lehnte sie sich zurück und schloss erneut ihre Augen, doch sie bekam das Bild dieses Mannes einfach nicht aus dem Kopf.
„Ich hab keinen Bock ewig zu warten!“
Wie konnte sie ein derart unfreundlicher Mann bloß so schrecklich durcheinander bringen?
Es hatte keinen Sinn, sie konnte so nicht nachdenken. Also nahm sie sich Kanes Schreibblock und den Bleistift.
„Wollen Sie nicht mit mir reden?“
„Ich kann mich beim Schreiben besser konzentrieren“, verriet sie ehrlich.
Ben schüttelte verständnislos den Kopf, sagte aber nichts weiter.
Dennoch konnte Jessica nicht schreiben. Mit diesem Mann alleine in einem Raum zu sein lenkte sie viel zu sehr ab.
„Würden Sie mir eine Tasse Tee machen?“
Wenig begeistert ließ er die Frau endlich allein.
„…ich rannte auf die Lichter zu. Den Schmerz in meiner Hüfte ignorierte ich dabei. ‚Alles in Ordnung mit Ihnen?’ Ich sah auf eine Gruppe junger Leute. ‚Ja, alles bestens. Wisst ihr, ob hier irgendwo in der Nähe ein Internetcafé ist?’ Nachdem sie mir den Weg erklärt hatten, rannte ich die Straße entlang. Im Café angelangt setzte ich mich in die hinterste Ecke und sah mir diese Karte, die Anna mir gegeben hatte, genauer an. Zumindest den Teil, den ich entschlüsseln konnte.“
„Haben Sie den Originaltext irgendwo aufgeschrieben?“
Erschrocken zuckte Jessica zusammen. Ben stand hinter ihr und hatte bereits alles gelesen.
„Nein, nur gelesen.“
„Alles?“
„Nur das, was ich lesen konnte. Etwa zehn Prozent waren anders verschlüsselt. Ich schätze das war ein mathematischer Code, davon hab ich keine Ahnung.“
„Schreiben Sie weiter!“ forderte der Mann sie auf, während er zum Schreibtisch ging.
„Anna hatte gefordert, dass ich die Polizei raushalte. Nachdem ich nun so viel gelesen hatte, ergab das einen Sinn. Sie und ihr Team hatten nichts mit der Polizei zu tun, sie arbeiteten beim Geheimdienst eines anderen Landes. Zu welchem Land sie gehörten ging daraus nicht hervor. Allerdings waren Ergebnisse zu Recherchen verzeichnet, die zeigten, dass Anna einem ziemlich großen Verbrecherring auf der Spur war. Ich überprüfte einiges anhand des Internets und kam so zu der Überzeugung, dass Anna auf der richtigen Seite stand. Nun hatte ich die Wahl entweder zur Polizei zu gehen oder aber Sie aufzusuchen. Ein genauer Plan Ihres Verstecks befand sich auch auf dieser Karte. Auch wenn Anna mich gebeten hatte, die Polizei aus dem Spiel zu lassen, sah mein erster Impuls so aus, genau dort hinzugehen. Allerdings erinnerte ich mich an das Gespräch der Typen vor meiner Wohnung. Sie wollten zwei Menschen beseitigen und die Polizei hätte das sicher nicht verhindern können. Ob sie mir überhaupt glauben würden, bei meinem Ruf als Journalistin? Dennoch ging ich in Richtung Polizeistation, vor dem Eingang erkannte ich den Wagen. Es war derselbe wie der, an dem die Leute sich vor meiner Haustür unterhalten hatten.“
„…früher oder später wird sie hier auftauchen. - Was macht dich da so sicher? - Wo soll sie sonst hin? - Und wenn die Kleine ihr irgendwas verraten hat? - In der kurzen Zeit? Kein Mensch weiß, dass der alte Duck das Versteck im Osten entdeckt hat. Selbst wenn die Kleine irgendwas verraten haben sollte, ist es eh zu spät! - Wieso? - In genau sechs Stunden gehen die Beiden hoch. Wie soll die das verhindern? - Und wenn sie es doch schafft? - Dann nehmen wir sie in ihrem Hauptquartier hoch.“
Jessica war noch nicht fertig, da schrie Ben sie auf einmal an:
„Packen!“
Erschrocken fuhr sie zusammen.
Für einen Moment schien er irritiert, dass sie seinem Befehl nicht folgte, dann ordnete er an:
„Sitzen bleiben!“
Er selbst rannte die Treppen rauf. Kurze Zeit später kam er mit zwei Taschen wieder nach unten. Jessica hörte wie die Haustür ging, dann schien es, als wäre er in der Küche. Irgendwann stand er wieder vor ihr.
„Was wird das?“ fragte sie ihn irritiert, als er sie auf seine Arme hob.
„Wart’s ab!“
Ihr fiel auf, dass er die förmliche Anrede vergessen hatte. Sein entschlossener, harter Blick sorgte dafür, dass Jessica mal wieder stumm blieb.
Ben setzte die Frau in den Pickup. Sofort nachdem er gestartet war, stellte er den Lautsprecher seines Handys ein und wählte.
„Hast du noch was rausgekriegt?“ hörten sie Rons Stimme.
„So wie’s aussieht, kennen die unser Hauptquartier.“
„Was?“ fragte Jessica erschrocken.
Sie war so überzeugt davon, hier sicher zu sein, zumindest vor den Leuten, die Anna hatten.
„Und das fällt ihr erst jetzt ein?“
„So wie’s aussieht, hat sie das noch nicht mal begriffen.“
„Ich denke, sie hat dir das erzählt?“
„Aufgeschrieben“, war Bens knappe Antwort.
„Seid ihr unterwegs?“
„Klar.“
„Sonst noch was Wichtiges?“
„Nein.“
„Kane meint, du sollst sie weiter schreiben lassen.“
Ben beendete das Gespräch.
„Wo soll ich jetzt Stift und Zettel hernehmen?“ das klang mal wieder genervt.
„Der tut’s auch“, mit den Worten griff Jessica nach dem Laptop.
Ben riss ihn ihr aus der Hand.
„Kann ja wohl nicht so schwer sein, einfach mal zu erzählen!“
„Okay, ich versuch’s.“
Jessica dachte zurück an das zweite Gespräch, das sie belauscht hatte.
„Der eine Kerl redete dann über eine Tussi in einem Nachtclub. Die schien auch für diesen Duck zu arbeiten.“
„Name?“
„Wie der Nachtclub hieß, weiß ich nicht.“
„Und die Frau?“
„Madeleine Masskowski.“
„Woher wissen Sie das jetzt so genau?“
Jessica blickte angestrengt aus dem Seitenfenster und hoffte, dass der Mann die rötliche Verfärbung in ihrem Gesicht nicht bemerkte, als sie zugab:
„Das war der Name meiner Hauptdarstellerin in meinem ersten veröffentlichten Roman.“
„Merkwürdiger Zufall“, murmelte Ben.
„Ja, genau das dachte ich auch. Noch eigenartiger war allerdings der Name, den sie später erwähnten.“
„Welcher Name und wieso?“
Als sie nicht sofort etwas erwiderte, meinte er abfällig:
„Lassen Sie mich raten: das war der männliche Hauptdarsteller in Ihrem Schundroman?“
„Nein, das nicht, aber durch ihn… ach, das ist unwichtig.“
„Was unwichtig ist und was nicht, entscheide immer noch ich! Also, wer ist der Andere?“
„Sie meinen wohl, wer war er?“
„War?“
„Der Junge ist vor einigen Jahren zum Tode verurteilt worden.“
„Was haben die über ihn geredet?“
„Ich war schockiert, als ich den zweiten bekannten Namen hörte. Da hab ich den Rest nicht mehr mitgekriegt.“
„Na