Jennifer Weise

Ganz oder gar nicht!


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verängstigte Rolle geschlüpft.

      „Fühl dich wie zu Hause!“ bot er ihr noch an, dann ließ er sie allein und setzte sich im Wohnzimmer an den PC. Ron war neugierig auf das, was diese rätselhafte Frau ihm gegeben hatte.

      Wer ist Jessica Barnes?

      „Entschuldigen Sie!“

      Ron sah auf. Wie lange stand Jessica schon im Raum? Er hatte sich mitreißen lassen von ihrem Geschriebenen.

      „Ja?“

      „Dürfte ich,… ich würde gerne…“

      Geduldig guckte er die Frau an.

      „Ich hab mich schon seit Tagen nicht mehr gewaschen und…“

      „Sie können gern das Bad benutzen“, meinte Ron nur und wollte schon weiter lesen.

      Ihm fiel auf, dass Jessica sich nicht von der Stelle rührte.

      „Stimmt etwas nicht?“

      „Da ist kein Schlüssel.“

      „Was?“

      Im selben Moment, indem er das aussprach, verstand er, was sie meinte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Wenn er einmal nicht an die erotischen Geschichten dachte, sondern diese Frau mit dem in Verbindung brachte, was er gerade las, wunderte ihn ihr Verhalten nicht mehr. Sie war mit vier fremden Männern in einem Haus, welche Frau wäre da nicht verunsichert?

      Ron griff in die Schublade des Schreibtisches, an dem er saß, dann reichte er Jessica einen Schlüssel.

      „Der ist für das Bad im ersten Stock, das ist direkt gegenüber von deinem Zimmer.“

      „Danke!“

      „Jessica?“

      Wieder sagte sie kein Wort und schaute ihm auch nicht in die Augen.

      „Du kannst dir aus Annas Schrank was zum Anziehen nehmen.“

      Während Jessica in der heißen Wanne lag, dachte sie nach.

      Zumindest versuchte sie es, aber irgendwie kam ihr immer das Bild von einem der Männer aus diesem Haus dazwischen.

      So begann ich über jeden einzelnen von ihnen nachzudenken. Diesen Jake hatte ich schnell abgehakt. Sein gutes Aussehen machte sein Verhalten nicht ungeschehen, ihm konnte ich nicht trauen.

      Dieser farbige Mann, wie hieß er noch? Blane? Nein, Kane, das war sein Name. Er hatte mich von Anfang an besser behandelt als alle anderen, hatte mir Respekt entgegen gebracht. Diese beschützende Geste, als er für mich sein T-Shirt auszog kam mir in den Sinn. Doch anstatt über ihn und seine Art nachzudenken, hatte ich nur noch das Bild seiner nackten Brust vor Augen. Als ich spürte, wie es zwischen meinen Beinen zu kribbeln anfing, ging ich schnell weiter zu Ron. Er war hier so anders zu mir, als noch in dem alten Versteck. Sein neues Verhalten mir gegenüber konnte ich nicht so recht einordnen. Auch hier begannen meine Gedanken abzuschweifen.

      Also Benedikt, auch ein schwer durchschaubarer Mann. Anfangs so freundlich und rücksichtsvoll und dann diese Härte, als er meinen Namen erfuhr. Aber ich konnte es ihm nicht einmal übel nehmen, die Journalistin war über Leichen gegangen. Ruhm und Anerkennung um jeden Preis. Es war diese eine Recherche, die mich damals aufwachen ließ. Es ging um einen sehr jungen Mann, gerade einundzwanzig und er saß im Gefängnis, in der Todeszelle. Ich hatte es geschafft ein Exklusivinterview zu bekommen. Dieser Mann, fast noch ein Kind, beteuerte mir seine Unschuld. Ich kam ins Grübeln. Natürlich wäre das eine spitzenmäßige Story gewesen, es hätte mir nicht nur Ruhm sondern auch eine Menge Geld einbringen können. Doch statt des gewohnt bissigen Berichtes, schrieb ich etwas komplett anderes. Mit keinem Wort schrieb ich über die Schuld des Jungen, aber auch nicht über seine Unschuld. Ich stellte stattdessen das Rechtssystem in Frage. Ließ mich über die Todesstrafe an sich aus. Und ich stellte die Frage, ob man das Recht hatte, das Leben eines Menschen einfach so auszulöschen.

      Mein Boss war stinksauer, er stellte mich vor die Wahl, entweder ein gewohnt bissiger Bericht oder er würde mich feuern.

      Wenn ich mich nicht an die Spielregeln hielt, war das Vertragsverletzung, mein Boss könnte mich zu einer hohen Geldstrafe verdonnern.

      Also ging ich zu der Familie des Opfers. Es war ein kleines Mädchen, das der junge Mann auf bestialische Art umgebracht haben sollte. Mein Mitgefühl für die Familie wuchs. Doch ich konnte nicht anders, ich musste auch mit der Familie des angeblichen Täters reden. Danach waren meine Zweifel perfekt. Nun passte nichts mehr zusammen.

      Ich begann im Büro einen Artikel zu schreiben, er wurde sehr lang, glich eher einem Bericht, aber nicht dem Bericht über das Verbrechen an einem kleinen Mädchen sondern vielmehr der Frage, ob irgendjemand diesem Jungen einen Mord anhängen wollte.

      Gegen ein Uhr morgens verließ ich das Büro nachdem ich meinen Bericht ausgedruckt und dem Boss auf den Schreibtisch gelegt hatte. Ich war von meinem Verdacht überzeugt und rechnete mit der Anerkennung meines Chefs, doch das Gegenteil war der Fall. Er holte mich am nächsten Morgen telefonisch aus dem Bett und zitierte mich zu sich. Dort fragte er mich, ob ich den Verstand verloren hätte. Dass er ein aufbrausender Mensch war, war mir bekannt, aber diese Hektik und Nervosität erlebte ich zum ersten Mal an ihm.

      „Jessica, ich entbinde Sie von dieser Story!“

      Erstaunt sah ich ihn an.

      „Aber, Sir, da steckt viel mehr hinter, als…“

      „Vergessen Sie’s!“ schrie er mich an.

      „Bei allem Respekt, Sir, ich werde nicht zulassen, dass man diesen Jungen…“

      Wieder fuhr er mir ins Wort.

      „Halten Sie sofort den Mund! Sie dürfen so etwas nicht einmal denken!“

      Ich saß damals über eine Stunde in seinem Büro, noch nie hatte er so vehement versucht, mich von etwas zu überzeugen. Und ich war noch nie so stur gewesen. Schließlich verließ ich das Gebäude mit meiner fristlosen Kündigung in den Händen. Eine Klage wegen Vertragsbruch verlor ich und aus irgendeinem Grund schaffte ich es auch nicht, eine neue Anstellung zu finden.

      Erst als ich unter falschem Namen diese Erotikgeschichten an einen Verlag sandte, verdiente ich endlich wieder eigenes Geld. Das war auch höchste Zeit gewesen. Nach dem Prozess hatte ich mein Haus sowie meinen Wagen verkaufen müssen, um die Strafe wegen Vertragsbruches begleichen zu können und mein Erspartes war auch fast aufgebraucht.

      Langsam wurde Jessica kalt, also zog sie den Stöpsel aus der Wanne und stand auf. Während sie sich mit beiden Händen am Wannenrand festhielt, stellte sie ein Bein vor der Wanne ab. Im nächsten Moment durchzog sie ein stechender Schmerz, zu allem Überfluss verlor sie den Halt in der glitschigen Wanne und rutschte aus. Vor Schreck schrie sie auf, dann knallte sie mit dem Gesicht gegen die Armatur. Jessica schmeckte Blut.

      „Miss Barnes?“

      Das war Benedikts Stimme.

      „Ist alles in Ordnung, Miss Barnes?“

      Mühsam versuchte sie sich aufzurichten, doch sofort rutschte sie wieder mit dem Fuß weg, diesmal mit der ohnehin schon schmerzenden Hüfte gegen den Rand der Wanne. Schmerzvoll stöhnte sie auf.

      Im nächsten Moment hörte Jessica, wie Holz barst, jemand hatte die Tür aufgebrochen.

      Benedikt war gerade auf dem Weg zur Toilette, als er den Schrei und ein lautes Geräusch hörte. Das hatte sich angehört, als wäre jemand gefallen. Er klopfte sofort an die Badezimmertür, von wo er Jessica Barnes Stimme gehört hatte. Nie wäre er, ohne vorher anzuklopfen, eingetreten. Als sie jedoch auf seine Rufe nicht reagierte, er aber schmerzverzerrtes Stöhnen vernahm, wollte er die Tür öffnen, die zu seiner Verwunderung verschlossen war. Kurzerhand trat er sie ein.

      Er entdeckte Jessica Barnes in der Badewanne, zumindest halbwegs. Und er sah das Blut vor sowie in der Wanne. Dann fiel ihm auch ihre Blöße auf, sofort zog er sich seinen Bademantel aus und bedeckte