hatte sie in ihrem Bett gelegen, um ihre Träume betrogen, an ihrer Liebe zerbrochen. An mir zerbrochen. Und dazu diese Musik, dieses Cello, diese Todesmusik, die sie auf ihrem Weg aus dem Leben begleitet hatte. Blut, Musik und Tod! Eine innige, grausige Verbindung! Eine Nacht, die ich nie vergessen konnte.
Zuvor war ich so glücklich, so voller Hoffnung gewesen. Ich hatte wirklich an einen neuen Anfang mir ihr geglaubt. Jetzt hatte ich einen neuen Anfang, hier in London. Aber nicht mit Christina, sondern allein. Und nicht im Glück, sondern in der Verzweiflung und im Schmerz. Ein zerstörter Traum! Und noch dazu war ich ein Mörder, auch wenn es in meinen Augen Notwehr war. Die Polizei würde es anders sehen.
Ich wollte in London Fuß fassen, Christinas Tod abschütteln oder mit ihm fertig werden (was mir beides allerdings nie ganz gelang) und mich um meine Zukunft kümmern.
Ich kaufte mir einen schwarzen Morris Mini und erkundete London. Für die Sehenswürdigkeiten und die Schönheit der Stadt hatte ich zunächst in jenen dunklen Tagen keinen Sinn. Ich klapperte sie zwar alle ab. Buckingham Palace, Westminster, Big Ben, Parlamentsviertel, Soho, aber sie sagten mir nichts.
Ich fuhr mit dem Wagen und mit der U- Bahn, prägte mir den Stadtplan, das Verkehrsnetz und die Lokalitäten ein, spazierte umher und hatte schon nach einigen Wochen ein recht gutes, detailliertes Bild von London. Irgendwann merkte ich dann: Die Engländer mochten ein bisschen schrullig sein, aber hier konnte man leben.
Die Einsamkeit und der Schmerz machten mir zu schaffen, aber schon bald war ich wieder recht umtriebig, wie es meine Art war. Und ich machte mir einen Plan. Eine gewisse Zeit am Tag wollte ich mit Schreiben verbringen, den Rest des Tages unterwegs sein, Kontakte knüpfen, mich unterhalten, an meinen Sprachkenntnissen arbeiten, die Stadt genießen und das britische Leben kennen lernen.
Ich wurde Mitglied in der Westminster Bibliothek und beschäftigte mich mit einigen der Philosophen und Schriftsteller, die in London gelebt hatten. Ich wollte auch das englische Geistesleben ein wenig verstehen, wenn ich schon hier als Gast weilte.
Ich fragte mich, ob ich eine Figur in einem Roman von Charles Dickens hätte sein können, wenn ich im 19. Jahrhundert gelebt hätte. Ich entschied mich dafür, dass ich das nicht hätte sein können. Ich hatte ein Dunkel in mir, das Dickens niemals durchschaut hätte, auch wenn er sonst alles sah.
Ich beschäftigte mich noch ein bisschen mit Bertrand Russel, dem Logiker, Mathematiker und Philosophen, und ein paar ältern Denkern, dann hatte ich genug von Theorien und Abstraktion und wandte mich wieder der Gegenwart zu. Ich hatte meine eigenen Gedanken. Ich wollte leben. Und ich wollte Spaß.
Abends fuhr ich gern nach Soho, hatte schon bald meinen Stamm-Pub und lernte durch Zufall ein paar Künstler kennen, darunter auch Schriftsteller und Musiker. Ich erzählte ihnen, dass ich auch Schriftsteller sei, schon einige Storys veröffentlicht habe und hier in London jetzt neue Eindrücke sammeln wolle. Vielleicht würde ich sogar ein Bändchen mit Kurzgeschichten verfassen, die ich „Londoner Impressionen“ nennen wollte. Woran ich wirklich arbeitete, sagte ich ihnen nicht.
Sie fanden meine Äußerungen interessant und fragten mich, was ich bisher geschrieben habe, und ich erzählte ihnen ein bisschen von meinen Storys. Ich sagte ihnen natürlich auch, ich sei nur ein ganz kleiner Schriftsteller und müsse noch sehr, sehr viel lernen, sie hätten mir da sicher einiges voraus. Sie fühlten sich geschmeichelt und ich fragte dann, was sie so machten. Sie sprachen gern und ausführlich über ihre Projekte und ich lernte manches Nützliche dabei.
Von nun an traf ich mich öfter mit ihnen. Ich erschien ihnen ganz amüsant und unterhaltsam und sie luden mich auch zu ihren Partys ein. Ihren Freunden und Bekannten stellten sie mich als jungen, hoffnungsvollen Schriftsteller aus Deutschland vor und ich war durchaus eine kleine Attraktion. Zudem sah ich gut aus, und es gab einige junge Damen, denen ich recht gut gefiel. Ich war zufrieden. Ich hatte den Einstieg in London geschafft. Ich konnte ein neues Spiel beginnen.
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