Schlüssel zum Verständnis der Contentkultur im Onlinezeitalter sind die Eigentumsbeziehungen. Eigentum wird im Alltag und in der Wissenschaft primär als Rechtsbeziehung verstanden und betrachtet, deshalb dominiert im gesellschaftlichen Diskurs über das Eigentum die juristische Perspektive. Das, was derzeit und zukünftig mit den Eigentumsbeziehungen von Contentgütern passiert, erkennt und begreift man jedoch nur, wenn man auch die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und psychischen Dimensionen von Eigentumsbeziehungen reflektiert.
Anmerkung
Diesen breiten Blickwinkel auf Eigentumsbeziehungen hat ein multidisziplinärer Forschungsansatz, dessen heuristische Leitkonzeption der Begriff Propertisierung ist. Spiritus rector der Propertisierungsforschung ist der Leipziger Kultur- und Geschichtswissenschaftler Hannes Siegrist (
Universität Leipzig). Die Programmatik des Forschungsansatzes hat Siegrist in seinem Aufsatz „Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur. Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der Moderne“ ausgeführt, der in einem Heft der Zeitschrift comparativ der Leipziger Universität veröffentlicht wurde (vgl. Siegrist 2006). Geschichts-, Kultur- und Rechtswissenschaftler untersuchten an zahlreichen historischen und thematischen Kontexten die Institutionalisierung, Ausweitung und Differenzierung privater Eigentumsbeziehungen zu stofflichen und geistigen Gütern. In fakten- und lehrreichen Studien und Artikeln ist dokumentiert, dass Eigentumsbeziehungen ein zentraler Querschnittsbereich der Gesellschaft sind und dass stoffliches und geistiges Eigentum eine ähnliche Wirkungslogik aufweisen.Meine Recherchen und Überlegungen führten mich zur Erkenntnis, dass es universelle Wirkungszusammenhänge gibt, die allen Eigentumsbeziehungen – stofflichen und geistigen – eigen sind. Diese universellen Wirkungszusammenhänge lassen sich als ontische (nicht juristische) Grundgesetze des Eigentums fassen, die die Fragen beantworten: Was ist Eigentum? Wozu gab und gibt es Eigentum? Wer ist der erste Eigentümer eines Guts? Diese Grundgesetze gelten für stoffliche und geistige Güter. Evolutionsgeschichtliche Frühformen der Gesetze findet man schon in vormenschlichen (tierischen) Sozialsystemen. Die Annahme solcher historischen Invarianten kollidiert keineswegs mit der Historizität sozialer Systeme, sondern bietet einen konzeptionellen Rahmen und heuristischen Kompass, um das geschichtliche Gewordensein und Funktionieren der Eigentumsbeziehungen von Contentgütern sowie deren gegenwärtige und zukünftige Entwicklung in der Onlinewelt begreifen und erklären zu können.
Ein weiteres Ergebnis meiner Forschung ist die Erkenntnis, dass Eigentumsbeziehungen von Contentgütern in mehrfacher Hinsicht maßgeblich durch stoffliche Eigentumsbeziehungen bestimmt werden. Das Wissen, wie Eigentumsbeziehungen zu stofflichen Gütern funktionieren, ist deshalb eine wichtige Voraussetzung, um zu begreifen, wie Eigentumsbeziehungen zu Contentgütern aussehen und funktionieren.
Wirkungsweise und Entwicklung von Eigentumsbeziehungen zu Contentgütern haben ökonomische und rechtliche Implikationen, aus denen sich ableiten lässt, welche Geschäftsmodelle zukunftsfähig sind und welche nicht und welche Optionen es für die zukünftige Entwicklung des Urheberrechts gibt und welche nicht.
Die juristischen Regelwerke für geistige Eigentumsbeziehungen zu Contentgütern (Urheberrecht und Copyright) sind seit Beginn des Onlinezeitalters in eine massive Akzeptanz- und Legitimationskrise geraten. Ich werde aufzeigen, welche Bedingungen und Prozesse unausweichlich zu dieser Krise geführt haben. Den zahlreichen Vorschlägen, Forderungen und Empfehlungen für die Reformierung des Urheberechts werde ich keinen weiteren Vorschlag hinzufügen. Beim Urheberrecht sind viele Änderungen wünschenswert und denkbar, aber nur sehr wenige praktisch machbar. Ich werde darstellen, warum das so ist, und eine Prognose geben, wie sich das Urheberrecht sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren und langfristig im Onlinezeitalter entwickeln wird.
Danksagung
Nur wenige Menschen hatten Kenntnis von diesem Projekt. Nur zwei Personen haben den Text vor der Veröffentlichung vollständig gelesen. Danken möchte ich vor allem meiner Frau, die mich immer wieder ermunterte und drängte, das Projekt zu Ende zu bringen. Danken möchte ich auch der Geschäftsführung der AV Visionen GmbH, die mir von Beginn an moralische Unterstützung für die Studie zusicherte und sich auch an der Finanzierung der Publikation beteiligte. Diese Unterstützung ist besonders hoch zu schätzen, weil das Ergebnis meiner Recherche längerfristig keine rosige Zukunftsperspektive für die Geschäftstätigkeit von Contentunternehmen verheißt. Persönlich bewerte ich die von mir gewonnenen Erkenntnisse deshalb auch mit sehr gemischten Gefühlen (vgl. Epilog). Aber in diesen Konflikt kann man eben geraten, wenn man gesellschaftliche Verhältnisse, an denen man selbst mit Eigeninteressen beteiligt ist, mit einem neutralen wissenschaftlichen Blick betrachtet.
Großen Anteil daran, dass der Text eine hohe Konformität mit den Regeln der deutschen Sprache und den Standards wissenschaftlicher Texte aufweist, hat mein Lektor Martin Zimmermann. Bücher kann man inzwischen auch ohne Verlag schreiben und publizieren, aber ein guter Lektor scheint mir unverzichtbar. Der Zweite, der den Text vollständig gelesen hat, ist Professor Hannes Siegrist (Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig), der als Vordenker der Propertisierungsforschung unstrittig einer der kompetentesten deutschen Wissenschaftler im Themenfeld „Eigentum“ ist. Dass sich Hannes Siegrist Zeit für eine sorgfältige Lektüre des Manuskripts nahm, sein sehr positives Feedback sowie seine hilfreichen Hinweise und weiterführende Kritik bestärken meine Zuversicht, dass meine Ausführungen einen gehaltvollen Beitrag zum Diskurs über die Zukunft der Contentkultur leisten werden.
Ich habe dieses Forschungsprojekt ganz unzeitgemäß ohne Austausch in sozialen Netzwerken durchgeführt. Geistiges Crowdsourcing habe ich allerdings sehr ausgiebig genutzt. Mein Dank gilt deshalb unzähligen Autoren, deren Beiträge in Printmedien und im Internet mir Denkanstöße gaben und Einsichten verschafften.
1 Die Grundgesetze des Eigentums
Die Menschen haben die Welt fast komplett vereigentumt – sowohl die natürliche Welt, die schon vor und ohne uns Menschen da war und ist, als auch die, die von unseren Artgenossen im Laufe der Kulturgeschichte geschaffen wurde. Mit Ausnahme der Sonne und des Wetters gibt es kaum etwas in unserer Welt, das nicht mit Eigentumsansprüchen und rechten besetzt ist. An allem und jedem, das uns in der Welt begegnet, haftet ein Schild: „Ich bin Eigentum von X“.
In den mannigfaltigen Ausprägungen und der ereignisreichen Geschichte des Eigentums lassen sich drei universelle Wirkungszusammenhänge ausmachen, die man als Grundgesetze des Eigentums bezeichnen kann. Diese Grundgesetze beantworten die Fragen:
Was ist Eigentum? (Erstes Grundgesetz)
Wozu gab und gibt es Eigentum? (Zweites Grundgesetz)
Wer ist der erste Eigentümer eines Guts? (Drittes Grundgesetz)
Anmerkung
Die Grundgesetze des Eigentums sind elementare Wirkungszusammenhänge, die für alle Arten von Eigentumsbeziehungen konstitutiv sind – sowohl für Eigentumsbeziehungen in menschlichen Gesellschaften als auch für deren historische Vorläufer (Frühformen) in tierischen Sozialsystemen. Ebenso wie bei Kommunikationsbeziehungen gibt es bei Eigentumsbeziehungen historisch universelle Wirkungszusammenhänge, die sich in der Evolution in vormenschlichen Sozialsystemen herausgebildet haben und in menschlichen Gesellschaften in neuer Qualität in unzähligen Arten und Formen entfaltet und praktiziert wurden und werden.
Von diesen hier als Grundgesetze des Eigentums bezeichneten Wirkungszusammenhängen sind juristische Gesetze über Eigentumsrechte zu unterscheiden, in denen Rechtsnormen (als „gesetztes Recht“) fixiert wurden, um konkrete Eigentumsbeziehungen in menschlichen Gesellschaften zu regeln.