Peter Graf

Das Vermächtnis von Holnis


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gebraucht wurden.

      Der Herbsttag, der so viel Unheil ans Licht brachte, begann mit Graupelschauern und war ungewöhnlich kalt. Schon Tage vorher hatte ich die alte Heizung im Keller in Betrieb gesetzt. Der Anblick der alten Heizungsanlage, die in einem der zahlreichen kleinen Kellerräume untergebracht war, beunruhigte mich. Bloß nicht hier unten eine neue Baustelle, die mit weiteren Kosten verbunden war! Unser Budget war weitgehend ausgereizt. Es brauchte nicht viel Fantasie herauszufinden, warum die Räume an diesem Tag einfach nicht warm werden wollten. Fluchend musste ich feststellen, dass der Warmwasserbereiter wie ein Sieb tropfte und wohl kein Weg daran vorbeiging, einen neuen Boiler zu kaufen. „Kann nicht auch mal was problemlos klappen!“, fluchte ich voller Wut, und selbst Sabines Beruhigungsversuche empfand ich als völlig unpassend. Am nächsten Tag war der Überziehungskredit ein Stück mehr belastet und im Kofferraum des alten Kombi befand sich ein Paket, das den Laderaum voll ausfüllte und bei dessen Gewicht ich mich die ganze Fahrt über fragte, wie ich diesen sicherlich zwei Zentner schweren Blechschrank nur in den Keller bekommen sollte. Selbst Jan, der auf dem Beifahrersitz saß und als Zimmermann kaum durch schwere Lasten zu beeindrucken war, konnte meine schlechte Laune nicht aufmuntern. „Runter kriegt man alles, rauf ist schwieriger. Hast wohl in Physik nicht richtig aufgepasst“, versuchte er mir zu erklären. Ich blieb ihm eine Antwort schuldig und steckte mir lieber eine Zigarette an.

      Jan hatte nach dem Abitur eine Lehre angefangen, und er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er von Akademikern nichts hielt. Das tat aber unserer Freundschaft keinen Abbruch und er war immer da, wenn man Hilfe brauchte. Er schien daran Freude zu haben, wenn eine Aufgabe möglichst kompliziert und fast nicht zu bewältigen war. Vielleicht wollte er damit aber auch deutlich machen, dass er als ordentlicher Handwerker anders als wir „Schreibtischtäter“ vor nichts zurückscheute. Als wir zwei Stunden später diesen Koloss von Heizungsschrank unten im Keller hatten, war ich nicht nur dankbar, ihn als Freund zu haben, sondern es war ein tolles Gefühl, wieder einen Schritt weiter zu sein. Mit den Worten „Pause, Flens“ brachte er zum Ausdruck, dass er sich ein Bier verdient hätte, wofür ich auch gerne den Laufburschen machte.

      Inzwischen hatte er die Kartonage entfernt und an der Kellerwand mit seinem Bleistift zwei Kreuze gemacht. „Da muss er ran“, erklärte er mir, noch bevor wir den Bügelverschluss der Flaschen geöffnet hatten. Die Wand sah keineswegs vertrauenserweckend aus. Der Putz war zum Teil abgebröckelt und der Mörtel zwischen den alten Ziegelsteinen war so sandig, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie man dort etwas befestigen sollte. Ich wollte nicht gleich wieder als Zweifler dastehen, um mir hinterher sein selbstgefälliges Gesicht anschauen zu müssen, wenn dann doch alles geklappt hatte. Es dauerte keine zwei Minuten, bis die Flaschen geleert waren und Jan mit dem Bohrhammer an der Wand stand. Obwohl er auch nicht viel Widerstand beim Bohren erwartet hatte, war er offensichtlich erstaunt, mit welcher Leichtigkeit der Bohrer im Stein verschwand. „Da kriegen wir keinen Dübel zum Halten“, stellte er fest. „Und das Ding“, er wies auf den Blechschrank, „wiegt mit Wasser drin allemal fünf Zentner.“ Beim nächsten Versuch musste er zunächst mit mehr Kraft bohren. Hier schienen die Ziegel ausreichend stabil zu sein, aber plötzlich traf der Bohrer auf keinen Widerstand mehr, und das eiserne Bohrfutter der schweren Maschine krachte unter dem Druck von Jans gesamten Oberkörper gegen die Steine. „Scheiße, so wird das nichts!“, schimpfte ich in der Gewissheit, dass doch mehr Arbeit auf uns wartete, als ich erhofft hatte. Einige Ziegelsteine hatten sich aus dem Mörtelbett gelöst und ich konnte sie einfach so abnehmen, als wären sie lose aufgestapelt. Voller Wut und Frustration riss ich einen Stein nach dem anderen heraus.

      „Toll“, fluchte ich, „wir sind hier an der Außenseite vom Haus. Das ist eine tragende Wand; wenn wir die wegreißen, dann hat das ganze Haus keine Standfestigkeit mehr.“ Mittlerweile hatte sich das Loch so vergrößert, dass man seinen Oberkörper hätte durchschieben können.

      Erst da wurde mir bewusst, dass hinter der Steinmauer doch eigentlich Erdreich hätte sein müssen. Aber da war nichts, ein Loch, ein schwarzer Hohlraum. Selbst Jan schien verblüfft und trat an das Loch heran. Das schwache Deckenlicht des Kellerraumes drang nur gering in den Hohlraum ein, aber dass nicht nur ein kleines Loch hinter der Maueröffnung lag, war unverkennbar. Jan rieb sich das Kinn wie immer, wenn er über etwas nachdachte, was er nicht gleich verstand. Diese Geste kannte ich von ihm, seit wir damals in der Schulzeit in Latein nebeneinander gesessen hatten. „Das ist doch hier die Außenmauer“, murmelte er mehr zu sich als zu mir. Er schob seinen Oberkörper etwas über den Rand der Mauer. „Nichts zu erkennen“, hörte ich ihn halblaut sagen. Eher zögerlich ging ich nach oben, um eine Taschenlampe zu holen. Ich wollte mir noch ein bisschen Zeit lassen, bis aus der Vermutung Gewissheit wurde, dass unten im Keller noch richtig viel Arbeit auf mich zukommen würde und absehbar noch weitere Verhandlungen mit der Bank. Jan hatte unterdessen das Loch erweitert, was nicht gerade zu einer Verbesserung meiner Laune beitrug.

      Ich richtete den Strahl der Taschenlampe in den Hohlraum. Was ich da erblickte, überstieg mein Fassungsvermögen. Das konnte doch nicht sein, nicht hier unter unserem Haus. Sofort spürte ich einen Druck auf dem Magen - ein Gefühl, das ich immer dann bekam, wenn irgendetwas Ungutes mich erwartete.

       „ Jan, guck dir das an!“, war das einzige, was mir über die Lippen kam.

       „Das gibt`s doch gar nicht“, hörte ich Jan flüstern, der sich neben mich geschoben hatte. „Das kann doch nicht sein!“ Vor uns tat sich im schwachen Lampenlicht ein Kellergewölbe auf, das hier einfach nicht hergehörte. Der Raum lag eindeutig außerhalb der Grundmauern der Villa, seine Wände bestanden aus unverputzten gelben Tonziegeln, die Decke war deutlich niedriger als die der Kellerräume der Villa und der Raum war groß, sehr groß. Die Decke, die in Halbbögen ebenfalls aus Ziegelsteinen gemauert war, wurde an mehreren Stellen in der Mitte des Raumes von eisernen Säulen getragen. Aber nicht der Raum als solcher ließ uns erschauern:

      An den Wänden stand in zwei Etagen übereinander gestapelt eine Vielzahl an hölzernen Kisten, deren Ausmaße keinen Zweifel über den Inhalt zuließen. Ich überschlug ihre Anzahl und kam auf allemal sechzig, und auch wenn deren Schatten an der hinteren Wand sie größer erscheinen ließ, waren sie rund zwei Meter lang, einen halben Meter breit und ebenso hoch. Es brauchte wahrhaftig nicht viel Fantasie zu erraten, wozu die Kisten dienten.

      Jan hatte sich schnell wieder gefangen und begann weitere Steine abzutragen , um einen Durchgang zu schaffen. „Spinnst du!“, schrie ich. Ich hätte am liebsten sofort das Loch wieder zugemauert, um mir den Anblick zu ersparen. Einfach wegdenken, und das Problem gäbe es gar nicht mehr. In Jans Stimme war tatsächlich so etwas wie Neugier herauszuhören: „Die sind bestimmt leer.“ Er war einfach nicht aufzuhalten. Das was ich so oft an ihm bewunderte, machte mich jetzt wütend und hilflos. Ich wollte da nicht rein, aber ich wollte auch nicht, dass er da alleine reinging. Also standen wir beide einen Moment später im Gewölbe, und am liebsten hätte ich mich an seinem Arm festgeklammert.

      Die Luft hier drinnen war zwar erstaunlich trocken, aber woher der modrige Geruch kam, stand für mich außer Frage. Und als Jan das Ende einer Kiste anzuheben versuchte und es ihm nur mit Mühe gelang, stand für mich fest, dass er mit seiner Vermutung Unrecht hatte. Die Kisten waren ganz sicher nicht leer.

      „Das müssen wir irgendwo melden“, flüsterte ich Jan zu und meine eigene gedämpfte Stimme bereitet mir weiteres Unbehagen.

      „Lass uns doch erst mal gucken, was drin ist. Das kann doch nicht schaden.“

      „Nee, das machst du nicht. Das ist mein Haus.“ Ein besseres Argument fiel mir beim besten Willen nicht ein.

      Auf einer der Kisten lag ein Paket, und um Jan wenigstens ein bisschen Tatkraft zu demonstrieren, ging ich mit weichen Knien darauf zu und nahm es hoch. Es war eingewickelt in einen alten Lappen, der steif von getrocknetem Öl war. In dem Lappen befand sich ein Buch, eingebunden in billiges Leder, auf das eine Art Baum, ein Doppelbaum, geprägt war. Vorsichtig schlug ich den Einband auf. Seite um Seite war beschrieben in einer makellosen schwarzen Schrift, die mich sofort gefangen nahm. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass Jan im Dunkeln stehen würde, als ich mich auf eine der Kisten hockte und gebannt im Schein der Taschenlampe zu lesen begann.

      2

      „Geh