsatz und das höchste Risiko von mir verlangen würde. Wenn es die Situation erforderte, würde ich auch töten müssen.

      An jenem Abend kam ich von einer Reise nach Lugano zurück, wo Brodsky ein Luxusbordell betrieb. Der Geschäftsführer hatte Geld veruntreut. Ich hatte die Situation geklärt, war danach direkt nach Freiburg zurückgefahren und hatte die Reise mit meinem schwarzen Porsche durch die schöne Berglandschaft der Schweiz sehr genossen. Ich war bestens aufgelegt, wollte Christina auch damit überraschen, dass ich mir ein Apartment in der Schweiz kaufen wollte.

      Ich war gut gekleidet und sah aus wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Ich war auf dem Weg nach oben und nichts würde mich stoppen. Ich überlegte, wie ich Brodsky ausschalten oder ihm entkommen konnte. Ich hatte andere Pläne als er. Ich hatte genug gelernt, konnte nun selbst meinen Weg machen. Ich wollte nicht im Kugelhagel einer Spezialeinheit der Polizei sterben oder mein Leben hinter Gittern verbringen oder beim kleinsten Fehler von einem anderen Killer der Organisation liquidiert werden. Außerdem war ich kein Killer. Ich hatte eine Seele und die wollte ich behalten. Mit dem, was ich wusste und beherrschte, konnte ich es überall schaffen.

      Das waren meine Gedanken, als ich den Wohnblock meines Apartments in Freiburg betrat und im Fahrstuhl nach oben fuhr. Ich hielt den Krimsekt bereit, das Collier, dazu die Delikatessen, die ich ansprechend hatte verpacken lassen. Ich hatte Blumen gekauft, einen überwältigenden Strauß roter Rosen. Ich freute mich. Ich liebte Christina und wollte ihr das zeigen. Alles würde gut werden, wir würden heiraten, Kinder bekommen, eine glückliche Familie sein. Meine Zeit bei Brodsky würde nur eine Episode bleiben. Die Liebe würde gewinnen, alles andere war doch nur ein böser Traum.

      In der Wohnung brannte Licht, ich klingelte und der Türgong schlug an. Niemand öffnete. Ich schloss die Tür auf, leise Musik erklang, das Cellokonzert von Dvorak. Ich rief leise: „Christina? Hallo, bist du da?“ Niemand antwortete. Ich rief lauter. Wieder keine Antwort, ich hörte nur den warmen, vollen Klang des Cellos. Ein seltsames Gefühl, eine Ahnung beschlich mich, eine Art Unbehagen. Ich riss die Tür zum Wohnzimmer auf. Nichts. Aber die Tür zum Schlafzimmer war offen, von da kam auch die Musik. Mit hastigen Schritten durchquerte ich den Raum. Dann packte mich das schiere Entsetzen. Christina war tot. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten, überall war Blut, das ganze Bett war verschmiert, auf dem Teppichboden waren Spuren. Christina lag da wie ein Engel, die Augen weit geöffnet, schön auch im Tode, starr. Die Tür zum Badezimmer war offen. Auch hier: Blut.

      Ich war unsagbar erschüttert. Schmerz und Leid übermannten mich. Ich weinte bitterlich. Immer wieder schaute ich in ihr Gesicht, schaute über diese Szenerie des Schreckens. Ich musste mich übergeben. Im Badezimmer