keine Verletzte in irgendeiner Klinik, die auf Annas Beschreibung passen könnte. Dann erst habe ich mir diese Speicherkarte genauer angesehen.“
„Das heißt dann, Anna könnte noch am Leben sein“, mutmaßte Benedikt.
„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ fuhr Ron sie an.
Wieder zuckte Jessica zusammen.
„Das versuch’ ich doch die ganze Zeit“, erwiderte sie mit kippender Stimme.
Da wollte sie von zwei Männern Schutz und Hilfe, die sie in einer Tour bedrohten und ihr Angst einjagten. Was machte das für einen Sinn?
„Kannst du nicht einfach berichten, was vorgefallen ist?“ fragte Ron etwas versöhnlicher.
„Nein.“
Fragend sahen beide Männer sie an.
„Ich hab mit so was nicht jeden Tag zu tun, so wie Sie. Für mich ist das alles neu und erschreckend“, versuchte sie zu erklären.
„Und dennoch sind Sie hier.“
Jessica sah Benedikt an, er hatte sich mittlerweile gegen die Wand im Flur gelehnt, in dem Jessica noch immer saß.
„Wie meinst du das, Ben?“ fragte Ron seinen Kollegen.
„Jeder normale Mensch wäre zur Polizei gegangen“, erwiderte er überzeugt.
Das leuchtete auch Ron ein.
„Warum warst du nicht bei der Polizei?“ wurde sie zum wiederholten Male gefragt.
Beide Männer sahen Jessica durchdringend an, sie würden keine Ausflüchte dulden.
„Versprechen Sie, mir zu helfen?“ hakte sie besorgt nach.
Rons Gesichtsausdruck veränderte sich erneut, er war unverkennbar sauer. Zu ihrer Überraschung kam Benedikt ihm aber zuvor:
„Ja“, war seine knappe Antwort und sein Tonfall ließ keinen Zweifel offen, dieser Mann würde zu seinem Wort stehen.
Keine Stunde später saß Jessica Barnes auf der Vorderbank eines alten Pickups, Benedikt setzte sich neben sie hinters Steuer. Als sich Ron auf die andere Seite neben die Frau zwängte, wurde sie zwischen den beiden Fremden ziemlich eingequetscht. Keiner verlor ein Wort über diese beengte Situation. Benedikt gab Gas, als sie auf der Autobahn waren, forderte er:
„Legen Sie los, Miss Barnes!“
Darauf hatte sie gewartet. Nachdem die Männer sich beide dazu entschlossen hatten, ihr zu helfen, begannen sie zu packen. Sie schienen ihr zu glauben, dass ihr Versteck entdeckt worden war und hielten es für richtig, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.
„Sie wollten wissen, warum ich nicht zur Polizei gegangen bin?“ begann Jessica.
Sie erwartete keine Antwort auf diese eher rhetorische Frage. Zu ihrer Verwunderung erwiderte Ron jedoch:
„Von Anfang an.“
„Was?“
„Das wird eine lange Fahrt, Miss Barnes, also erzählen Sie uns genau, was passiert ist.“
Also legte sie los:
„Ich ging am Samstagabend in diesen Club…“
„Allein?“
„Ja, ich war allein.“
„Warst du mit irgendjemandem verabredet?“
„Nein, ich…“
„Was hast du da…“
„Ron, lass sie einfach erzählen!“ forderte Benedikt, woraufhin Ron verstummte.
„Also, ich ging allein in diesen Club und setzte mich an die Bar. Das muss so gegen neun Uhr abends gewesen sein. Ich trank ein oder zwei alkoholfreie Cocktails und beobachtete die Leute. Es war nicht viel los und auch nicht sehr interessant. Dann betrat diese kleine Frau in einem knallroten Kleid den Club. Sie sah sich genau um, bevor sie zielstrebig auf mich zukam.
„Ist hier noch frei?“ fragte sie und setzte sich auf den Barhocker neben mich.
„Hi! Ich bin Anna!“
„Jessica.“
„Bist du auch zum ersten Mal hier?“
Ich nickte nur, dann fragte ich:
„Sieht man mir das an?“
Anna lächelte mich eigenartig an, bevor sie sich einen Whisky bestellte.
„Möchtest du auch einen?“ bot sie mir an.
„Nein, das ist mir zu heftig.“
„Trinkst du gar keinen Alkohol?“
„Muss ich das?“ gab ich giftig zurück.
Anna hob beide Hände.
„Das sollte kein Vorwurf sein, Jess. Ich darf dich doch Jess nennen, oder?“
Ihr Blick irritierte mich, diese Frau sah mich an, als würde sie genau abschätzen wer ich bin.
Statt einer Antwort griff ich nach meinem Glas und nahm einen kräftigen Zug.
„Hast du Lust zu tanzen?“
Erschrocken drehte ich mich um und sah die Frau hinter mir an. Sie war mindestens doppelt so alt wie ich und sah eher ungepflegt aus.
„Das ist meine!“ mischte Anna sich ein und schickte die Fremde weg.
„Danke!“ sagte ich erleichtert.
„Was machst du hier?“ wollte sie wissen.
„Wie meinst du das?“
„Du siehst nicht so aus, als wolltest du eine Frau aufreißen!“ stellte Anna fest.
Unwillkürlich musste ich lächeln. Diese Anna war mir sympathisch und ich fasste sofort Vertrauen.
„Mir gefällt eher so was!“ erwiderte ich und zeigte in eine der hinteren Ecken.
„Meinst du…“
„Könnten Sie sich auf das Wesentliche beschränken?“
„Bitte?“ erstaunt sah Jessica zu Benedikt.
„Heben Sie sich irgendwelche sexuellen Vorlieben für Ihre Romane auf!“ forderte Benedikt.
Wieder mal klang es abfällig.
„Ich fand’s interessant!“ Ron grinste breit.
Jessica beschloss nicht weiter darauf einzugehen.
„Wie Sie wollen. - Anna und ich unterhielten uns angeregt, als sie dann verstummte, folgte ich Ihrem Blick. Er ging in Richtung eines Außenfensters, ich konnte jedoch nichts erkennen.“
„Stimmt was nicht?“ fragte ich sie schließlich.
„Komm, tanz’ mit mir!“ forderte sie mich auf.
Verdutzt sah ich sie an.
„Bitte, Jess, tu’s einfach!“
Also gingen wir auf die Tanzfläche. Anfangs hatte Anna geredet wie ein Wasserfall, doch nun war sie verstummt und sah zu Boden.
„Sieh mich an!“
Als sie nicht reagierte, versuchte ich es erneut.
„Anna, ich bitte dich!“
Endlich blickte sie auf und zu meiner Verwunderung sah ich Tränen über ihre Wangen laufen.
„Was ist los?“
Anna sah mich an und schüttelte den Kopf.
„Du kannst mir vertrauen!“ versuchte ich es erneut.
Doch ihr Blick ging an mir vorbei in Richtung Ausgang. Plötzlich wurde Anna blass. Sie