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Michael Wache
Content ohne Eigentum
Das Absterben von Eigentumsbeziehungen im Onlinezeitalter
ISBN 978-3-8442-6118-9
1. Auflage 2013
Copyright: © 2013 Michael Wache
Published by: epubli GmbH
www.epubli.de
Lektorat und Satz: Wissenschaftslektorat Zimmermann
www.lektorat-zimmermann.de
Covergestaltung: Indyvia Design
www.indyvia.de
Prolog
Wasser zerstört Mauerwerk. Wenn ein Hausbesitzer feststellt, dass die Wände seines Hauses im Erdgeschoss feucht werden, hat er allen Grund, sich Sorgen zu machen. Feuchte Wände mit wasserabweisender Tapete abzukleben, bringt nichts. Baufachleute raten bei diesem Symptom, das Fundament des Hauses in Augenschein zu nehmen. Dort stößt man meist auf die Wurzel des Übels. Hausbesitzer sind in unserem Fall die alteingesessenen Medienunternehmen, die feststellen, dass ihre Geschäftsmodelle, mit denen sie bisher erfolgreich waren und es noch immer sind, in der Onlinewelt nicht funktionieren. Die Übeltäter sind allbekannt: Sie heißen Piraterie und Gratismentalität. Das Urheberrecht scheint nicht mehr tragfähig zu sein. Die meisten Experten glauben deshalb, die gesetzlichen Regeln des Urheberrechts wären das Fundament, das grundlegend erneuert werden müsste. Doch das Fundament liegt tiefer: Es sind die Eigentumsbeziehungen – das organisatorische Zentralnervensystem aller menschlichen Gesellschaften. Bei den über Jahrhunderte gewachsenen und praktizierten Eigentumsbeziehungen von Contentgütern vollzieht sich im Onlinezeitalter ein dramatischer und faszinierender Veränderungsprozess, dessen Zeitzeugen und Mitwirkende wir sind. Folgen Sie mir! Dieses Geschehen und seine Folgen für das Urheberrecht wollen wir uns genauer anschauen.
Eigentum ist das Ferment der Weltgeschichte. Für Eigentum vollbringen Menschen grandiose Leistungen in Wirtschaft, Technik und Kultur. Für Eigentum zerstören Menschen rücksichtslos Natur und schlagen ihren Artgenossen die Schädel ein. Für Eigentum arbeiten Menschen sich den Rücken krumm, verraten alle Ideale und engste Freunde. In allen Kriegen und Revolutionen wurde Eigentum erobert und verteidigt. Eigentum bestimmt, wer die Macht im Staate hat und in welche Richtung sich das Räderwerk der Gesellschaft bewegt. Die deutsche Geschichte ist dafür beredtes Zeugnis. Eigentum ist heute ein Grundrecht des Menschen. Im Artikel 17 der 1948 verabschiedeten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ heißt es: „1. Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.“ ( UNO 1948)
Eigentum entscheidet, was Menschen aus ihrem Leben machen können, und dokumentiert, was sie aus ihrem Leben gemacht haben. Viele halten Eigentum für den Sinn des Lebens. Vielen Menschen hat es das Leben gekostet.
Eigentum bestimmt, wie Menschen einander bewerten und sich zueinander verhalten. Wer viel hat, wird beneidet und hofiert, wer nichts hat, wird bedauert und ignoriert. Den Luxus, auf Eigentum zu verzichten, kann sich nur leisten, wer genug davon hat.
Aber die Weltmacht Eigentum scheint nicht mehr allmächtig. Seit Ende des 20. Jahrhunderts sind die Menschen dabei, sich eine zweite Welt zu bauen, in der sie mehr und mehr Lebensaktivitäten realisieren. Der Lebensraum dieser Onlinewelt ist das Internet. Es mehren sich Anzeichen, dass Eigentum in dieser Welt an Macht einbüßen wird. Aber Zeichen kann man fehldeuten. Klarheit bekommen wir, wenn wir wissen, welche allgemeinen Gesetze dem Eigentum innewohnen. Wenn man diese Gesetze kennt, kann man vorhersagen, was mit den Eigentumsbeziehungen von Contentgütern und dem Urheberrecht im Onlinezeitalter passieren wird.
Einleitung
Die Initialmotivation meiner Beschäftigung mit dem Thema Eigentum erwuchs aus meiner Tätigkeit als Verantwortlicher für den Onlinebereich in einem deutschen Anime-Verlag. In einem Verlag, der japanische Zeichentrickfilme (Animes) als DVD, BD und Video-on-Demand (VoD) auf den deutschen Markt bringt, ist man so intensiv und vielfältig wie nirgendwo sonst in der Contentwirtschaft mit eigentumsrechtlichen Fragen des Urheberrechts konfrontiert. Japanische Rechteinhaber, die Fankultur, Piraterie und Unternehmen, die Nutzungsrechte für Animes erwerben wollen, machen das Urheberrecht in diesem Verlagsgeschäft allgegenwärtig.
Japanische Rechteinhaber. Die Urheberrechte von Animes werden in der Regel von Gremien verwaltet, in denen viele Personen Mitspracherechte haben (Mangazeichner, Manga-Verlag, Charakter-Designer, Produktionsstudio, Investoren) und gern und intensiv Gebrauch davon machen. Lizenzverhandlungen und Genehmigungsverfahren, sogenannte Approvals, sind deshalb langwierig und kommunikationsaufwendig.
Fankultur. Fast alle Fanprodukte, die Animes und Mangas bei jungen Menschen so beliebt machen (Fanart, Cosplay, Dōjinshi, Fansubs, Anime-Music-Videos) und damit auch die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg der Verlage sind, verletzen das geltende Urheberrecht. Mit den Fansubbern gibt es in der Anime-Kultur eine große und gut organisierte Community, die eifrig im Graubereich des Urheberrechts agiert (vgl. Thordsen 2013: The Law of Anime).
Piraterie. Animes gehören im Internet zu den meistgefragten Produkten auf den Schwarz(kopie)märkten. In keiner anderen Contentbranche gibt es eine so eifrige und vielgestaltige Onlinepiraterie wie in der Anime-Szene.
Die in allen Contentbranchen beklagte Gratismentalität der Nutzer veranlasste mich, über den Tellerrand des Verlagsgeschäfts hinauszuschauen und grundlegend über Eigentumsbeziehungen nachzudenken.
Viele junge Menschen halten es heute für normal und beinahe für ihr Grundrecht, dass es Contentgüter im Internet gratis gibt. Ganz selbstverständlich und arglos erwarten sie, dass auch gewerbliche Contentanbieter ihre Produkte gratis ins Netz stellen. Mit flehentlichen Bitten oder dreisten Forderungen versuchen uns junge Menschen immer wieder dazu zu bewegen, unsere Animes kostenlos ins Netz zu stellen. Diesen jungen Menschen würde es nie und nimmer in den Sinn kommen, einen Verkäufer im Mediamarkt zu bitten, ihnen eine DVD gratis zu überlassen.
Filme und Musik kostenlos zu bekommen, ist natürlich für junge Menschen, die über wenig Geld verfügen und noch nicht wissen, was es heißt, vom Lohn eigener Arbeit leben zu müssen, sehr verlockend. Doch der Gratisvirus grassiert längst in allen Bevölkerungsschichten. In Großbritannien gehören Frauen über 35 Jahren zu den eifrigsten Nutzern von E-Book-Piraterie-Angeboten (vgl. Henderson 2011: Grannies turn to piracy). Und die Mehrzahl der Verfasser der unzähligen bissigen Kommentare, die sich Künstler einhandelten, die 2012 öffentlich die Gratismentalität kritisierten und ihren Anspruch auf Bezahlung ihrer Leistungen verteidigten, war schon einige Lebensjahre jenseits der Pubertät.
Selbst von den Menschen, die am Kiosk oder per Abo ganz selbstverständlich für Zeitungen und Zeitschriften bezahlen, sind nur sehr wenige bereit, Geld für Onlineformate journalistischer Produkte auszugeben. Dabei hat das Onlineformat klare Vorteile gegenüber dem Printformat: Beiträge können schneller veröffentlicht werden, es gibt attraktive multimediale Darstellungsmöglichkeiten und Links zu weiterführenden Informationen, man kann gezielt nach Informationen suchen und an andere Personen weiterleiten, Leser können direkt mit den Redakteuren und untereinander in Kontakt treten und ihre eigene Meinung öffentlich kundtun, alte Ausgaben sind schnell zur Hand und es werden keine Naturressourcen verbraucht. Das Onlineformat hat unstrittig einen höheren Gebrauchswert. Wenn Nutzer nicht einmal bereit sind, für diese Produkte einen geringeren Preis als für Zeitungen auf