Erwin Leonhardi

Behauptung statt Wahrheit


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und Heiliger Schrift ist bei so vielen unterschiedlichen Fassungen eine Farce. Durch die Verleihung der Attribute heilig oder göttlich soll eine Schutzmauer der Unantastbarkeit aufgerichtet werden. Bis heute hat diese bei den Religionsführern nicht funktioniert. Die ändern, streichen und ergänzen offensichtlich nach Belieben in Gottes Wort. Es gilt erkennbar der Grundsatz, dass der Zweck die Mittel heiligt.

      Die Entstehung

      Wie man sich die Entstehung der ersten Bücher der Bibel, den fünf Büchern Moses, vorstellen muss, ist schnell erklärt. Im Gegensatz zum Islam, wo dem Propheten Mohammed der komplette Inhalt des Korans von dem Erzengel Gabriel direkt diktiert wurde, gibt es keinen Bericht, der eine Empfängnis der gesamten biblischen Inhalte unmittelbar von Gott nennt. Lediglich in den Büchern Moses gibt es außerhalb des geschichtlichen Teils einige Dialoge Moses-Gott, die göttliche Anweisungen enthalten.

      Da die Bibelwissenschaft nachgewiesen hat, dass die ersten Mosesbücher über eine zeitlich sehr lange Periode entstanden sind, deren Beginn von einigen Fachleuten auf rund 1800 v. Chr. datiert wird, scheidet die Diktatvariante aus. In frühester Zeit haben sich göttlich inspiriert Fühlende ihre persönliche religiöse Überzeugung in Form von Episoden und Moritaten formuliert. Da es zu dieser Zeit keine Schriftsprache gab, mussten die Texte mündlich weitergegeben werden. Trotz der bekanntermaßen hohen orientalischen Erzählkunst ist anzunehmen, dass im Laufe von vielen Generationen Verfälschungen zugunsten des Zeitgeistes eingetreten sind. Die Verschriftlichung der Bücher erfolgte nach diesem langen Überlieferungsprozess, in den unterschiedliche Quellen und verschiedene redaktionelle Bearbeitungen Eingang gefunden haben.

      Im 2. Buch Könige, Kapitel 22 und 23, wird berichtet, dass der König Josia von Juda im Jahre 622 v. Chr. eine Tempelrenovierung in Jerusalem durchführen ließ, wobei das in Vergessenheit geratene Gesetzbuch "Buch vom Bunde" gefunden wurde. Es ist also anzunehmen, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Mosesbücher bereits geschrieben war. Dass es sich nur um einen Teil handeln konnte, ergibt sich daraus, dass Esra etwa im Jahr 440 v. Chr. die erste vollständige Thora, die fünf Bücher Moses, fertiggestellt hat und dabei als Redaktor die bis dato konkurrierenden Parallelversionen aus dem Nordreich Israel und dem Südreich Juda zusammenführte.

      Die fünf Bücher Moses, bei den Juden Tora, Thora oder Torah, bei den Christen Pentateuch genannt, bilden die Basis der Bibel. Sie sind ein über viele Jahrhunderte gewachsenes Konglomerat von einzelnen Geschichten. Deutlich sichtbar sind die kulturellen Einflüsse von großen nomadischen Clans und benachbarten Völkern. Beispielsweise spielen sich die ersten 12 Kapitel in Mesopotamien ab. Die Schöpfungsgeschichten sind eindeutig sumerisch-babylonischen Ursprungs. Erst mit Abrahams Reise nach Kanaan verlagert sich die Handlung in das Gebiet der späteren Israeliten. Dann beginnen die kanaanäischen Einflüsse. Die sachlichen Angaben in diesen alten Texten sind logischerweise nur im Kontext des damaligen Wissensniveaus gültig. Die Autoren konnten das, was sie beschrieben, nicht besser wissen.

      Die Septuaginta

      Die Septuaginta, das Buch der Siebzig, ist die älteste durchgehende Übersetzung der hebräisch-aramäischen Urtexte. Dieses riesige Übersetzungsprojekt wurde etwa 250 v. Chr. im hellenistischen Judentum begonnen. Geografischer Ausgangspunkt war Alexandria. Bis etwa 100 v. Chr. waren die meisten Bücher übersetzt, die restlichen folgten dann bis etwa 100 n. Chr. Die Zielsprache der Septuaginta war die damalige altgriechische Alltagssprache, die Koine.

      Dass die in Griechisch entstandene Übersetzung ausgerechnet mit einem lateinischen Titel versehen wurde, geht auf den Brief des Aristeas von ca. 150 v. Chr. zurück, in dem er das Werk so nennt. Der Titel ist allerdings ein unwesentliches Detail.

      Das nach 350 Jahren vorliegende Ergebnis der siebzig Übersetzer ist sprachwissenschaftlich gesehen mit Hebraismen durchsetzt, die Satzstellung und Wortgebrauch hebräischer Textvorlagen nachahmen. Zusätzlich gibt es aramäische Einflüsse, die auf den persönlichen Sprachgebrauch der jeweiligen Übersetzer zurückgehen. In ihrer endgültigen Form enthielt die Septuaginta zusätzlich zur hebräischen Bibel auch die Apokryphen und andere kanonische Bücher, die teilweise als griechische Originaltexte übernommen wurden.

      Der Legende nach übersetzten 72 jüdische Gelehrte in Alexandria die fünf Bücher Moses, innerhalb von 72 Tagen ins Griechische. Dabei sollen die Übersetzer getrennt gearbeitet haben. Am Ende seien alle 72 Übersetzungen absolut identisch gewesen. Der Heilige Geist habe allen dieselben Worte eingegeben. Wenn dies ernst zu nehmen wäre, hätte der Heilige Geist für das Ergebnis auch inhaltlich die volle Verantwortung. Das würde bedeuten, dass sachlich falsche Darstellungen auf sein Konto gingen. Zur Vermeidung unfruchtbarer Diskussionen sollten Fundamentalisten lieber akzeptieren, dass es sich nur um eine Legende handelt. Die Zahl 72 wurde später auf 70, lateinisch septuaginta, abgerundet.

      Die Vulgata

      Die Geschichte der lateinischen Vulgata ist abenteuerlich. Hieronymus hat ca. 380 bis 400 n. Chr. die griechischen Texte ins Lateinische übersetzt. Dass er dabei die zeitgemäß üblichen frommen Änderungen und Ergänzungen vorgenommen hat, ist bekannt. Bis heute ist die komplette Auflistung seiner Änderungen und Ergänzungen noch im Stadium der wissenschaftlichen Bearbeitung. Die Ergebnisse dürften bald vorliegen und entlarven dann faktisch sein pseudoreligiöses Handeln. Hieronymus war ein Vertrauter des Papstes Damasus I. Er revidierte zunächst die Evangelien und danach die übrigen Schriften des NT. Besonders bei den Evangelien hat er - mittlerweile detailliert nachweisbar - deutlich die älteren Texte verändert.

      Im Jahre 384 übersiedelte er nach Bethlehem und begann mit der Übersetzung des AT. Anfangs beschränkte er sich auf die Bücher Psalter, Hiob, Sprichwörter, Hohelied, Prediger und Chronik. Es ist für seine Einstellung bezeichnend, dass er gerade diese Bücher auswählte. Die stützen am deutlichsten sein überarbeitetes NT. Ab 393 widmete er sich dem gesamten AT, laut eigenen Angaben auf Basis der hebräischen Texte. Die moderne Forschung wies jedoch nach, dass er nicht ausreichend hebräisch sprach, und dass seine lateinische Übersetzung wortgleich auf der griechischen Hexapla des Origenes beruhte. Hieronymus war offenbar nicht zimperlich, wenn es darum ging, Kompetenz und Authentizität vorzutäuschen.

      Über mehrere Jahrhunderte gab es konkurrierende Vulgata-Versionen. Am stärksten vertreten waren die nach 400 n. Chr. geschriebene vetus latina und die alte biblia sacra vulgata. Es gibt eine Reihe von Revisionen mit verschiedensten Färbungen. Karl der Große veranlasste, dass ab dem 9. Jahrhundert nur noch die derzeitige Version der Vulgata gelten durfte. Diese hatte durch den von Gutenberg erfundenen Buchdruck Mitte des 15. Jahrhunderts ihren Verbreitungshöhepunkt.

      Die Vulgata hatte bekanntermaßen sehr viele Übersetzungsfehler. Einer der populärsten ist in Michelangelos Moses-Statue in Stein gemeißelt. In der Vulgata war das hebräische Wort für leuchtend mit gehörnt übersetzt worden. Deswegen hat Michelangelos Moses-Statue von ihm zwei Hörner erhalten.

      Im Jahre 1546 erklärte das Konzil von Trient die damalige Vulgata für authentisch und ließ eine möglichst fehlerfreie Ausgabe vorbereiten. Der 1621 verstorbene Theologe Roberto Bellarmino stellte allerdings die höhere Autorität der hebräischen und griechischen Texte mit den Worten heraus: "Sie sind die Quelle, die Vulgata ist der Bach." Alles in allem liegt bei der wirren Geschichte der Vulgata kein vertrauenerweckendes Dokument vor.

      Mittlerweile gilt das katholische Dogma, dass Übersetzungen in Landesprachen nur auf Basis der Vulgata gemacht werden dürfen. Urtext-Übersetzungen sind nicht geduldet. Ob dies eine Schutzklausel ist, bleibt dahingestellt.

      Die Lutherbibel

      Luthers Bibel ist keine Übersetzung der Vulgata, obwohl dies landläufig oft so gesagt wird. Er selbst war firm in der lateinischen Sprache, kannte aber die älteren Sprachen nicht ausreichend. Daher bildete er ein Team von Theologen, die als Basis die althebräischen, aramäischen und altgriechischen Texte verwendeten, und sie in das Frühneuhochdeutsch übersetzten. Einer der Theologen war Philipp Melanchthon, ein Spezialist für die griechische Sprache. 1522 erschien die erste Auflage