Michael Wache

CONTENT ohne EIGENTUM


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      Anmerkung

      Die Annahme, dass es schon bei Tieren Eigentumsbeziehungen gibt, ist mir in der einschlägigen Fachliteratur noch nicht begegnet. Ich vermute aber, dass diese These bei vielen Soziobiologen Zustimmung finden wird.

      Betrachten wir dazu folgendes Beispiel aus der Vogelwelt: Ein Vogel, der sich ein Nest für die Brutpflege gebaut hat, braucht bei seinen Ausflügen keine Sorge haben, dass er bei seiner Rückkehr einen dreisten Artgenossen in seiner Brutstätte antreffen wird, weil er mit seinem Nestbau eine Eigentumsbeziehung geschaffen hat. Als Bauherr des Nests hat er das exklusive Nutzungsrecht für das Nest und kann sich darauf verlassen, dass seine Nachbarn dieses exklusive Nutzungsrecht respektieren. Artgenossen, die an diesem Nest „vorbeikommen“, erkennen und respektieren, dass dieses Nest dem Nestbauer „gehört“. Sie verzichten darauf, dieses Nest zu besetzen, auch wenn sie es gut gebrauchen könnten.

      Der Nestbauer und seine Artgenossen verhalten sich mit Bezug auf das knappe Gut „Nest“ als Rollenträger Eigentümer und Nichteigentümer im Sinne des ersten Grundgesetzes. Im Sinne des zweiten Grundgesetzes fungiert diese Eigentumsbeziehung als Instrument der Konfliktvermeidung, das für die Reproduktion des sozialen Systems, dem der Nestbauer und seine Artgenossen angehören, funktional unverzichtbar ist. Der Nestbauer kann nämlich nur dann erfolgreich Nachkommen aufziehen und damit zur Erhaltung seiner Art beitragen, wenn seine Artgenossen sein Nest in Ruhe lassen. Die Förderung der Produktion neuer Güter, hier: der Bau neuer Nester, erfolgt dadurch, dass gewährleistet ist, dass das Nest nicht durch Artgenossen okkupiert oder zerstört wird. Auch das dritte Grundgesetz ist hier wirksam: Beim Nestbau werden die Eigentumsrechte von den Produktionsressourcen an das neue Gut vererbt. Der Nestbauer ist rechtmäßiger Eigentümer des von ihm gebauten Nests, weil er Eigentümer der physischen und kognitiven Ressourcen ist, mittels derer das Nest gebaut wurde.

      Die Produktion neuer Güter kommt bei Tieren allerdings nur höchst selten vor. Tiere beschränken sich weitgehend auf die Nutzung vorhandener Naturgüter. Deshalb findet man in tierischen Sozialsystemen häufiger Frühformen von Eigentumsbeziehungen, die durch Okkupation von Lebensräumen konstituiert werden. Viele Tiere kennzeichnen durch artspezifische Formen der Signalgebung privilegierte Nutzungsrechte für bestimmte Lebensräume (Reviere), die von anderen Mitgliedern der Art wahrgenommen und respektiert werden. Säugetiere markieren Reviere durch Urin oder andere Körperflüssigkeiten, Vögel kommunizieren Revieransprüche durch akustische Signale. Diese per Okkupation begründeten Eigentumsbeziehungen haben eine Subjekt-(Objekt-)Subjekt-Beziehungsstruktur, in der Machtverhältnisse zwischen Eigentümern und Nichteigentümern in Bezug auf das knappe Gut „Lebensraum“ realisiert werden. Das Okkupieren, Markieren und Respektieren von Revieren sorgt dafür, dass den einzelnen Mitgliedern der Art ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, um die für die Reproduktion der Art lebenswichtigen Aufgaben Fortpflanzung und Ernährung erfüllen zu können. Alle Arten von Revieren (Partnerfindung, Brut, Jagd u. a.) dienen allein dem Zweck, die Reproduktion der Art zu sichern. Die Größe eines Brutreviers ist im biotischen Programm der Art so groß bemessen, dass das Elternpaar auf diesem Territorium genügend Nahrungsmittel findet, um seinen Nachwuchs ernähren zu können. Revieransprüche werden nicht immer demütig respektiert, deshalb gibt es oft heftige Kämpfe um Reviere. Gleichwohl gewährleisten die der Eigentumsbeziehung „Revier“ inhärenten sozialen Regeln, dass diese Rivalitäten zwischen den Mitgliedern der Art nicht so weit eskalieren, dass das soziale System zerstört wird.

      Frühformen von Eigentumsbeziehungen trifft man überall dort, wo Tierindividuen die exklusive Nutzung bestimmter Güter durch Artgenossen auch dann erkennen und respektieren, wenn diese Artgenossen leiblich nicht präsent sind. Wo Tiere die privilegierte Nutzung von Gütern, wie bspw. eine Beute, durch andere Tierindividuen respektieren, weil sie deren physische Macht abschreckt, handelt es sich nicht um Eigentums-, sondern um Besitzbeziehungen (s. o. die Unterscheidung von Eigentum und Besitz). Der starke Löwe ist deshalb nur Besitzer seiner Beute, der kleine Vogel hingegen ist bereits Eigentümer seines Nests.

      1.5 Resümee

      Entwicklungsgeschichtlich sind Eigentumsbeziehungen weder eine Gabe Gottes noch ein Gewächs der „menschlichen Natur“ und auch nicht das Ergebnis einer freien Übereinkunft der Menschen. Eigentumsbeziehungen sind evolutionäre Schöpfungen der (Selbst-)Organi­sation sozialer Systeme. Die Ansicht, dass Eigentumsbeziehungen erst durch Gesetzgebung entstanden, ist schlichtweg falsch. Frühformen von Eigentumsbeziehungen findet man bereits in tierischen Sozialsystemen. Schon diese Frühformen machen zwei Wesensmerkmale von Eigentumsbeziehungen deutlich: Eigentumsbeziehungen dienen der Reproduktion des biosozialen Systems und funktionieren nur, wenn sich die jeweiligen Nichteigentümer rollenkonform verhalten. Auch Menschen praktizierten Eigentumsbeziehungen lange bevor im Alten Rom die ersten schriftlichen Gesetze zum Eigentumsrecht verfasst, beschlossen, befolgt und kontrolliert wurden.

      Eigentumsbeziehungen entstanden und wirken in biosozialen Systemen, weil sie drei essenzielle Funktionen für den Umgang mit knappen Gütern erfüllen: Sie fördern die Produktion neuer Güter, sie fördern die Übermittlung der neu produzierten Güter zu den Nutzern und sie sorgen dafür, dass Rivalitäten um knappe Güter konfliktarm bleiben.

      Daraus folgt: Wenn Eigentumsbeziehungen für diese Funktionen nicht mehr gebraucht werden, sterben sie ab.

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