Anna-Irene Spindler

Die Frau vom Schwarzen See


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es ja sogar einen Backofen. Dann konnte sie runde knusprige Brote backen.

      Voller Begeisterung klatschte sie in die Hände. Oh nein! Andreas Mundl würde es nicht bereuen, sie geheiratet zu haben!

      Mit einem Ruck kam die Kutsche zum Stehen. Agnes war eingenickt und rutschte von der Bank.

      „Aua!“, schrie sie empört und rieb sich die schmerzenden Knie.

      „Wir sind da Ma’am!“, rief der Kutscher fröhlich und riss die Tür auf.

      „Wo sind wir?“, fragte Agnes benommen. Wurde sie abrupt aus dem Schlaf gerissen, dauerte es immer eine Weile, ehe ihr Verstand in Schwung kam.

      „Na in Cudeca, wo denn sonst. Da wollten Sie doch hin, oder etwa nicht?“

      Den breitkrempigen Hut in den Nacken geschoben, musterte der Kutscher die verwirrt dreinblickende Frau, die auf dem Boden seiner Kutsche hockte und keinerlei Anstalten machte aus zu steigen.

      „Was machen Sie da unten?“, fragte er neugierig. „Haben Sie etwas verloren?“

      Agnes rutschte auf dem Hintern zur Kutschentür, schob ihre Beine hinaus und stellte sich hin. Während sie ihren Rock zurechtrückte und glatt strich, sagte sie so würdevoll wie möglich:

      „Nein ich habe nichts verloren. Aber danke der Nachfrage.“

      Dann wurde ihr mit einem Schlag bewusst, dass sie tatsächlich am Ende ihrer Reise angekommen war. Dass es nicht mehr lange dauern würde, dann stünde sie ihrem Ehemann gegenüber. Während der Kutscher ihre Reisetasche aus dem Gepäcknetz auf der Rückseite der Kutsche holte, trat Agnes ein paar Schritte beiseite. Das also war Cudeca. Langsam drehte sie sich im Kreis. Kein Mensch war zu sehen. Der Ort schien völlig verlassen zu sein.

      Agnes runzelte die Stirn. „Hier ist ja Keiner. Wo sind denn die Einwohner?“

      Der Kutscher stellte die Reisetasche neben sie und holte seine Taschenuhr hervor. „Es ist Mittagszeit. Da sitzen die Leute beim Essen“, klärte er sie auf.

      Agnes lachte. Natürlich. Im Böhmerwald war es genauso gewesen. Zwischen zwölf und ein Uhr hatte nie jemand gearbeitet. Sie hatte es nur beinahe schon vergessen. In Manhattan waren Tag und Nacht Menschen auf der Straße unterwegs gewesen.

      Agnes bezahlte den Kutscher. Dabei fragte sie ihn noch nach der Kirche. Timothy Walsh hatte in seinem Brief an seinen Freund Father Gregory geschrieben, sie sollte sich nach ihrer Ankunft bei ihm melden. Er würde sie zu Andreas Mundl bringen. Der Kutscher deutete auf das nördliche Ende des Ortes. Dort machte die Straße eine Biegung. Hinter der Kurve würde sie die Kirche finden, erklärte er ihr. Dann stieg er auf den Bock. Zum Gruß tippte er an seinen Hut, schnalzte mit der Zunge und sein Gefährt setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Agnes wartete ein paar Augenblicke, bis sich der aufgewirbelte Staub verzogen hatte, dann nahm sie ihre Tasche und ging die Straße entlang in die beschriebene Richtung.

      Einige Minuten später stand sie vor der kleinen, weiß gestrichenen Holzkirche. Während sie noch überlegte, wo sie den Pfarrer wohl finden würde, hörte sie es hinter der Kirche klappern. Als sie um die Ecke bog, sah sie einen Mann, der mit einer Hacke in der Hand eifrig Unkraut zwischen Bohnenpflanzen entfernte. Seine derbe graue Arbeitshose war dreckverschmiert, das gestreifte Hemd durchgeschwitzt. Der Strohhut war ausgefranst und sah aus, als hätte sich eine ganze Mäusefamilie daran gütlich getan.

      „Guten Tag, Sir. Könnten Sie mir sagen, wo ich Father Timothy Walsh finde?“, fragte Agnes höflich.

      Der Mann richtete sich auf. Neugierig musterte er die junge Frau. Er kannte jeden Einwohner von Cudeca und auch dreißig Meilen im Umkreis. Sie hatte er hier noch nie gesehen. Er lüpfte den Hut zur Begrüßung und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn. Dann stieg er vorsichtig über seine Bohnen und kam zu ihr.

      „Guten Tag, Miss. Ich bin Father Timothy. Aber ich glaube nicht, dass wir uns kennen. Ein so reizendes Gesicht hätte ich bestimmt nicht vergessen.“

      Agnes lächelte. Das war ja schon mal ein guter Anfang.

      „Nein, wir kennen uns in der Tat noch nicht. Father Gregory O’Byrne hat mich an Sie verwiesen. Ich bin Mrs Agnes Mundl, die Ehefrau von Andreas Mundl.“

      Der Schall der Posaunen, die das Jüngste Gericht ankündigten, hätte auf Father Gregory keine erschütterndere Wirkung haben können. Die Harke fiel ihm aus der Hand und seine Kinnlade nach unten. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starrte er sie an. Sein sonnengebräuntes Gesicht büßte jegliche Farbe ein. Er wurde genauso weiß, wie die Wände seiner Kirche. Unsicherheit beschlich Agnes. Sie konnte sich keinen Reim auf diese Reaktion machen. Als der Priester keinerlei Anstalten machte zu reden, fragte sie:

      „Stimmt etwas nicht? Geht es Ihnen nicht gut, Father?“

      Timothy Walsh setzte zum Sprechen an, aber nur ein heiseres Krächzen kam aus seinem Mund. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal.

      „Das ist nicht möglich! Wie sagten Sie, ist Ihr Name?“

      Nun war Agnes wirklich beunruhigt. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.

      „Mein Name ist Agnes Mundl. Ich habe Andreas Mundl per Ferntrauung geheiratet. Sie selbst schickten die Papiere nach New York. Am 23. April habe ich sie unterschrieben und anschließend vor Father O’Byrne in der St. Anthony Church das Ehegelübde abgelegt.“

      „Ich verstehe das nicht. Vor zehn Tagen habe ich Gregory mitgeteilt, dass sich die Angelegenheit erübrigt hat.“

      „Ich habe New York zwei Tage nach der Eheschließung verlassen. Ich war drei Wochen unterwegs. Was meinen Sie mit ‚die Angelegenheit hat sich erübrigt‘? Was hat sich erübrigt?“

      Agnes Stimme klang gehetzt. Mit einem Schlag war die Angst wieder da. Sie kramte die Heiratsurkunde aus der Tasche und hielt sie Father Timothy unter die Nase.

      „Ich bin die rechtmäßige Ehefrau von Andreas Mundl. Hier, sehen Sie! Da ist Ihre Unterschrift. Und die von Mr Mundl ebenfalls. Und hier ist meine und die von Father O’Byrne. Das Siegel ist auch da. Nichts hat sich erübrigt. Es ist alles rechtens.“

      Beschwörend sah sie ihn an. Father Timothy hatte die Hände vor dem Mund gefaltet und schüttelte ungläubig den Kopf. Panik stieg in Agnes hoch.

      „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wo ich Mr Mundl finden kann“, sagte sie mit zittriger Stimme.

      Der irische Priester atmete tief ein, dann sah er Agnes in die Augen.

      „Ich bringe Sie zu ihm. Ihre Tasche können Sie solange hier lassen. Es ist nicht weit.“

      Er drehte sich um und verschwand hinter der Kirche. Agnes folgte ihm. Unversehens fand sie sich auf dem kleinen Friedhof wieder.

      ‚Seltsame Abkürzung‘, dachte sie und stieß gegen den Rücken des Pfarrers, der unvermittelt vor ihr stehen geblieben war.

      „Entschuldigung“, stammelte sie. Es war ihr peinlich ihn angerempelt zu haben. Als er keine Anstalten machte weiterzugehen, beugte sie sich zur Seite und lugte an ihm vorbei. Zu seinen Füßen befand sich ein frisch aufgeworfener Grabhügel, auf dem ein schiefes Holzkreuz steckte. Die Buchstaben und Zahlen darauf waren schwarz. Agnes Finger krallten sich in Father Timothys Arm, als sie las, was in das Holz eingebrannt war:

       Andreas Mundl, geboren 1839, gestorben 1871

      Während der ganzen Reise hatte sie sich ausgemalt, wie ihr Ehemann wohl aussehen und wie die erste Begegnung verlaufen würde. Und nun stand sie vor seinem Grab.

      „Was ist passiert?“ Ihre Stimme war so leise, dass Father Timothy sie kaum verstehen konnte.

      „Es war ein Sonnabend. Andy, so nannten wir Ihren Mann, spendierte im Saloon Freibier für Alle. Er wollte seine baldige Eheschließung feiern. Als die Männer schon ziemlich angetrunken waren, kam es zu einer Schlägerei. Andy stürzte und brach sich das Genick. Niemand hatte Schuld. Es war ein Unfall.“

      Er