Jennifer Weise

Ganz oder gar nicht!


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mich wahrscheinlich sofort eliminiert“, waren ihre stummen Gedanken.

      „Nehmen Sie Ihre Waffe!“ forderte sie Ron unerwartet auf.

      „Was?“

      Verdutzt sahen beide Männer sie an.

      „Wenn Sie mich wieder raus schicken wollen, können Sie es auch gleich selbst beenden! Ich hab seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen und ich hab keine Ahnung wie ich hier wieder rauskommen soll, aber ohne Sie hab ich keine Chance, also bringen Sie`s einfach gleich zu Ende und erschießen Sie mich!“

      Die Männer wechselten einen Blick, blieben jedoch stumm.

      „Ich kann nicht mehr!“ gab die Fremde auf einmal offen zu und glitt langsam an der Wand entlang auf den Fußboden, wo sie hemmungslos zu weinen anfing.

      „Benedikt, wir können sie nicht gehen lassen!“

      Es war das erste Mal, dass Ron etwas gegen Benedikts Entscheidung sagte.

      „Lass dich von ein paar Tränen nicht in die Irre führen, Ron! Sie will doch bloß eine Story!“ regte Benedikt sich auf.

      Ron kniete sich vor ihr hin und legte vertrauensvoll seine Hand auf ihre Schulter.

      „Ganz ehrlich, Jessica, bist du auf der Suche nach einer guten Geschichte?“

      Sie sah in zwei blaue Augen, zum ersten Mal wurde Jessica hier mit ihrem Namen angesprochen, das gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.

      „Normalerweise bin ich immer auf der Suche nach einer interessanten Story, aber das hier ist was anderes. Ich schreibe keine Spionagethriller…“

      „Dafür reißerische Zeitungsberichte“, fiel Benedikt ihr ins Wort.

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Ich arbeite schon seit einigen Jahren nicht mehr bei der Zeitung.“

      „Das erklärt, dass mir dein Name nichts sagt.“

      „Wären Sie Schriftstellerin, würde ich sicher einen Roman von Ihnen kennen, Ihr Name wäre mir sofort aufgefallen“, warf Benedikt abfällig ein.

      Das konnte sie ihm nicht verübeln. Ihre Arbeit als Journalistin war nicht unbedingt beispielhaft gewesen, sie war damals so sehr im Sog des Erfolges, dass ihr jedes Mittel recht war, um an eine gute Story zu kommen, völlig egal, ob sie den Tatsachen entsprach.

      „Wenn du willst, dass wir dir helfen, musst du ehrlich sein, Jessica!“

      Die Fremde sah Ron an, der noch immer vor ihr kniete. Mit dem Handrücken wischte sie sich einige Tränen vom Gesicht, da reichte Ron ihr ein Taschentuch.

      „Schon mal was von Stephanie Freston gehört?“ fragte sie nicht ohne dabei rot zu werden.

      „Sie sind…“, verwundert sah Ron sie an, das beantwortete ihre Frage.

      „Reden Sie endlich Klartext!“ schrie Benedikt sie an.

      „Das hat sie gerade. - Warte mal!“ forderte Ron und verließ dann das Zimmer.

      Kurz darauf kam er wieder und drückte seinem Kollegen ein Taschenbuch in die Hand.

      „Ooh, Ron! Nicht eins von deinen…“

      Benedikt hielt inne, sein Kollege hatte auf den Namen der Autorin getippt, dort stand `Stephanie Freston`.

      „Das haben Sie…“

      „Glauben Sie wirklich ich würde so was unter meinem richtigen Namen veröffentlichen?“ gab sie zurück.

      „Warum schreiben Sie so einen Müll, wenn Sie gutes Geld als Journalistin machen können?“ Benedikt war weiterhin misstrauisch.

      „Du solltest das mal lesen, Ben, ist echt gut!“

      Benedikt schlug wahllos eine Seite auf und las laut:

      „…stürmisch öffnete Kyle ihr Kleid. Die fremde Frau stand lediglich mit einem knappen Slip bekleidet vor ihm. Er konnte nicht anders, als ihr unverhohlen auf die wohlgeformten, prallen Brüste zu starren…“

      Jessica war das peinlich. Wegen Gewissensbissen hatte sie mit dem Journalismus aufgehört und begonnen Romane zu schreiben, aber leider keinen Verlag gefunden, der bereit war, ihre Manuskripte zu verlegen. Also musste sie einen Weg finden, ihre Miete zu bezahlen und auch sonst genügend Geld fürs Alltägliche zu verdienen. Stolz war sie auf diese verruchten Liebesgeschichten nicht, aber sie gingen ihr leicht von der Hand, sie verdiente ausreichend und hatte nebenher noch genug Zeit, sich dem Schreiben ihrer bevorzugten Richtung zu widmen. Das waren zwar auch Liebesromane, allerdings ohne erotische Abenteuer, aus denen dieses Buch, das Benedikt noch immer in den Händen hielt, fast ausschließlich bestand.

      Jessica hatte keine Lust, sich vor diesen Fremden zu rechtfertigen, also meinte sie schließlich etwas arrogant:

      „Prüfen Sie´s doch einfach nach! Das sollte ein Mann wie Sie doch wohl können!“

      Benedikts scharfer Blick entging ihr nicht, zu ihrem Erstaunen tat er dann allerdings genau das.

      „Setz’ dich wieder auf die Couch!“ forderte Ron Jessica auf.

      „Jetzt sind es noch vier Stunden und zweiunddreißig Minuten“, erinnerte sie mit einem Blick auf die Uhr.

      „Was passiert in viereinhalb Stunden?“ ging Ron endlich auf das ein, was sie sagte.

      „Die Typen werden hier auftauchen und…“

      „Die kennen dieses Versteck? Hast du uns etwa verraten?“

      „Nein, aber…“

      Wieder baute der Mann sich drohend vor ihr auf, gerade als er loslegen wollte, fuhr sie ihm ins Wort:

      „Wenn Sie mir endlich mal zuhören würden, statt mich dauernd zu bedrohen, dann könnten Sie…“

      „Willst du mir jetzt vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu machen hab?“

      „Ich will, dass Sie mir zuhören, sonst könnte es zu spät…“

      „Ihre Angaben stimmen“, mit einem verwunderten Gesichtsausdruck kam Benedikt wieder in den Flur.

      „Was haben Sie denn erwartet? Glauben Sie, ich komme in Ihr Versteck und nachdem Sie mich mehrfach bedroht haben, erzähl` ich Ihnen dann auch noch was vom Pferd…“

      Sie schrie diese fremden Männer tatsächlich an. Das dürfte ihnen sicher nicht gefallen, und Jessica wollte sie auf keinen Fall verärgern, denn sie war auf ihre Hilfe angewiesen. Trotzdem fauchte sie weiter. Jessica hatte längst keine Ahnung mehr, was sie den beiden an den Kopf warf, sie hörte einfach nicht auf. Erst eine schallende Ohrfeige ließ die Frau verstummen.

      Mit großen Augen sah sie Ron, der sie zur Vernunft gebracht hatte, an.

      „Okay, Jessica, du hast eine Menge mitgemacht, aber jetzt musst du dich wieder beruhigen.“

      „Helfen Sie mir?“ diese Frage glich einem Flüstern, sie legte all ihre Hoffnung in Rons Antwort und sah ihn flehentlich an.

      Der Mann nickte nur.

      „Ron, du kannst doch nicht…“

      Ron sah seinen Partner an.

      „Du hast selbst gesagt, dass ihre Angaben stimmen. Dann die Verletzungen, ihre Ohnmacht, der hysterische Anfall… Wir können sie in dem Zustand nicht alleine lassen!“

      „Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?“ wandte sich Benedikt an Jessica, er war noch immer nicht bereit ihr zu helfen.

      „Ich war in der Datenbank der Polizei und…“

      „Du warst was?“ Ron war mehr als erstaunt.

      „Journalistin halt, was hast du da erwartet, Ron?“

      „Es gibt dort keine Meldung von Anna.“

      „Was meinen Sie damit?“