Anselm Weiser

Der Fluch des Nazigoldes


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R. erhob sich aus dem Fauteuil und murmelte. »Ja, - wenn - wenn ...!« Es war Zeit, ein paar Schüsse abzufeuern. Er lud die Trommel seines Revolvers nach und feuerte sie leer. Wie gut das tat! Dann setzte er sich hin und begann weiter zu grübeln.

      Die Jahre auf der NAPOLA hatte Franz damals für die unangenehmsten seines Lebens gehalten. Jetzt als E. R. gedachte er ihrer mit einer gewissen Wehmut. Sie waren sorglos gewesen und noch reinen Gewissens.

      »Was soll das jetzt heißen, verdammt« fuhr E. R. sich selbst an. Sollten ihn auf seine alten Tage Gewissensbisse belasten? Für Dinge, die auf dem Weg nach oben notwendig waren. Sie waren als Pflichterfüllung zu werten! Man konnte aber auch - und darin hatte er Übung - die unangenehmen Erinnerungen weglassen.

      Mit den Wölfen heulen konnte man Franz Tun in jener Zeit nennen. Was man zu denken hatte, wurde einem eingetrichtert. Eigene Gedanken, die er sich trotzdem erlaubte, behielt er für sich. Die Begeisterung vieler seiner Kameraden und das Glänzen in ihren Augen, wenn sie vom Führer sprachen, vom Tausendjährigen Reich, vom Heldentum und Opferbereitschaft, konnte er nicht nachvollziehen. Er spielte mit. Freundschaft oder Liebe waren ihm fremd geworden, ausgelöscht, er kannte sie nicht mehr und wollte sie nicht kennen.

      Im Jahre 1936, den Zwängen der NAPOLA entkommen, begann er auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Berlin. Sein Vater begann sich wieder um ihn zu kümmern. Es war das Jahr der Olympiade, einer allgemeinen Hochstimmung mit wirtschaftlichen und politischen Erfolgen im erstarkenden Deutschland. Die großartig erscheinenden Ereignisse beeindruckten Franz trotz seiner Gemütskälte. Die zur Schau getragene Großspurigkeit der neuen Führungsschicht, zu der er sich als Sohn von Dr. Heinrich Stielhammer zählen durfte, lag auf seiner Linie.

      Dass er neben seinem Studium, das er bravourös bewältigte, als aktives Mitglied der SS wirkte, war für ihn selbstverständlich. Dass es zwischen dem Recht, das er erlernte und seinem Tun unüberbrückbare Gegensätze gab, verdrängte er geflissentlich. Bedauern über das unmenschliche und ungesetzliche Vorgehen gegen Juden, Linke und andere Volksschädlinge gelang ihm nicht. Es waren, so empfand er es damals als Franz und heute noch als E. R., notwendige Säuberungen. Sie waren es nicht wert, das eigene Gewissen damit zu belasten. Mitleid war als Schwäche einzustufen, dass hatte er gelernt.

      Als junger Untersturmführer und Leutnant erhielt Franz im März 1938 den ehrenvollen Auftrag, eine Eskorte zur persönlichen Bewachung des Führers beim Einmarsch in Österreich zu begleiten. In ihren schwarzen Uniformen fielen die ausgesuchten Männer in den Straßen Wiens nicht nur auf, sie wurden auch bestaunt und bejubelt.

      E. R. erinnerte sich mit Stolz an diese Monate in der begeisterten Donaustadt. Weniger Freude bereitete ihm die Erinnerung an den missglückten Versuch, sich die schöne Jüdin aus dem Buchladen in der Rotenturmstrasse sexuell gefügig zu machen. Später erfuhr er, dass sein Vater Dr. Stielhammer als brillanter Jurist 1938 im Führungsstab Hitlers an der Verordnung für die Anmeldung des Vermögens von Juden für die Arisierung in Österreich mitgewirkt hatte. Diese Verordnung überzeugte so sehr, dass sie später auch für das Reichsgebiet übernommen wurde.

      Im Jahre 1940, wenige Monate nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, mit dem der zweite Weltkrieg begann, beendete Franz sein Studium. Inzwischen hatte Himmler die Waffen-SS gegründet. Er trat auf Wunsch des Vaters im Rang eines Obersturmführers und Oberleutnant, den er schon in der SS bekleidet hatte, dieser neuen elitären Truppe bei. Eigenschaften wie Körpergröße und Aussehen waren Voraussetzung für die Aufnahme.

      Als erste Aufgabe übernahm er die Indienststellung eines Kompaniechefs in einem Ersatzregiment in Krakau. Die jungen Rekruten waren ausschließlich Volksdeutsche, Holländer, Belgier, Flamen, Skandinavier und andere, die als sogenannte Freiwillige rekrutiert wurden. Vielen von ihnen, die aus der Geborgenheit ihrer Familien ausgebrochen waren, entsprach das Soldatenleben im fremden Land nicht ihren Vorstellungen. Eingerichtete Freudenhäuser sollten den Neuankömmlingen die Ankunft erleichtern. Für viele war das ein Schock.

      Obersturmführer Franz Stielhammer hätte bessere Angebote nutzen können. Er stellte jedoch fest, dass seine Bedürfnisse in dieser Hinsicht bescheiden waren. Seine bisherigen Erfahrungen in Sachen Liebe waren für ihn wenig erfreulich. Statt Zärtlichkeit war für ihn das Beherrschen und das Dominieren wichtig.

      Als im Sommer 1941 der Wahnsinn des Russlandfeldzuges begann, wurde Stielhammer mit dem Kommando über eine Flakbatterie betraut. Inzwischen war er zum Hauptsturmführer befördert worden. Auch hier hatte der Einfluss des Vaters mitgespielt. Dieser wusste aus eigener Erfahrung, dass die Überlebenschancen bei der Artillerie größer waren. Mit seiner übertriebenen Zackigkeit und mit Parolen wie, in einem Monat sind wir in Moskau und seinem Halbfluch Himmelzwirn machte er sich lächerlich.

      Die Erinnerung an die ersten Monate des zunächst siegreichen Vorstoßens, der durch Lieder wie, ... es ziehen nach Osten die Heere ins russische Land hinein ..., zusätzlich angeheizt wurden, erfüllten E. R., der sich in solchen Momenten in Stielhammer zurückverwandelte, mit Begeisterung. Der anfängliche Siegestaumel war schnell verflogen. Je weiter die Jahreszeit fortschritt, desto schwieriger wurde das Vordringen in den Weiten Russlands. Mit jedem Kilometer und jedem Tag schwanden die Kräfte. Die Toten am Weg beeindruckten ihn nur, weil sie ihn an die eigenen Gefahren erinnerten. Das Leben anderer galt ihm nicht viel.

      E. R. fühlte Wut in sich aufsteigen und drehte sich in Richtung Zielscheibe. Legte den noch in seiner Hand liegenden Revolver an und drückte ab, was nur ein Klicken des Hahnes bewirkte. Auch dieses Geräusch schien ihn zu befriedigen, er ließ es mehrmals ertönen. Mit einem laut ausgesprochenen »Scheiße« ließ er den Fluss seiner Erinnerungen weiterlaufen.

      Die Kämpfe durch die unendlichen Weiten, der knietiefe Schlamm und später die Schneemassen und die Kälte des unbarmherzig hereinbrechenden Winters, ließen Franz Siegesträume zu Eis erstarren. Die gedankenlose Bemerkung eines Unterscharführers, unser GRÖFAZ wird wissen, was gut für uns ist, die Stielhammer zugetragen wurde, quittierte er mit der sofortigen Absetzung des Geschützführers. Dieser mit dem EK I ausgezeichnete Mann wurde später in ein Strafbataillon versetzt. Bei der unsinnigen Erstürmung einer russischen Stellung kam er ums Leben. Stielhammer hatte den Befehl erhalten, mit seiner Batterie die Festung Istra, wenige Kilometer vor Moskau, mit Pressluftgranaten sturmreif zu schießen. E. R. war noch stolz auf diese, seine einzige Heldentat.

      »Dort wurde ich schwer verwundet.« So pflegte Franz seine Erfrierungen an den Füßen zu umschreiben. Eine Feindeskugel wäre zwar ehrenvoller als eine Verletzung durch Väterchen Frost, aber was soll es. Er kam in ein Lazarett in Prag und erhielt neben dem sogenannten Gefrierfleischorden, den er verdient hatte, das ersehnte EK I. Hinter der Auszeichnung war mangels spezieller Heldentaten wieder die Hand des Vaters zu vermuten. Die Heldenbrust, sein schneidiges Auftreten und gutes Aussehen verschafften ihm bei den ihn hingebungsvoll pflegenden Schwestern Chancen, die er zu seiner eigenen Verwunderung nicht nutzte. Das Erobern, wenn es mit Nötigung verbunden war, brachte ihm Befriedigung, nicht die Liebe.

      Nach seiner als geheilt erfolgten Entlassung wurde er nicht an die Front abkommandiert, sondern erhielt eine Abstellung zum Kriegsgericht. Im Juli 1943 erhielt er das Kommando über Standorte von Ersatzeinheiten in München. Hier konnte er wie gewohnt Strenge walten lassen, während er außerhalb der Kaserne ein ungewohntes, ihm zusagendes Leben führte. Er war zum Sturmbannführer avanciert und hatte die Gunst einer älteren Dame erworben. Sie war Witwe eines in den ersten Kriegstagen gefallenen Wehrmachtsgenerals, adlig, wohlhabend und lebte in einem Schlösschen südlich von München. In Dr. Franz Stielhammer sah sie einen gutaussehenden, eleganten und charmanten jungen Begleiter. Sein schwaches sexuelles Interesse, sah sie als vornehm und dem Altersunterschied angemessen an.

      Die kulturelle und gesellschaftliche Infrastruktur der Stadt war bis zu den verheerenden Bombenangriffen im Sommer 1944 weitgehend intakt. Das Schloss im Grünen, wie er es nannte, war während der schlimmen Zerstörungen, von denen auch die Kaserne betroffen war, ein sicherer Hort. Die Dienststunden in der Kaserne wurden ihm immer lästiger, was ihn als Vorgesetzten gereizt auftreten ließ und noch unbeliebter machte. Er hatte