Michael Wache

CONTENT ohne EIGENTUM


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      In der Alltagssprache werden die Begriffe Besitz und Eigentum oft gleichbedeutend gebraucht. Wenn vom Besitzer die Rede ist, ist meistens der Eigentümer gemeint. Das liegt auch daran, dass es in der deutschen Sprache für das Dingwort „Eigentum“ kein „Tuwort“ gibt. Ein Hemd kann man besitzen, aber nicht „eigentumen“.

      Juristen dagegen unterscheiden klar zwischen Besitz und Eigentum. Bei beiden handelt es sich um die Herrschaft über eine Sache. Eigentum ist die rechtliche, Besitz die tatsächliche Herrschaft: „Vom Besitz unterscheidet sich Eigentum dadurch, dass es eine rechtliche (nicht bloß eine tatsächliche) Sachherrschaft ermöglicht. Zu den rechtsgeschäftlichen Verfügungen, die nur das Eigentumsrecht ermöglicht, zählen der Verkauf, die Verpfändung und die Belastung von Eigentumsrechten als Kreditsicherheit. […] Wer eine Sache nur besitzt, ohne Eigentumsrechte an ihr zu haben, kann all diese Transaktionen nicht durchführen“ (

Theil 2001: Eigentum und Verpflichtung, S. 4).

      Eigentum steht in unserer Gesellschaft höher als der Besitz, es ist sogar als Grundrecht in der deutschen Verfassung (

§ 14) verankert.

      Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind Eigentum und Besitz rechtlich detailliert geregelt – Eigentum in den

§§ 903–911, Besitz in den
§§ 554–872.

      In der Praxis sind Eigentum und Besitz meist in einer Hand. Ich bin sowohl Eigentümer als auch Besitzer meiner Schuhe. Eigentümer können ihr Eigentumsgut aber auch anderen Personen zur Nutzung als Besitz überlassen, indem sie es vermieten, verborgen, verpachten oder verleasen. Die jeweiligen Besitzer haben dann zeitlich befristete Nutzungsrechte für das betreffende Gut. Die Eigentümer behalten die Vermögensrechte. Bei geleasten, gepachteten und gemieteten Wirtschaftsgütern, die für gewerbliche Zwecke genutzt werden, bezeichnet und behandelt das Steuerrecht die Nutzer als „wirtschaftliche Eigentümer“. Ein Eigentümer, dem das Eigentumsgut durch Diebstahl oder Raub entwendet wurde, bleibt Eigentümer dieses Guts. Der Dieb ist Besitzer des Diebesguts, aber nicht dessen Eigentümer. Dem Staat, als Machtgarant von Eigentumsbeziehungen, obliegt es dafür zu sorgen, dass der Eigentümer sein Gut zurückbekommt und der Dieb für seine Rechtsverletzung bestraft wird.

      Das soziale Beziehungsgefüge zwischen dem Eigentümer und den Nichteigentümern hat die Struktur einer Subjekt-(Objekt-)Subjekt Beziehung, die aus drei Beziehungen besteht: (A) die Subjekt-Objekt-Beziehung des Eigentümers zu dem betreffenden Gut (seinem Eigentum), (B) die Subjekt-Objekt-Beziehung der Nichteigentümer zu diesem Gut und (C) die Subjekt-Subjekt-Beziehung zwischen dem Eigentümer und den Nichteigentümern. Das Dingwort (Substantiv) „Eigentum“ verkürzt semantisch auf die Subjekt-Objekt-Beziehung: Jemand ist Eigentümer von etwas. Etwas ist Eigentum von jemandem. Die für Eigentum konstitutive soziale Beziehung wird dabei ausgeblendet. Aus diesem Grund ist es semantisch adäquater, den Begriff Eigentumsbeziehung zu verwenden.

      Anmerkung

      Das Dingwort „Eigentum“ bringt sprachlich zum Ausdruck, dass bei der alltäglichen Wahrnehmung von Eigentumsbeziehungen ähnliche Fehlwahrnehmungen stattfinden, wie sie Marx mit den Begriffen ‚Verdinglichung‘ und ‚Warenfetischismus‘ beschrieben hat: „Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt.“ (

MEW 23, S. 86) Ursache der verdinglichten Wahrnehmung von Eigentumsbeziehungen sind jedoch keine „ideologischen Verblendungszusammenhänge“, sondern charakteristische kognitive Prozeduren des Alltagsbewusstseins (vgl.
Almasi 1977: Phänomenologie des Scheins,
Heller 1978: Das Alltagsleben).

      Eigentumsbeziehungen werden im Alltag und einschlägigen Theoriemodellen vornehmlich aus der Eigentümerperspektive reflektiert. Die für Eigentumsbeziehungen konstitutive Rolle der Nichteigentümer bleibt weitgehend unbelichtet. Dass Nichteigentümer ihre Nichtverfügungsgewalt über das betreffende Gut erkennen, akzeptieren und respektieren, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. In der Offlinewelt spielen die Nichteigentümer auch, bis auf Ausnahmen, geräuschlos mit. In der Onlinewelt machen viele Nichteigentümer das nicht. Darum geraten die Nichteigentümer jetzt ins Blickfeld sozialer Aufmerksamkeit. Eine Schlüsselfrage meines Forschungsprojekts lautet deshalb: Warum akzeptieren und befolgen Nichteigentümer stofflicher Gebrauchs- und Contentgüter klaglos die Normen und Regeln ihrer sozialen Rolle und warum tun das Nichteigentümer bei Con­tentgütern in der Onlinewelt massenhaft nicht?

      Eigentümer und Nichteigentümer agieren und interagieren in reziprok-komplementären sozialen Rollen. Mit sensiblen Sensoren und praxiserprobtem Wissen über die Rechte und Pflichten von Eigentümern und Nichteigentümern beobachten, fühlen, denken, werten, kommunizieren und handeln wir permanent abwechselnd in beiden Rollen.

      Soziale Rollen basieren auf dem Zusammenspiel von Regelwissen, Erwartungen und Handlungen. Der Rollenträger handelt in der jeweiligen sozialen Situation nach den Regeln seiner sozialen Rolle und die anderen erwarten, dass er so handelt. Hier gibt es keinen strengen Determinismus. Jeder Rollenträger hat auch die Freiheit, die Regeln seiner Rolle nicht zu befolgen, zumal es viele soziale Situationen gibt, in denen man gleichzeitig in zwei oder mehr sozialen Rollen steckt, deren Handlungsoptionen kollidieren können. Der Eigentümer vollzieht im Umgang mit seinem Eigentum Handlungen, zu denen ihn die Eigentümer-Rolle berechtigt, und die Nichteigentümer erwarten, dass der Eigentümer mit seinem Eigentum nach den Regeln der Eigentümer-Rolle umgeht. Umgekehrt erwartet der Eigentümer, dass sich die Nichteigentümer beim Umgang mit seinem Eigentumsgut nach den Regeln der Nichteigentümer-Rolle verhalten. Mit diesen reziproken Rollenerwartungen (Perspektivenübernahmen) reduzieren Eigentümer und Nichteigentümer die Komplexität sozialer Situationen und damit auch das Konfliktpotenzial ihrer Interaktion, denn beide können vorhersehen, wie sich der andere verhalten wird, und dies bei der Planung und Steuerung ihres eigenen Handelns berücksichtigen. Beide Effekte – die kognitive Reduktion von Komplexität und die Reduzierung sozialer Konfliktpotenziale – sind unverzichtbare Voraussetzungen für die Orientierung menschlicher Individuen im gesellschaftlichen Alltag und für das Funktionieren sozialer Systeme. Damit sind Eigentumsbeziehungen ein Grundbaustein sozialer Ordnung.

      Soziologen beschreiben diese Funktion von Eigentumsbeziehungen mit dem Begriff der Institution: „Mit Institutionen sind ‚kollektive Handlungsregeln‘, ‚handlungsleitende Regeln‘, ‚Spielregeln‘ oder ‚symbolische Ordnungen‘ gemeint, wodurch soziale Beziehungen und Formen des Umgangs mit materiellen und kulturellen Artefakten typisiert, standardisiert und stabilisiert werden. Institutionen wie das Eigentum stellen ‚übergreifende und verfestigte gesellschaftliche Erwartungsstrukturen‘ dar, die soziales Handeln sowohl bestimmen als auch ermöglichen. […] ‚Eigentum‘ gehört in modernen arbeitsteiligen und differenzierten Gesellschaften und Rechtssystemen zu den zentralen Ordnungsprinzipien und Institutionen, womit der Umgang mit materiellen und immateriellen Gütern sowie soziale Beziehungen und Hierarchien geregelt werden.“ (