wurden von ihm gar nicht thematisiert. Seinen Beitrag zur Wahrheitsfindung muss man deshalb allein danach bewerten, wie nahe seine Gedankengänge an die Erkenntnis des „Vererbungsprinzips“ kamen. Und an dieser Wahrheit war Locke im Jahr 1690 (!) näher dran als alle Anhänger und Nachfahren seiner Arbeitstheorie.
„Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eignes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist. Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt.“ ( Locke 1977: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Zweite Abhandlung, § 27)
Anmerkung
John Locke hatte einen Arbeitsprozess vor Augen, der allein „das Werk der Hände“ ist. Daraus schlussfolgerte er, dass die geleistete Arbeit die alleinige wertschöpfende Ressource für die Schaffung eines neuen Guts sei. Da er in der weltanschaulichen Tradition der damals herrschenden Naturrechtslehre stand, ging er davon aus, dass es sich bei dem durch die Arbeit begründeten privaten Eigentumsrecht um ein von Gott gegebenes Naturrecht handelt.
Dieses Zitat enthält zwei geniale Einsichten: Erstens, nicht der Vollzug der Arbeit per se, sondern das Eigentumsrecht an der geleisteten Arbeit begründet das Eigentumsrecht an einem neu geschaffenen Gut und zweitens, das Eigentumsrecht am eigenen Körper und damit auch an den Ergebnissen eigener körperlicher und geistiger Leistungen ist die existenziell erste und wichtigste Eigentumsbeziehung menschlicher Individuen.
Das Eigentumsrecht menschlicher Individuen am eigenen Körper ist eine eigentumsrechtliche Beigabe biotischer Vererbung. Dieses Eigentumsrecht wird jedem Menschen von den Eigentümern seines biotischen Produktionsprozesses, vulgo Eltern, vererbt. Dieses Eigentumsrecht wird jedoch nicht biotisch, sondern sozial konstituiert. Es funktioniert nur, weil es von anderen Menschen respektiert wird. Diese Respektierung basiert auf reziprokem Vertrauen (vgl. Luhmann 2000: Vertrauen) und einem gerechten Deal, weil jedes Individuum abwechselnd in beiden Rollen agiert. A respektiert B’s Eigentumsrecht an B’s Körper und erwartet dafür, dass B das Eigentumsrecht von A an A’s Körper respektiert.
„Es ist das Verdienst der Anthropologie, aufgrund der Untersuchung zahlreicher archaischer Gesellschaften gezeigt zu haben, dass in der Reziprozität auch eine Wurzel rechtlicher Verbindlichkeit zu suchen ist.“ ( Raiser 2009: Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 201, vgl. dazu auch Hammer/Keller 1997: Überlegungen zur Entstehung des Rechtsempfindens aus entwicklungspsychologischer Sicht)
Die reziproke Respektierung der Eigentumsrechte am eigenen Körper ist der moralisch-rechtliche Archetypus aller Eigentumsbeziehungen.
Das verleitet mich zu der These, dass die bei der biotischen Fortpflanzung stattfindende Vererbung die evolutionsgeschichtliche Urform des Transfers der Eigentumsrechte der Produzenten an das Produkt war. Die List der Selbstorganisation sozialer Systeme machte diesen biotischen Vererbungsakt zum Grundprinzip der sozialen Begründung von Eigentumsrechten an neu geschaffenen Gütern. Damit lassen sich alle drei Gesetze des Eigentums schlüssig aus der Evolution sozialer Systeme herleiten.
Anmerkung
Die Eigentumsbeziehungen menschlicher Individuen zum eigenen physischen, geistigen und sozialen Ich sind ebenso wie die zu dinglichen und geistigen Gütern stark durch den jeweiligen historischen Kontext geprägt. Im Mittelalter sahen diese Eigentumsbeziehungen ganz anders aus als heute in westlichen Gesellschaften, in denen die Eigentumsrechte am eigenen Ich juristisch und sozial als Persönlichkeitsrechte entfaltet und etabliert sind.
Kommen wir nun noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurück: „Wer ist der Eigentümer neu geschaffenen Eigentums?“. Wenn wir darauf historisch universell gültig – also auch für Eigentumsbeziehungen bei Tieren gültig (vgl. nachfolgend) – antworten wollen, müssen wir neben der vorgehend ausgeführten Begründung von Eigentumsrechten an neu produzierten Gütern auch die Konstituierung von Erst-Eigentumsrechten an Naturgütern, die nicht von Menschenhand geschaffen wurden, berücksichtigen.
Hier treffen wir auf den realen Gehalt der oben erwähnten Okkupationstheorie. Diese besagt: Das Individuum, das als Erstes Anspruch auf ein „herrenloses“, noch nicht mit Eigentumsrechten besetztes Gut geltend macht, wurde/wird von seinem sozialen Umfeld als dessen Eigentümer akzeptiert. Diese Art der Konstituierung von Eigentumsbeziehungen wurde von Menschen bei der geschichtlichen Ersteroberung der Welt praktiziert. Heute gibt es kaum noch Naturgüter, die nicht fest vereigentumt sind. Aber es kommt hin und wieder vor, dass (Erst-)Eigentumsrechte an Naturgütern durch Okkupation konstituiert werden, wenn neue Möglichkeiten der Nutzung (= Gebrauchswerte) dieser Naturgüter ge- bzw. erfunden werden.
Im Alltag treffen wir diese Art der Begründung von Eigentumsrechten bei einigen Naturgütern, die Gemeineigentum sind. Wenn ich mit einem Korb voller Pilze aus dem Wald komme, wird jeder Mensch der mir begegnet, ganz selbstverständlich anerkennen, dass ich Eigentümer dieser Pilze bin. Im Streitfall würde mir dieses Eigentumsrecht auch gesetzlich zugebilligt werden. Wenn mir jemand den Korb voller Pilze aus der Hand reißen und damit flüchten würde, würde man diese Handlung juristisch als Eigentumsdelikt „Raub“ bewerten.
Das Prinzip der Eigentumsbegründung durch Okkupation spielt heute auch noch eine wichtige Rolle, um Rivalitäten um knappe Güter – im Sinn des zweiten Grundgesetzes des Eigentums – konfliktarm zu halten. In modernen Gesellschaften gibt es nämlich ein Gut, das notorisch knapp ist und deshalb ein hohes Rivalitätspotenzial hat: Platz in öffentlichen Räumen. Den Rivalitäten um dieses knappe Gut wurde nachhaltig Konfliktpotenzial entzogen, indem die Konvention der Eigentumsbegründung per Okkupation im Laufe der Kulturgeschichte zu einer Höflichkeitsregel wurde. So kann man in vielen gesellschaftlichen Situationen ein zeitlich befristetes Besitzrecht (privilegiertes Nutzungsrecht) für einen bestimmten Platz in öffentlichen Räumen geltend machen, indem man einen bis dato noch freien Platz okkupiert und den eigenen Rechtsanspruch an diesem Platz für alle potenziellen Rivalen sichtbar kenntlich macht. Lege ich Dinge, die eindeutig als Privateigentum erkennbar sind, auf diesen Platz – ein Handtuch auf eine Sonnenliege am Strand oder eine Jacke auf einen Zuschauersitz in einem Vortragssaal –, signalisiere ich anderen Menschen: „Das ist mein Platz!“. Durch diese Okkupation wird für den betreffenden Platz eine Eigentumsbeziehung als zeitlich befristetes Nutzungsprivileg konstituiert. Ich mache alle anderen Personen in diesem Raum bezüglich dieses Platzes zu Nichteigentümern und kann mich darauf verlassen, dass sie sich rollenkonform als Nichteigentümer verhalten und mir diesen Platz nicht streitig machen (vgl. dazu auch Erving Goffmans Beobachtungen über „Die Territorien des Selbst“ in: