„Und was geschah dann?“
„Die beiden Kerle, die sich an einen Wagen gelehnt unterhielten, mussten mich bemerkt haben. Sie kamen auf das Gebüsch, in dem ich kauerte, zu.“
„Und weiter?“
„Ich rannte davon. Im Gegensatz zu ihnen kannte ich mich in der Gegend gut aus und wusste mich immer wieder zu verstecken. Das klappte ganz gut, zumindest schaffte ich es alleine bis zur Hauptstraße, als sie plötzlich aus einer Ecke mit dem Wagen geschossen kamen. Auf einmal war da ein stechender Schmerz in meiner Hüfte, dann spürte ich, wie ich unsanft auf dem Boden aufschlug.“
„Die haben Sie angefahren?“
„Jessica, ich habe hier einen Eisbeutel für dich.“
Die Frau sah auf, vor ihr stand Ron und hielt ihr etwas in ein Küchentuch gerolltes entgegen. Sie nahm ihm das Ganze ab und legte es sich auf die Seite. Die Kälte machte den Schmerz erträglicher.
„Erzählen Sie uns den Rest!“ forderte sie jemand auf.
„Welchen Rest?“ fragte sie etwas verwirrt.
„Was haben die mit Ihnen gemacht, nachdem die Sie angefahren hatten?“
„Gar nichts.“
„Wie ‚nichts’?“
„Ich stand auf und rannte.“
„Die kamen Ihnen nicht hinterher?“
„Ich weiß nicht…“, erwiderte sie stirnrunzelnd, darüber hatte sie nie nachgedacht.
„Woran erinnern Sie sich?“
„Ich rappelte mich auf und rannte. Ich muss dabei meine kleine Handtasche verloren haben, aber ich suchte nicht danach, sondern rannte einfach nur weiter.“
„Wohin sind Sie gelaufen?“
„Da waren Lichter und ich hörte Stimmen.“
„Sie sind an einen belebten Ort gelaufen?“
„Ich glaub’ schon“, erwiderte sie müde.
„Jessica?“
Das war nicht diese vertrauensvolle Stimme, sondern wieder Ron. Noch immer stand er direkt vor ihr.
„Ich werde dich in dein Zimmer bringen, dann kannst du dich ausruhen.“
„Mein Zimmer?“
Irgendwie begriff sie den Sinn seiner Worte nicht.
„Sie können Annas Zimmer haben, sie hätte bestimmt nichts dagegen.“
„Anna?“
Die vier Männer tauschten Blicke.
„Bring sie rauf!“ befahl Benedikt schließlich.
„Jessica?“
Ron wollte die Frau auf seine Arme heben und nach oben tragen, doch kaum hatte er sie berührt, wehrte sie sich.
„Ich bringe dich nur in dein Zimmer, damit du dich ausruhen kannst.“
Nun sah sie ihn an, ihre Augen drückten Angst aus, aber auch Verwirrung. Nachdem was sie alles mitgemacht hatte, wunderte Ron das nicht.
Langsam erhob sie sich, als sie sich aufstellen wollte, gaben ihre Beine nach. Sofort stützte Ron sie, doch sie hörte nicht auf zu zittern. Also hob er sie nun doch auf seine Arme und hoffte, ihre Angst damit nicht noch zu verstärken.
Nachdem er sie in Annas Bett gelegt hatte, zog er lediglich ihre Schuhe aus und deckte sie zu. Nachdenklich blickte er auf die schlafende Frau. Sie sah so zerbrechlich aus. Wo war die harte, unnachgiebige Journalistin geblieben, über die sich Benedikt so sehr aufregte? Ihm wurde klar, dass sie sie zu hart angepackt hatten. Als die Frau bei Ihnen aufgetaucht war, war sie bereits am Ende gewesen. Sie hätten ihr Misstrauen ablegen und ihr von Anfang an helfen müssen. Ihr Job machte sie viel zu misstrauisch und nun hatte eine unschuldige Person darunter leiden müssen. Er selbst hatte eine Waffe auf sie gerichtet, dabei hatte sie Hilfe gebraucht. Eine unschuldige, hilflose Frau, genau diesen Eindruck machte sie, jetzt wo sie schlafend vor ihm lag. Wie konnte eine so zerbrechliche Person nur so etwas schreiben? Er war immer davon ausgegangen, dass die Autorin seiner geliebten Romane eine äußerst selbstbewusste Frau sein musste.
Jessica drehte sich um, dabei fiel die Decke zu Boden. Ron ging zu ihr hin, um sie erneut zuzudecken, doch abrupt blieb er stehen. Ihr Kleid war hoch gerutscht und Ron konnte ihren Slip erkennen, diese unwahrscheinlich langen Beine… Hätte Jessica in diesem Moment zu ihm gesehen, die Beule in seiner Hose wäre nicht zu verstecken gewesen. Ruckartig drehte Ron sich um und schloss die Tür von draußen.
„Wer hat euch von Annas Tod erzählt?“ wollte Jake wissen.
„Kane“, erwiderte Benedikt.
„Ich?“
„Ich weiß, nachdem du davon nichts wusstest kann da wohl irgendwas nicht hinkommen“, hatte auch Benedikt erkannt.
„Wie hab ich euch informiert?“
„Per SMS.“
„Kanes Handy ist im Handschuhfach des Leihwagens liegen geblieben“, klärte Jake die Männer auf.
„Warum wurden wir nicht informiert?“
„Ich hab Anna eine Nachricht geschickt.“
Das erklärte einiges. Annas Entführer mussten diese Nachricht erhalten haben und wussten diesen Umstand für sich auszunutzen.
„Wenn die das Handy aus dem Leihwagen geholt haben, dann haben sie sicherlich auch diese Adresse“, befürchtete Benedikt.
„Keine Sorge, Ben. War wie immer unter falschem Namen“, beruhigte Kane seinen Kollegen.
„Gab’s Probleme?“ wandte Kane sich an Ron, der gerade das Wohnzimmer wieder betrat.
„Sie schläft.“
„Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir ihr trauen können.“
Ron sah Benedikt an, wieder musste er an Jessica oben im Bett denken. Als sich erneut etwas in seiner Hose regte, zog er seinen Mund zu einem schmalen Strich zusammen und verschwand zur Toilette.
„Sie hat euch das Leben gerettet.“
„Da bin ich mir nicht so sicher.“
„Schon die neuesten Nachrichten gesehen?“
Ben stellte sich neben Jake vor den Laptop. Vor sich sah er sein Versteck, indem er noch vor ein paar Stunden saß und sich sicher gefühlt hatte. Es war bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
„Oder glaubst du, dass das Zufall war?“
„Nein“, an Zufälle glaubte Ben schon lange nicht mehr und auch wenn es in den Nachrichten als Unfall dargestellt wurde, war ihm klar, wer dahinter steckte.
„Gibt’s Infos über Opfer?“ mischte Kane sich ein.
„Bisher nicht.“
„Vielleicht sollten wir daran drehen, so dass Ducks Leute davon ausgehen können, dass sie euch erwischt haben.“
„Halte ich für keine gute Idee.“
Die drei sahen Ron an, der mit einem entspannten Gesichtsausdruck zu ihnen trat.
„Jessica meinte, sie wollten erst uns erledigen und danach Anna. Ich möchte nicht, dass die auf Anna losgehen.“
„Leuchtet ein.“
„Was haltet ihr von einem Opfer und der Andere ist mit dem Wagen unterwegs gewesen?“
Jakes Idee gefiel allen.
„Wer von euch ist das Opfer?“ wollte Kane gleich wissen, schließlich mussten sie dieses Gerücht schnell verbreiten.
„Das