Katie Volckx

Mailys' Entscheidung


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sehr wohl, wie jene tickten. Meine beste Freundin Hanna hatte mich vielmals aufgeklärt, da sie sich einbildete, ein Leben im Kloster wäre gleichzusetzen mit einem Leben hinterm Mond. Ich wollte ihren Eifer nicht mit Füßen treten, deshalb hatte ich ihre bisherigen Anekdoten stillschweigend ertragen und diese geschmeidig ins eine Ohr herein- und ins andere Ohr herausfließen lassen.

      Seit unserer Jugend waren wir unzertrennlich (während meines Klosteraufenthalts hatten wir zumindest regen Brief- und Telefonverkehr). Hanna war mir immer zwei Jahre voraus, was sie mir gelegentlich unter die Nase rieb. Allerdings hatte es in den letzten Monaten abrupt nachgelassen. Dafür gab es auch einen deftigen Grund: Hannas dreißigster Geburtstag! Und der stand in zehn Tagen bevor.

      Schon seit Wochen – ach, was rede ich da? – seit Monaten hielt sie etwa dreimal die Woche beachtliche Vorträge darüber, was dieses Alter Unheilvolles mit sich brächte. Schlagartig würde die Haut in jedem noch so kleinsten Winkel erschlaffen, die Tränensäcke wären im Notfall nicht einmal mehr mit Eiswürfeln kleinzukriegen, die Falten würden sich immer tiefer um die Mund- und Augenpartien pflügen und die Brüste sowie der Hintern könnten sich gegen die Schwerkraft wohl oder übel nicht mehr länger durchsetzen. Dass sich meine Anteilnahme in Grenzen hielt, lag wohl daran, dass ich die Maßgeblichkeit der äußeren Erscheinung nicht mehr gewohnt war. Ich meine, in der Klosterzeit besaß ich nun mal keinen Hintern oder Brüste oder andere pikante Körperteile; primär besaß ich nur meine Seele, meinen Glauben, na ja, und meine schwarze Ordenstracht. Aber wenigstens erklärte Hannas Angst vorm Altern die doppelte Schicht Make-up, die sie schon seit geraumer Zeit auftrug ... unnötigerweise, sei an dieser Stelle einmal gesagt.

      Tja, und ich war immer davon ausgegangen, dass Frauen erst ab vierzig begannen durchzudrehen. Das war wohl falsch gedacht.

      Einmal hatte Beck versucht, sie mit Worten wie »Sieh mal, ich stehe noch immer ganz ohne Gehhilfe allein aufrecht« aufzumuntern, war lediglich auf spaßhafte Weise darauf aus gewesen, sie daran zu erinnern, dass er schon lange vor ihr die Dreißig überschritten hatte. Aber natürlich war der Schuss nach hinten losgegangen und sie hatte darauf nur geantwortet: »Bei dir ist das was völlig anderes, du bist schließlich ein Mann!«, was inzwischen jedoch recht umstritten war, denn seit seinem Coming Out hatte er verdächtig viele feminine Züge angenommen. Dann war sie Tür donnernd und mit quietschenden Reifen davongejagt. Nach dieser (das sei betont) recht überzogenen Reaktion hatte ich mir die grandiose Idee, ihr, natürlich nur zum Spaß, zum Geburtstag einen Krückstock zu schenken, lieber aus dem Kopf geschlagen, bevor sie mich damit aus ihrem Leben triebe. Sicher war sicher.

      Das plötzliche Telefonklingeln riss mich aus dem Wust unterschiedlicher Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Ich musste nur eine Handbewegung nach rechts machen, um den Hörer vom schnurlosen Telefon zu greifen. Ich fühlte mich benommen, also hauchte ich das Hallo nur.

      »Hallo, Ramona Fink ist mein Name. Ich interessiere mich für das WG-Zimmer.« Der Klang ihrer Stimme war hell, wirkte gar, als wäre das dazugehörige Mädchen nicht älter als zehn.

      In mir zog sich alles zusammen. All das war mir zunehmend ein Graus. Ich war kurz davor, diese Ramona Fink abzuwimmeln und zu behaupten, dass das Zimmer schon vergeben sei, nur damit ich endlich meine Ruhe hätte – zumindest in Bezug auf den heutigen Tag.

      »Wann hättest du Zeit und Lust es zu besichtigen?« Selbstverständlich duzte ich sie.

      »Ich möchte nicht aufdringlich sein ... aber wie wäre es mit ... jetzt?«

      Mir wurde leicht schummerig. Ich warf einen langen jämmerlichen Blick auf die Uhr. Jede Faser meines Körpers schrie NEIN, aber ich sagte: »Fünf Uhr« und gab meine Adresse durch.

      2

      Nach zwanzig Minuten saß ich noch immer hier, war vom Anrufer allerdings ausreichend reaktiviert worden. Ich raufte mir die Haare, denn ich war verzweifelt. Ja, das war ich wirklich! Da ich noch immer nur diesen Minijob im Supermarkt hatte und mich ansonsten mein jovialer Bruder mit durchfüttern musste, käme mir eine Ertrag abwerfende Untermieterin mehr als gelegen. Meine Verzweiflung war sogar so groß, dass ich einen kurzen Moment lang völlig den Verstand verloren hatte und den jungen Mann, den ich vorhin noch am Telefon energisch abgewimmelt hatte, wahrhaftig als Mitbewohner in Betracht zog. Wie gesagt, nur einen kurzen Moment lang.

      Ich grinste und schüttelte den Kopf über meine Anspruchslosigkeit und hievte mich schließlich vom Sofa, um den Terminkalender zu prüfen. Vor Ramona erwartete ich nur noch eine Interessentin. Ich musste meine Augen ein wenig zusammenkneifen, da ich auf einmal meine eigene Schrift nicht mehr entziffern konnte. Hieß die Gute nun Lena? Oder Lana? Oder gar Lene? War das überhaupt ein L? Herrje, in der Eile hatte es eben rasend schnell gehen müssen, und Unruhe überforderte mich in der Regel nun mal. An und für sich war das doch aber eh alles dasselbe, oder? Und, offen gesagt, ging ich davon aus, dass ich sie ohnehin nicht mögen würde. Ich wägte im Ernst ab, ob es Sinn machte, ihr überhaupt noch die Tür zu öffnen.

      Es war jetzt genau sechzehn Uhr. Meine schlechte Laune wurde immer sichtbarer, nicht zuletzt deshalb, weil ich heute noch keinen Fuß vor die Tür gesetzt hatte, aus Angst, ich könnte all die Interessentinnen sonst nicht unter einen Hut bekommen. Ja, ich hätte auch eine Massenbesichtigung arrangieren können, aber wie hätte ich unter diesen Umständen herausfiltern können, wer zu mir passte? Na ja, und natürlich hatte ich auch Bedenken in Hinblick meiner Wertgegenstände im Haushalt. Was, wenn ich den Überblick verloren und jemand meine Wohnung in einem unaufmerksamen Augenblick geplündert hätte?

      Ich brauchte frische Luft; und zwar jetzt! Und was ich noch viel dringender brauchte, waren ein paar Nahrungsmittel. In meinem Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Heute Morgen hatte ich das letzte trockene Stück Brot mit Ketschup gegessen, was darauf schließen ließ, dass ich schon gestern nicht zum Einkaufen gekommen war. Und deshalb war es doch nur allzu verständlich, dass meine Laune allmählich in den Keller brauste: Mein Magen tobte vor Hunger.

      Einen kleinen Augenblick dachte ich angestrengt nach. Dabei knabberte ich auf meiner Unterlippe herum und rieb mir das Kinn, als könnte das meine kleinen grauen Zellen in Gang bringen.

      Doch als ich mich endlich für einen Veggie-Döner aus dem Imbiss von gegenüber entschieden hatte und nach meinem Hausschlüssel aus der kleinen Bambusschale auf dem Sideboard neben dem Eingang schnappen wollte, klingelte es an der Haustür. Lang und schrill. Na schön, für den hochfrequenten Klingelton konnte die gute Lena, Lana oder Lene natürlich nichts, für das Dauerklingeln allerdings schon. So etwas Penetrantes käme mir schon mal nicht ins Haus!

      Anstandshalber öffnete ich die Haustür per Knopfdruck, ersparte mir schon den ganzen Tag, die ankommenden Interessentinnen durch die Gegensprechanlage zu begrüßen. Ich zog die Wohnungstür auf, schon bevor sie den zweiten Stock erreichte, um sie wissen zu lassen, wo ihr Aufstieg enden würde.

      Sie ließ mich lang zappeln. Sie schien alles Zeitraubende gut zu beherrschen. Das machte sie just noch unsympathischer.

      Mit einem Mal jagte Mailys aus dem Nichts durch meine leicht gespreizten Beine hindurch direkt in meine Wohnung. Sie fetzte wie von der Tarantel gestochen über das Sofa, einmal quer durch die Küche ins Schlafzimmer, sprang auf mein Bett, hielt eine Sekunde mit spitz aufhorchenden Ohren inne und raste dann, knapp an meinen Beinen vorbei, zurück ins Treppenhaus. Dort bremste sie kurz vor der hinabführenden Treppe ab, rutschte jedoch noch ein bedenkliches Stück auf dem Po weiter. Aber statt die Treppe herunterzupurzeln, wendete sie am Absatz, um dieselbe Runde nochmals zu nehmen. Im selben Moment stolperte mein Nachbar Vincent hastig aus der dritten Etage hinunter, warf mir lediglich einen schnellen, um Verzeihung bittenden Blick zu und drängte mich an meiner eigenen Wohnungstür zur Seite, um Mailys einzufangen. Offensichtlich erfolglos.

      Ich eilte ihm nach, fühlte mich noch ein bisschen von Vincents rüden Art angepisst, ließ mir jedoch nichts anmerken. Vielmehr wollte ich ihm behilflich zur Hand gehen, indem ich die ungestüme Jack-Russel-Hündin mit sanfter Sprache anzulocken versuchte. Da das keine Wirkung zeigte, hätte ich sie zu gern mit einer Scheibe Wurst bestochen. Jeder Hund war schließlich bestechlich.

      Ich sah Vincent seiner Hündin in mein Schlafzimmer hinterherlaufen, fand das einfach ungeheuerlich,