Thomas Hölscher

Privatsache


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Blutsauger, die in ihren dicken Villen das Geld verprassten, das sie anderen für die erbärmlichsten Hütten aus der Tasche zogen.

      Er wurde enttäuscht. Der Mann wohnte in einem alten Mietshaus.

      Im übrigen sah er allerdings genau so aus, wie Börner es sich ausgemalt hatte: Ende 60, Anfang 70, graue, pingelig exakt gekämmte Haare mit schnurgeradem Scheitel und ausrasiertem Nacken, das ausdruckslose Kartoffelgesicht des deutschen Spießers, kurz der Typ Mann, den Börner nicht ausstehen konnte.

      Börners schlimmste Befürchtungen schienen sich dann auch sofort zu bestätigen. Der Mann hielt sich nicht lange mit irgendwelchen höflichen Floskeln auf, bot ihm nicht einmal einen Sitzplatz an, sondern kam gleich zur Sache. Den durch das aus der Waschmaschine ausgetretene Wasser entstandenen Schaden müsse Börner natürlich tragen, die Haftpflicht nehme sich von so etwas gar nichts an. Außerdem habe er bei den anderen Mietern des Hauses einen äußerst schlechten Ruf, es seien die verschiedensten Klagen über ihn gekommen, und natürlich müsse man der ganzen Sache nachgehen; denn schließlich lege jeder Vermieter Wert auf ein ordentliches Haus.

      Wer sich denn da beklagt habe, wollte Börner wissen. Und ordentliches Haus sei wohl ein Witz; das seien doch alles Proleten.

      Auf diese Bemerkung ging der Mann gar nicht ein, sondern fuhr ein schwereres Geschütz auf. Vor allem sei nämlich die Miete für den letzten Monat noch nicht überwiesen worden, und so etwas sei nach geltendem Recht ein Kündigungsgrund. Zu einem solchen Schritt habe er im Augenblick die allergrößte Lust, da - wie jedermann wisse - der Wohnungsmarkt sich in den letzten Jahren doch entscheidend geändert habe: wegen der vielen Aus- und Übersiedler aus dem Osten sei der Wohnungsmarkt mittlerweile so eng geworden, dass man es als Vermieter gottseidank nicht mehr nötig habe, auf alles und jeden Rücksicht zu nehmen.

      Börner sah den Mann irritiert an. Die Miete war von seinem Konto nicht abgebucht worden? Gerade wollte Börner sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, als ihm einfiel, dass der Mann nur recht haben konnte. Das Arbeitslosengeld kam nicht mehr, und natürlich hatte so einer wie er bei keiner Bank Kredit. Das Geld vom Verkauf seines Wagens hatte er auf sein Sparbuch getan. Gerade wollte er alles erklären, als der Mann plötzlich fragte: "Arbeitslos sind Sie doch wohl auch noch?"

      Börner glaubte, vor Wut zu explodieren. Rasend schnell addierte er in seinem Kopf ein paar Zahlen und kam zu dem Schluss, dass er von seinem Sparbuch den Schaden regulieren und außerdem noch ein oder zwei Monate lang die Miete bezahlen konnte. Er musste sich so etwas also nicht bieten lassen. Aber noch bevor er dem Mann das hatte mitteilen können, sagte der plötzlich: "Entschuldigen Sie bitte meine Unhöflichkeit, Herr Börner! Nehmen Sie doch Platz!"

      Und dann hatte sich urplötzlich alles geändert.

      Sie tranken Kaffee, und als Börner den angebotenen Cognac höflich ablehnte, trank der Mann ihn alleine und wurde immer gesprächiger, bis er schließlich minutenlange Monologe führte. Er war der ältere von zwei Brüdern, und natürlich war er immer benachteiligt worden. Der jüngere Bruder hatte studieren dürfen, war Ingenieur geworden und hatte heute ein Heidengeld; er selber hatte den Kramladen der Eltern übernehmen müssen, und das Ding war bereits in den 60er Jahren pleite gegangen, weil es gegen die damals entstehenden Supermärkte natürlich keine Chance gehabt hatte. Und was die Häuser anbelangte, da machten sich die Leute angeblich immer ganz falsche Vorstellungen: Häuser kosteten nur Geld und brachten ausschließlich Ärger.

      Geduldig hatte Börner zugehört, hatte auch ansonsten alles getan, von dem er glaubte, dass der Mann es erwartete, und irgendwann wagte er dann sogar, auch von sich zu erzählen: Er sei damals bei der Polizei eben nicht rausgeflogen, sondern habe selber gekündigt, weil ein offensichtlicher Mord an einem Homosexuellen gar nicht verfolgt worden war. Anschließend habe er in einem Anwaltsbüro in Essen gearbeitet und nebenbei ein paar Semester Jura in Bochum studiert. Seine Vergangenheit als Kripobeamter habe ihn im vergangenen Jahr eingeholt und eine weitere Arbeit in dem Anwaltsbüro unmöglich gemacht. Und seit der Zeit sei er in der Tat arbeitslos.

      "Ich wusste gar nicht, dass Sie verheiratet sind," sagte der Mann plötzlich und Börner sah ihn irritiert an.

      "Wie kommen Sie denn darauf?“

      "Sie tragen einen Ehering."

      "Ist das verboten?"

      "Nein, natürlich nicht." Ganz offensichtlich war der Mann völlig verunsichert. "Nein, natürlich nicht", wiederholte er noch einmal in fast entschuldigendem Ton.

      Nur wenig später hatte er sich wieder gefangen und fragte Börner, was er denn nun eigentlich genau mache, wovon er lebe und was seine Pläne für die Zukunft seien; irgendwelche Pläne müsse so ein junger und gut aussehender Mann wie Börner doch schließlich noch haben für sein weiteres Leben.

      Börner spürte, wie ihm die Fragerei des Mannes immer unangenehmer wurde. Er hasste es, wenn andere Menschen ihm solche Fragen stellten. Er wusste darauf selber schon lange keine Antworten mehr. Irgendwann hatte er es sich abgewöhnt, solche Fragen bei sich überhaupt noch zuzulassen. Die Eltern besuchte er höchstens noch einmal im Jahr, meist zu Weihnachten; denn auch die Mutter konnte es einfach nicht lassen, ihn immer wieder mit derartigen Fragen zu drangsalieren.

      "Sie sind also unverheiratet?", fragte der Mann plötzlich, und wieder sah Börner ihn überrascht an. "Ja. Weshalb fragen Sie das?"

      Anstelle einer Antwort folgte wieder ein Bericht über den jüngeren Bruder. Der hatte sich sogar erlaubt zu heiraten und hatte zwei Kinder.

      "Und Sie haben also nicht geheiratet?", fragte der Mann noch einmal und schüttete sich noch einen Cognac in den Hals.

      "Nein." Nun musste Börner lachen. "Das habe ich doch schon gesagt."

      Sie redeten noch lange über Gott und die Welt, über dies und das; über Rechnungen, die im Augenblick nicht zu bezahlen waren, über das, was die Nachbarn über einen zu erzählen wussten, über Enkel, die man irgendwann hatte oder eben nicht.

      Und ganz plötzlich wusste Börner, dass er gewonnen hatte.

      Eigentlich war es nur dieser Blick gewesen, und dann war es nur noch erstaunlich, dass er es nicht eher gemerkt hatte. Für so etwas hatte er nämlich ein Auge. Die meisten Schwulen erkannte er an der Art, wie sie ihn ansahen.

      Dieser Kerl war einfach verklemmt. Der brauchte vorher Cognac und musste wer weiß wie lange um den heißen Brei herumreden. Der geplatzte Wasserschlauch, die Klagen der Nachbarn, die noch nicht überwiesene Miete: das waren alles nur Vorwände gewesen. Wahrscheinlich hatte irgendeine dumme Kuh aus dem Haus eine eindeutige Bemerkung gemacht, und da war der Kerl ganz heiß geworden auf ein persönliches Gespräch.

      Solche Typen kannte er zur Genüge, und plötzlich fühlte Börner sich sicher. Bei diesem Spielchen kannte er sich bestens aus.

      Er sollte recht behalten. Nur war der Mann noch verklemmter, als er gedacht hatte, und so dauerte es nochmals fast eine Stunde, bis er schließlich vor Börner auf dem Boden hockte und dessen Jeans befummelte. Als er sie öffnen wollte, hielt er Vorträge über seine Angst vor Aids, und da half Börner kurzerhand nach.

      Anschließend war es immer nur wichtig, möglichst schnell zu verschwinden, bevor irgendwelches Gefasel von schlechtem Gewissen, Vorwürfe oder sogar Liebeserklärungen kamen. Es konnte nur peinlich werden und war außerdem völlig überflüssig. Man musste schließlich wissen, was man wollte und was nicht. Er wusste es jedenfalls. Bei so einem Typen kam oberhalb der Gürtellinie nichts, aber auch gar nichts in Frage, aber wenn der ihn unten rum mit dem Mund bediente, war es doch in Ordnung. Es war sogar ungemein angenehm und entspannend. Eine normale körperliche Reaktion, notwendig und wohltuend wie Niesen, wenn die Nase kribbelte, oder Kotzen, wenn einem schlecht war.

      "War es gut?", fragte der Mann, und als Börner in sein hilflos grinsendes Gesicht sah, wusste er, dass es genau solche Fragen waren, die er am allerwenigsten ausstehen konnte.

      Das Gespräch wollte nicht mehr in Gang kommen, und Börner wartete nur noch auf den geeigneten Moment, um endlich zu verschwinden. "Wie machst du es eigentlich normalerweise?", fragte er gleichgültig. "Am Bahnhof?"

      Der