Friedrich Kämpfer

Die Nacht der tanzenden Teufel


Скачать книгу

sie wollte mich noch nicht aufgeben. Sie würde diese Nacht nie vergessen, aber wir würden zusammenbleiben. Sie gab mir noch eine Chance.

      5

      Veränderungen im Leben vollziehen sich oft langsam, unmerklich, in kleinen Schritten, manchmal aber auch jäh. Die Heftigkeit der Gewalt, die in mir emporgestiegen war, die plötzliche Erregung, die ich dabei gespürt, das Gefühl der Stärke, das ich dabei empfand, hatten mich überrascht. Wo waren die Liebe und die Zärtlichkeit für Christina geblieben? Ein Damm in meinem Inneren war gebrochen, ein mir bislang verborgener Teil meines Selbst drang in das Zentrum meines Geistes und meines Bewusstseins ein. Innere Strömungen, Strudel bildeten sich.

      Ich wollte nicht mehr schreiben, die Zeit nicht mehr in der Studierstube, am Schreibtisch in meinem Apartment verbringen, ich war zu jung, ich wollte die Welt sehen, Erfahrungen machen, ich wollte handeln. Ich wollte die reale Welt erkunden, noch mehr Frauen lieben, ich wollte Macht. Ich verließ die Universität endgültig.

      Durch Zufall lernte ich Charles Brodsky in einer kleinen Bar kennen. Er war kein Unbekannter im Freiburger Nachtleben. Ich hatte schon von ihm gehört. Er besaß Bordelle im Badischen und hatte ausgedehnte Verbindungen in die Schweiz, wo er in großem Stil investiert hatte. Man sah ihn nur selten, und dann nur kurz. Er machte kein öffentliches Aufsehen, hielt sich stets im Hintergrund. Erst später erfuhr ich mehr über ihn. Ihm gehörten Villen in Zürich und Bern, und er spielte öfter in den Kasinos in Baden-Baden, am Genfer See und in Atlanta. Sein Verschleiß an Frauen, die er gut bezahlte, war erheblich und es hieß, er sei auch gut aussehenden jungen Männern nicht abgeneigt.

      Charles Brodsky hatte eine breite Stirn, intensive, intelligente, kalte graugrüne Augen und strahlte Autorität aus. Er beobachtete genau, hatte die Aura eines Mannes, der Erfolg hat, und sah auf seine Art gut aus. Man konnte sich leicht vorstellen, dass er viele Frauen haben konnte, auch ohne sie zu bezahlen. Er wirkte wissend bis an die Grenze zum Zynismus, hatte ein paar scharfe Falten im Gesicht wie jemand, der viel erlebt hat. Dabei schien er körperlich sehr gut in Form zu sein. Ich schätzte sein Alter auf etwa 50.

      Er war einer der abgefeimtesten Burschen, die ich je kennen gelernt habe.

      Ich fiel ihm auf, als ich mit einer üppigen, gesprächigen Blondine an der Bar Whisky trank und ihr noch ein Piccolo spendierte. Sie liebte Champagner und erzählte mir immer die neuesten Geschichten aus dem Nachtleben und der Unterwelt. Sie mochte mich und ich gab ihr gelegentlich einen aus. Ich unterhielt mich gern mit ihr, erfuhr manches Nützliche und hatte auch noch Spaß dabei.

      Brodsky saß neben mir an der Bar auf einem Barhocker und ließ sich eine Flasche Louis Roederer Kristall bringen. Eine schwarzhaarige Schönheit mit hochgesteckten Haaren und beeindruckender Oberweite bediente ihn ehrfurchtsvoll. Er sah öfter zu mir herüber, starrte mich dann an. Ich starrte zurück. Er fixierte mich noch eine kleine Weile, dann sprach er mich an.

      „Ich hab dich hier noch nie gesehen, gefällt dir mein Laden?“

      „Ich bin nur selten hier. Sind Sie der Boss?“

      „Kann man so sagen!“

      So kamen wir ins Gespräch.

      Dann fragte er mich: „Was machst du?“

      „Ich habe mal als Barmixer im Starlight gearbeitet. Bin jetzt auf der Suche nach etwas Neuem.“

      „Welche Richtung?“

      „Alles, was interessant ist.“

      „Hast du Talent?“

      „Klar doch, ich bin ein ganz heller Junge. Wenn Sie mal ein Genie brauchen, ich bin eins.“

      Er sah mich genau und aufmerksam an.

      „Du hast eine große Schnauze, mein Junge, aber das gefällt mir!“

      Wir plauderten noch kurz, ich nannte ihm meinen Namen, dann gab er mir die Adresse eines Nachtclubs in Basel, der ihm gehörte, das Baccara, ich solle mich da mal melden, vielleicht hätte er was für mich.

      Als ich Christina davon erzählte wurde sie unruhig. Sie hatte schon meinen Job als Barmixer im Starlight mit Unbehagen gesehen. Die ständige Nachtarbeit, das unregelmäßige Leben, die Art des Umgangs, all das missfiel ihr.

      Sie hatte an mich geglaubt, ich hatte einst ihr Herz gewonnen, sie liebte mich noch immer. Ich hatte mich in letzter Zeit sehr um sie bemüht, war aufmerksam, liebevoll, charmant und fürsorglich. Ich wollte ihre Liebe, wenn ich mir auch ein Doppelleben angewöhnt hatte, das mich von nun an durch mein ganzes weiteres Leben begleiten sollte.

      Ich war jung, schlank, sah gut aus, hatte das gewisse Etwas, das besonders im Nachtleben gut ankommt, war nett, hatte Charme und Killerinstinkt. Auf die meisten Frauen wirkte ich ein bisschen beunruhigend. Manche begehrten mich, anderen war ich einfach nur unheimlich. Dass aber aus dem netten jungen Mann mit dem romantischen Herzen, der so charmant plaudern konnte, der Filme wie "Blade runner" und "Der eiskalte Engel" liebte, der Science-Fiction mochte und über die Odyssee sprechen konnte und der ein bisschen unheimlich war, ein gesuchter Mörder und Verbrecher werden sollte, das ahnte wohl niemand von ihnen.

      So mangelte es mir nicht an Gelegenheiten und Kontakten und ich nahm meine Chancen gern wahr. Ob in Hotelzimmern oder privaten, nicht der käuflichen Liebe gewidmeten Appartements und Wohnungen, ich habe viele schöne Stunden erlebt. Die Frauen liebten mich und ich liebte die Frauen.

      Und zu Hause wartete Christina auf mich, da warteten romantische Liebesnächte voller Wildheit und Zärtlichkeit, echte Liebe. Die Zeit der Düsternis, die ich vorübergehend erlebt hatte, war vorbei. Ich hatte meine Bestimmung gefunden: Ich wollte frei sein und ohne Grenzen leben.

      Doch als ich Christina nun erzählte, ich wolle in Basel arbeiten, Karriere machen, eine große Nummer werden und vor allen Dingen, als ich ihr sagte, wo ich arbeiten wollte, war sie erschreckt. Sie kannte mich, sie wusste, mit welcher Besessenheit ich an meinen Texten und Gedanken gearbeitet hatte, sie kannte meine Gefährdungen, meine Affinität zum Laster. Sie konnte sich mich als eine Figur in einem Gangsterfilm vorstellen, kannte meine Liebe zu Alkohol, Frauen, Thrillern und Gewalt. Christina war hellsichtig und sie bangte um mich und ihre Liebe. Für mich waren es Verheißungen und Verlockungen, was sich da vor mir auftat, für sie war es nur der Beginn eines schrecklichen Alptraums.

      Doch ich hatte mich entschieden. Würde es auch Tränen geben, ich würde nach Basel gehen und mich vorstellen. Wenn sie etwas zu bieten hatten und wenn Brodsky mich wollte, würde ich für ihn arbeiten. Ich hatte keine Illusionen. Brodsky liebte die Macht und das Geld. Er hatte die nötige Kälte und Entschiedenheit, die man in der Unterwelt braucht. Er konnte sympathisch und gewinnend sein, verfügte, wenn es sein musste, sogar über einen saugenden Charme, aber zumindest in geschäftlichen Dingen war er, so schätzte ich es ein, so romantisch und gefühlvoll wie eine Natter.

      Und er hatte Scharfblick. Er hatte etwas in mir gesehen, was mir selbst noch nicht bewusst war. Ich spürte das Risiko, das von ihm ausging, den Hauch der Gefahr. Etwas in meinem Unterbewusstsein warnte mich und sagte mir: Geh nicht, hör auf Christina, schreib eine Geschichte, mach eine Ausbildung, such dir einen Job. Zeuge Kinder und führe ein ehrliches, gutes, rechtschaffenes Leben.

      Doch eine andere Stimme in mir war stärker. Die Stimme der Versuchung, der Leidenschaft und der Gier. Und diese Stimme sagte mir: Geh!

      6

      Ich fuhr nach Basel und stellte mich im Baccara vor. Ich wurde in ein kleines Büro geführt und der Geschäftsführer des Baccara, ein seriös aussehender Herr mit wachen, hart blickenden Augen, begrüßte mich. Wir unterhielten uns, er stellte Fragen, wollte alles über mich wissen. Alles, was relevant war. Alles, was für den Boss und die Geschäfte relevant war. Auch ich stellte Fragen. Am Ende schien er zufrieden zu sein. Brodskys Stellvertreter fragte mich, ob ich bereit sei, im Baccara und für Brodsky zu arbeiten. Ob ich reisen könne. Ob ich ungebunden sei. Ich sagte: „Ich habe eine Freundin.“ Er sagte: „Die kannst du behalten.“ Da sagte ich zu. Dann sagte er noch: „Du kannst morgen anfangen.“

      Damit war eine Lebensentscheidung