Anna-Irene Spindler

Die Frau vom Schwarzen See


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muss es nicht. Ich kannte doch nur seinen Namen.“

      Ihren tapferen Worten zum Trotz spürte er wie sie zitterte.

      „Kommen Sie mit. Ich denke eine kleine Stärkung wird Ihnen gut tun.“

      Agnes war froh, dass der Priester sie bis zu der kleinen Steinbank neben der Kirche führte. Ihre Beine trugen sie kaum noch. Zu groß war der Schreck über diese unerwartete Entwicklung. Der Priester verschwand in dem kleinen Häuschen, das direkt an die Kirche angebaut war. Mit einer Flasche und einem Glas kam er kurze Zeit später wieder zurück. Er schenkte sehr großzügig ein. Agnes zitterte so sehr, dass sie mit beiden Händen zugreifen musste. Der Whiskey brannte in der Kehle und trieb ihr Tränen in die Augen. Aber das Zittern ließ nach.

      „Was soll ich denn jetzt machen?“, murmelte sie. „Als mir Father O’Byrne von Andreas Mundl und seinem Wunsch nach einer Ehefrau aus dem Böhmerwald erzählte, dachte ich wirklich das Glück wäre diesmal tatsächlich auf meiner Seite. Aber es soll mir wohl einfach nicht vergönnt sein, auch einmal die Sonnenseite des Lebens kennen zu lernen. Was wird denn jetzt aus mir?“

      Gegen ihren Willen entrang sich ihr ein Schluchzer, der aus der Tiefe ihrer unglücklichen Seele zu kommen schien. Die schiere Verzweiflung in den Augen sah sie Father Timothy an. Ein mildes Lächeln huschte über das Gesicht des Priesters.

      „Zeigen Sie mir bitte noch einmal Ihre Heiratsurkunde?“

      Agnes kramte das Dokument aus der Reisetasche und reichte es ihm. Father Timothy drehte es um und überflog die Rückseite. Mit dem Finger wies er auf den dritten Absatz. „Hier steht es. Sehen Sie!“

      Agnes las: „Im Falle meines Todes hinterlasse ich meinen gesamten Besitz meiner Ehefrau.“

      Agnes ließ das Papier sinken und sah den Priester verständnislos an.

      „Andy war der Eigentümer einer ansehnlichen Farm. Er hat ihr einen seltsamen Namen gegeben. Ich kann ihn mir nicht merken. Dieses Dokument besagt, dass diese Farm jetzt Ihnen gehört. Grund und Boden, Haus, sämtliche Gerätschaften und das Vieh“, erklärte er ihr.

      Stumm hielt Agnes ihm das leere Glas hin. Father Timothy lachte, als er ihr nochmal einen ordentlichen Schluck einschenkte. Sie kippte den Whiskey auf einmal hinunter. Dann hatte sie sich soweit gefangen, dass sie wieder klar denken konnte.

      „Wo ist der Haken an der Geschichte? War Mr Mundl verschuldet?“

      Agnes war immer noch skeptisch.

      Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß von keinen Schulden. Andy war ein sehr gewissenhafter und ehrenwerter Mann. Er hätte bestimmt nicht mehr Geld ausgegeben, als er besaß. Und gespielt hat er auch nicht.“

      „Das heißt also, dass ich die Eigentümerin einer schuldenfreier Farm bin“, vergewisserte sich Agnes.

      „Genau“, bestätigte Father Timothy. „Ich schlage vor, wir gehen jetzt zum Friedensrichter. Er hat seit Andys Tod einen Schlüssel zum Farmhaus.“

      Er stand auf und streckte Agnes die Hand hin.

      Der Friedensrichter war genauso konsterniert wie Father Timothy, als ihm Agnes ihren Namen nannte. Die Heiratsurkunde überzeugte ihn immerhin davon, dass er es mit keiner Betrügerin zu tun hatte. Trotzdem hatte Agnes den Eindruck, der Friedensrichter war nicht wirklich begeistert von ihrem Auftauchen. Nur widerwillig überließ er ihr den Schlüssel zum Farmhaus. Auch mit der Information, dass beim Schmied Andy Mundls Pferd und Wagen untergestellt waren, rückte er erst nach mehrmaligem Nachfragen durch Father Timothy heraus. In einem Nebensatz erwähnte er noch, dass sich ein gewisser Tiny Duroc, der Nachbar ihres Mannes, seit seinem Tod um das Vieh kümmerte und auf der Farm hin und wieder nach dem Rechten sah.

      Schließlich war alles geklärt. Der Friedensrichter und der irische Priester begleiteten Agnes zum Mietstall um sicherzustellen, dass der Schmied Wagen und Pferd an die junge Frau übergab. Freddy Tumbler, dem Schmied, blieb der Mund offen stehen, als Agnes sich weigerte, sich von irgendeinem der Männer begleiten zu lassen. Als er sah, wie souverän Agnes das riesige Shire Horse vor den vierrädrigen offenen Transportwagen spannte, verkniff er sich jedoch jegliche Kritik. Ebenso erging es den beiden anderen Männern. Das Einzige was Agnes an Hilfe akzeptierte, war der Kompass, den Father Timothy noch schnell holte.

      „Sie können ihn mir ja wieder zurück bringen, wenn Sie mit der Strecke vertraut sind“, sagte er und drückte ihr den Kompass in die Hand. „Bis zu Ihrer Farm sind es sieben Meilen. Es führt keine richtige Straße dorthin. Aber Fahrspuren sind schon zu erkennen. Wenn Sie sich immer genau in Richtung Norden halten, können Sie sie nicht verfehlen.“

      Er war ihr beim Aufsteigen behilflich.

      „Soll ich Sie nicht doch lieber begleiten?“ Agnes schüttelte den Kopf.

      „Danke für das Angebot. Aber Sie haben schon mehr als genug für mich getan. Ich finde den Weg auch alleine. Außerdem habe ich ja Ihren Kompass.“

      Sie schüttelte ihm die Hand, grüßte den Friedensrichter und den Schmied noch freundlich. Dann schnalzte sie mit der Zunge und das kräftige dunkelbraune Kaltblut setzte sich in Bewegung. Die drei Männer standen auf der Straße und schauten ihr nach, bis sie hinter dem letzten Haus des Ortes verschwand.

      „Wer hätte das gedacht“, brummte der Friedensrichter vor sich hin, als er langsam zu seinem Büro zurück trottete.

      Als Agnes sicher war, dass man sie vom Ort aus nicht mehr sehen konnte, zog sie die Zügel an und das Pferd blieb stehen. Sie wickelte die Zügel um den Bremshebel. Dann stieg sie ab. Sie schwankte leicht. Der Whiskey, den sie auf leeren Magen hinunter gestürzt hatte, tat seine Wirkung. Aber das war es nicht allein. Von dem Augenblick an, als ihr Father Timothy das Grab ihres Ehemannes gezeigt hatte, hatte sie unaufhörlich darum gekämpft, nicht die Fassung zu verlieren. Die unfassbaren Dinge, die in den letzten zwei Stunden auf sie eingeprasselt waren, hatten sie an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht. Aber um nichts in der Welt, hätte sie vor den Männern eine Schwäche eingestanden. Sonst hätten die drei sie niemals alleine zu ihrer Farm fahren lassen. Und das wollte sie nicht. Nun da zum ersten Mal in ihrem Leben die Unabhängigkeit zum Greifen nahe war, wollte sie nicht gleich von fremden Menschen abhängig sein. Sie trat neben den Kopf des schweren Zugpferdes. Der Hengst blähte die Nüstern und roch an ihren Haaren. Dann schnaubte er leise. Liebevoll streichelte sie das Tier zwischen den Augen. In diesem Moment löste sich ihre Anspannung. Den Kopf an den Hals des Pferdes gelehnt, weinte sie Tränen der Erleichterung und der Freude. Erleichterung und Freude darüber, dass sich endlich einmal alles zum Guten gewendet hatte. Als die Tränen versiegten, trocknete sie sich das Gesicht mit ihrem Rock ab. Sie streichelte dem geduldigen Hengst noch einmal über den Hals, dann kletterte sie wieder auf den Bock des Wagens.

      „Na gut, mein Junge! Dann lass uns nach Hause fahren“, rief sie vergnügt.

      Sie ließ die Zügel leicht auf den Rücken des Pferdes fallen und es verfiel in einen flotten Trab.

      Die warme Nachmittagssonne schien ihr ins Gesicht. Der bewaldete Höhenzug, den sie vor ihrer Ankunft in Cudeca in der Ferne gesehen hatte, lag nun vor ihr. Es sah tatsächlich aus wie daheim im Böhmerwald. Zwischen den dunklen Nadelbäumen schimmerten jetzt Mitte Mai hellgrüne Laubbäume. Die schneebedeckten Gipfel des Hochgebirges traten klar vor dem tief dunkelblauen Himmel hervor. Agnes ging das Herz auf, als sie diese unbeschreiblich schöne Gegend vor sich liegen sah. Wenn die Fahrspuren nicht gewesen wären, die durch ein Meer von wogendem Gras führten, hätte man glauben können, keine Menschenseele hätte dieses paradiesische Land jemals zuvor betreten.

      Bereits von Weitem sah sie, dass sie am Ziel ihrer langen, langen Reise angelangt war. Die Fahrspuren teilten sich. Die eine führte durch das Grasmeer weiter gen Norden, die andere unter einem grob zusammen gezimmerten Torbogen hindurch nach Westen. Zwei fast drei Meter hohe Pfosten waren links und rechts in die Erde gerammt worden. Verbunden waren sie durch eine geschwungene Holzplanke. SCHWARZER SEE stand darauf. Die Buchstaben waren in das Holz eingekerbt und die Kerben mit schwarzer Farbe ausgefüllt worden. So konnte man den Namen schon von Weitem lesen.

      „Schwarzer