Anselm Weiser

Der Fluch des Nazigoldes


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Stielhammer in Mailand eintraf, stand der Konvoi bereit. Jede Zugmaschine mit einem Fahrer und vier Mann Besatzung, die mit Sturmgewehren bewaffnet waren. Es schienen ausgesuchte Leute zu sein, die, wie man ihm gesagt hatte, vom wirklichen Inhalt der Munitionskisten nichts wussten. Stielhammer fragte sich, wer die Kisten beladen hatte, und wo diese Leute waren und auf welche Art man sie zum Schweigen verpflichtet hatte. Er unterschrieb das Übernahmeprotokoll und zwang den Mann, der es ihm vorgelegt hatte, unter Protest mit ihm in den bereitstehenden Spähwagen zu steigen. Er befahl, sich mit diesem an die Spitze der Kolonne zu stellen und abzufahren. Es war sechs Uhr morgens, die Straßen waren leer, unheimlich leer. Mailand glich einer Geisterstadt.

      E. R. ließ das Geschehene in sich so wach werden, dass er nicht vergaß, sich in seinen Erinnerungsorgien mit seinem ersten Ich zu identifizieren und für Augenblicke darin aufging.

      Von Mailand ging es nach Como, wo Stielhammer sich entschloss, die Straße am linken Comer Seeufer entlang zu fahren. Die Nachrichten von der näher rückenden Front am Isonzo beunruhigten ihn. Ein plötzlicher Durchbruch der Truppen von General Clark schien möglich. Das wunderbare Frühlingswetter, die in voller Blüte stehende herrliche Landschaft und die Aussicht auf eine unbeschadete Heimkehr beschwingten die Soldaten, die zu singen begannen. Bei Pianello wurde der Konvoi von einem Kradfahrer angehalten, der Stielhammer meldete, bei Dongo sei ein Mannschaftswagen der Wehrmacht von Partisanen mit Schüssen gestoppt worden. Angeblich sollten Mussolini und seine Geliebte, die sich mit deutschen Uniformen und Stahlhelmen getarnt hatten, vom Wagen geholt und verhaftet worden sein. Ein Durchkommen sei nicht möglich, hieß es.

      E. R. fühlte Stolz in sich aufsteigen, dass er - das heißt Stielhammer - sich entschlossen hatte weiterzufahren, um sich den Weg notfalls freizuschießen. Er ließ die Parole durchgeben Zurückhaltung zu üben, nicht zu provozieren und erst bei Feindbeschuss das Feuer zu erwidern. Die Männer setzten die Stahlhelme auf, die sie in ihrer Euphorie abgenommen hatten. Ihre Lieder waren verstummt. Stielhammer hatte die fatale Situation des Reiches für den Moment vergessen. Er nahm sich vor, sollte man Mussolini entdecken, das Husarenstück Skorzenis zu wiederholen und den Duce herauszuhauen. Daraus wurde nichts. Einer seiner Leute hatte die Nerven verloren und bei den ersten Häusern des Dorfes Dongo auf mit Gewehren herumfuchtelnde Partisanen geschossen. Das hatte zur Folge, dass in Sekunden kein Mensch mehr zu sehen war, obwohl aus den Fenstern geschossen wurde. Das Kettengerassel der schweren Zugmaschinen vermischte sich mit dem Schusslärm der Sturm- und Maschinengewehre zu einem ohrenbetäubenden Spektakel. Die Lust auf das Abenteuer einer Befreiung Duces war Stielhammer gründlich vergangen.

      Als sie den Ort passiert hatten, wurde die hintere Zugmaschine von einer Maschinengewehrsalve aus einem der letzten Häuser eingedeckt. Das hätte sich verheerend ausgewirkt, wenn nicht das hinterherfahrende Geschütz als Kugelfang gedient hätte. Es wurden zwei Mann verletzt und ein Doppelreifen der hinteren Lafette zerschossen. Stielhammer ließ nach einigen Minuten halten, um mit einem wütenden »Himmelzwirn - verdammt« den Schaden zu betrachten. Am liebsten hätte er die zwei Verwundeten am Straßenrand abgesetzt, spürte aber, dass er damit die Gehorsamspflicht der Kameraden zu sehr strapazieren würde. Er befahl, sie auf die erste Zugmaschine zu bringen und so gut es ging zu versorgen. Den aus Mailand mitgenommenen verängstigten und verstörten Banker, dem er die Übernahme des Goldtransportes bestätigt hatte, nahm er die Papiere unter Drohungen ab. Er ließ ihn aussteigen. Zu langem Überlegen blieb keine Zeit. Er befahl: »Weiterfahren!« Die vor Dongo noch gelöste Stimmung der Männer war verflogen. Bei Tresenda entschied er sich für die nördliche Route entlang der Adda, die über Bormio und den Vinschgau nach Meran führte. Die Standarte an Stielhammers gepanzertem Fahrzeug ließ den kleinen Verband unbehelligt durchkommen, obwohl viele Wehrmachtsverbände unterwegs waren.

      Kurz nach Meran, das Schloss Tirol war zu sehen, stellte er in einer weiten Kurve fest, dass das letzte Geschütz nicht mehr zu sehen war. Die Fahrt auf den Felgen hatte das Vorankommen wesentlich verlangsamt. Er sah jetzt ein, dass es ein Fehler war, das Geschütz mit den zerschossenen Reifen nicht liegengelassen zu haben. In St. Leonhard, wo sich der Weg teilte, befahl er einem jungen Sturmmann abzusitzen. Er sollte dem Fahrer der zurückgebliebenen Zugmaschine den rechten Weg zeigen und ihm den Befehl auszurichten, das Geschütz abzuhängen und neben der Straße liegen zu lassen. So bestand die Hoffnung, schnell in Richtung Franzensfeste weiterzufahren.

      Um siebzehn Uhr traf der Goldtransport in Franzensfeste ein. Stielhammer war erstaunt, von einem Gruppenführer empfangen zu werden. Er machte Meldung und erläuterte kurz das Fehlen der Zugmaschine, um dieser entgegenzufahren. Einen Beleg für die Übergabe des Transportes hatte er noch nicht erhalten. Sein Fahrer, Rottenführer Jelinek, machte zwar kein begeistertes Gesicht, hatte aber das Fahrzeug mit mitgeführtem Sprit aufgetankt. Während der Fahrt hatten sie wenige Worte miteinander gewechselt. Jelinek schien ein wortkarger Mann zu sein. Stielhammer, der auf Fragen knappe Antworten erhielt, glaubte daraus eine Ablehnung oder Feindseligkeit zu verspüren. Ein Grund, ihn zusammenzuscheißen, ergab sich daraus nicht, zumal er in gewisser Weise auf diesen Jelinek, der Name störte ihn schon, angewiesen war.

      Als sie auf der jetzt noch stärker befahrenen und verstopften Strecke nach vierzig Minuten zu der Abzweigung in St. Leonhard kamen, stand der als Wegweiser zurückgelassene Mann und mit ihm die noch auf der Zugmaschine verbliebenen Männer am Straßenrand. Als Stielhammer bei der Gruppe angekommen war, sah er das Geschütz, das einen kleinen Hang hinuntergerollt und umgestürzt war. Fast hätte er sich in seinem Entsetzen mit den Worten, »wo ist die Zugmaschine mit dem ...« versprochen. Das Geheimnis des Transports schien jeder zu kennen, als er die drei Männer anbrüllte.

      Der junge Sturmmann, in gewohntem Gehorsam stillstehend, meldete, dass er dem Fahrer die ihm aufgetragenen Weisungen übermittelt habe. Die zwei Kameraden hatte er absteigen lassen, um ihnen beim Abhängen des von der Straße gerollten Geschützes zu helfen. Während man mit dem Ausbauen des Verschlusses zu tun hatte, sprang ein Mann auf die mit laufendem Motor stehende Zugmaschine und fuhr in falscher Richtung davon.

      Mit dem wütenden Ausruf, »verdammte Scheiße« sprang Stielhammer in den Spähwagen und sein »ihm nach - Mann« brachte den verdutzten Jelinek dazu, mit Vollgas loszurasen. Hierbei übersah Jelinek einen vorbeifahrenden Spähwagen und verursachte einen Unfall, der unnötige Zeit kostete.

      E. R. versuchte in seiner Erinnerung zu ergründen, ob Stielhammer in diesem Moment insgeheim ahnte, warum er die drei Männer nicht mitnahm und sie einem ungewissen Schicksal überlassen hatte. Sie hatten keinen Marschbefehl bei sich und konnten große Schwierigkeiten mit der Feldgendarmerie, den sogenannten Kettenhunden, bekommen. Die neigten zu spontanen und ungerechtfertigten Hinrichtungen von Fahnenflüchtigen. Er kam zu keinem Ergebnis.

      Der Spähwagen überholte Wehrmachtskolonnen und näherte sich dem Moospass. Stielhammer überlegte, der Mann hatte drei Stunden Vorsprung, konnte aber nicht so schnell fahren wie der Spähwagen. Sicher hatte er mit der Zugmaschine größere Schwierigkeiten beim Überholen und beim Überqueren der Berge, wie des Timmelsjochs. Im Ötztal gab es kein Ausweichen in andere Richtungen, höchstens ein Verstecken in Sackgassen der Nebentäler. Man musste ihn vor Oetz erreichen. Der Kerl musste wissen, welche Fracht er mitführte, sonst wäre sein Ausbrechen nicht zu erklären gewesen. Das Risiko ohne Marschbefehl unterwegs zu sein, wäre zu groß gewesen. Stielhammer wandte sich an Jelinek mit der Frage: »Kennen sie den Mann?« Er bekam die lakonische Antwort: »Natürlich, er heißt Beier und stammt aus Bayern!« Auf weitere Fragen antwortete er ausweichend. Stielhammer war jetzt der festen Überzeugung, dass der Inhalt der Kisten allen am Transport Beteiligten bekannt war. Er scheute sich nicht zu sagen: »Drei Tonnen Gold, der Arsch kann nicht glauben damit durchzukommen?« Er erhielt darauf keine Antwort. Erst nach einer längeren Denkpause flüsterte Jelinek vor sich hin:

      »Das ist eine ganze Menge, da kann man schon ein Risiko auf sich nehmen!« Als sie vom Timmelsjoch ins Ötztal einfuhren, wurde es dunkel. Das Überholen der Kolonnen war nicht leicht für das Fahrzeug mit Standarte. Ohne Überholvorgänge wäre es unmöglich gewesen ihn einzuholen. Schmährufe wie, natürlich die Bonzen, heim ins Reich! oder die Nachricht, nach München müsst ihr nicht mehr, das ist heute gefallen, bekam Stielhammer zu hören. Jelinek grinste vor sich hin, war aber froh, schneller als die anderen voranzukommen.