ist Eigentum? Was machen Sie, wenn Ihnen jemand diese Frage stellt? Falls Sie nicht zu den wenigen Menschen gehören, die auf diese Frage „aus dem (eigenen) Kopf“ eine Antwort geben können, werden Sie sicher im Internet nachschauen, um in Erfahrung zu bringen, wie andere Menschen diese Frage beantworten – Menschen, die Experten für diese Frage sind. Sie werden in Suchmaschinen nach dem Stichwort „Eigentum“ suchen, auf der Website enzyklo.de nachschauen, wie der Begriff ‚Eigentum‘ definiert wird, und bei Wikipedia nachlesen, was unter dem Stichwort „Eigentum“ geschrieben steht. Ergebnis dieser Recherche werden folgende Aussagen sein:
„Eigentum bezeichnet das umfassendste Herrschaftsrecht, das die Rechtsordnung an einer Sache zulässt.“ ( Wikipedia: Eigentum)
„Das umfassendste Sachenrecht. Es gibt dem Eigentümer die Befugnis, ‚soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben (zu) verfahren und andere von jeder Einwirkung aus(zu)schließen‘ (§ 903 BGB). Seine Befugnisse lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Er darf die Sache besitzen und nutzen (zum Beispiel sie gebrauchen, verbrauchen, verarbeiten, wegwerfen), und er darf die Sache verwerten (zum Beispiel sie verkaufen oder verpfänden). Das Eigentum ist ein Grundrecht und wird im Grundgesetz garantiert (Art. 14 Abs. 1 GG).“ ( rechtslexikon24.net)
„E. bezeichnet das unbeschränkte, dingliche Recht, über eine Sache frei bestimmen, verfügen und auf diese einwirken zu können, sowie das Recht, andere davon auszuschließen, sofern die in der Rechtsordnung gezogenen Grenzen (z. B. Gesetze, Rechte Dritter) nicht überschritten werden.“ ( bpb)
„Das Eigentum grenzt die Herrschaft über Sachen und andere Vermögensgegenstände zwischen Personen ab. Es gewährt eine umfassende Gewalt. Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen kann eine Person über ihr Eigentum grundsätzlich nach Belieben entscheiden.“ ( Gabler Wirtschaftslexikon)
Herrschaftsrecht an einer Sache, Sachenrecht, dingliches Recht. Offenbar handelt es sich bei Eigentum um das Recht an Sachen. Für die Beantwortung der Frage „Was ist Eigentum?“ ist diese Erkenntnis ein Anfang – mehr nicht. Denn um Eigentum wirklich zu begreifen, reicht der rechtliche Aspekt längst nicht aus. Das, was Eigentum ist, lässt sich begrifflich nur sehr schwierig erfassen.
„Dabei scheint es in all seinen Erscheinungsformen so einfach zu identifizieren. Sogar ungebildete Menschen wissen, was Eigentum ist, wenn sie es sehen, und haben verinnerlicht, was mit dem Begriff gemeint ist. Doch es gibt kaum einen Begriff, der schwerer zu fassen ist. Seit undenklichen Zeiten haben sich Philosophen und Könige, Theologen und Politiker mit der Vorstellung von Eigentum herumgeschlagen und bis jetzt nicht befriedigend erklären können, was es wirklich ist.“ ( Rifkin 2000: Access. Das Verschwinden des Eigentums, S. 105)
Anmerkung
Der Autor dieser Sätze – der amerikanische Trendforscher Jeremy Rifkin – hat in seinem Buch „Access. Das Verschwinden des Eigentums“ den fundamentalen Stellenwert des Eigentums für die Organisation menschlicher Gesellschaften und die lebensweltliche Orientierung menschlicher Individuen aufgezeigt. Rifkins Buch ist meines Wissens die einzige Abhandlung über das Thema Eigentum, die auch jenseits fachwissenschaftlicher Diskurse Beachtung fand und findet. Seine These, dass das Eigentum in modernen Gesellschaften sukzessive verschwinden wird, scheint in die gleiche Richtung zu gehen wie die Überlegungen, die ich in diesem Buch entwickeln werde. Diese Gemeinsamkeit ist jedoch nur oberflächlich, denn sowohl beim Verständnis, was Eigentum ist, als auch bei der Erklärung, wie und warum Eigentum verschwinden wird, vertrete ich ganz andere Auffassungen als Rifkin. Der Titel der im Jahr 2000 veröffentlichten amerikanischen Originalausgabe von Rifkins Buch lautet übrigens: The Age of Access: The New Culture of Hypercapitalism, Where All of Life is a Paid-for Experience. Vom Verschwinden des Eigentums ist in diesem Titel keine Rede.
Rifkin bringt im voranstehenden Zitat einen Aspekt zur Sprache, der für das Verständnis von Eigentumsbeziehungen sehr erhellend ist: Alle Menschen sind im Alltag Eigentums-Experten. Während sich viele Wissenschaftler noch immer uneinig sind, was Eigentum überhaupt ist (vgl. dazu Goldhammer 2012: Geistiges Eigentum und Eigentumstheorie), ist uns im Alltag völlig klar, woran wir Eigentum erkennen und wie wir damit umzugehen haben. Wir verfügen über eine Fülle praktischen Wissens über Eigentumsbeziehungen – Wissen, das wir in den vielfältigsten Kontexten anwenden, weil wir überall und ständig als Eigentümer oder Nichteigentümer denken, fühlen und handeln. Wie aufmerksam wir unsere dingliche und soziale Umwelt durch eine Eigentumsbrille beobachten und bewerten, zeigen Irritationen, die banale Verletzungen alltäglicher Eigentumsregeln auslösen. Stellen Sie sich folgende Szene vor: Sie sind am Strand und spielen Volleyball. Ihre Strandutensilien haben Sie unweit vom Spielfeld abgelegt. Während des Spiels sehen Sie zufällig, wie eine Ihnen völlig unbekannte Person, egal ob Mann oder Frau, aus dem Wasser kommt, zielgerichtet zu Ihren Strandutensilien geht, Ihr Handtuch greift und sich damit abtrocknet … Ich liege vermutlich ziemlich richtig, wenn ich annehme, dass Ihnen in dieser Situation Sätze wie „Was geht denn hier ab? Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ durch den Kopf gehen würden.
Ohne detailliertes praxiserprobtes Wissen über Eigentumsbeziehungen würden wir im Alltag gar nicht zurechtkommen. Sicher ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie Experte für Eigentumsbeziehungen sind, dass Sie als Teilnehmer an Eigentumsbeziehungen mehr über Eigentum wissen, als man in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen über das Phänomen Eigentum erfährt. Dass Sie nicht wissen, wie viel Sie eigentlich wissen, liegt in der Natur der mentalen Orientierungssysteme, mit denen menschliche Individuen in ihren alltäglichen Lebenswelten agieren. Diese Orientierungssysteme bestehen aus einer Vielzahl von Wissensbeständen, kognitiven Prozeduren, Emotionen, Wertungen und anderen mentalen Prozessen, die in großen Teilen unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegen und ablaufen.
Bildlich vereinfacht gibt es in unserer mentalen Apparatur drei Etagen. Auf der obersten Etage befinden sich Wissensbestände und Operationen, die wir bewusst reflektieren. Auf der mittleren Etage sind Wissensbestände, Wertvorstellungen, Emotionen und Operationen lokalisiert, die im Normalbetrieb weitgehend unreflektiert bleiben, aber sich mittels verschiedener Methoden der Introspektion bewusst machen lassen. Auf der untersten Etage befinden sich mentale Strukturen und Operationen, die so tief im Bewusstsein angesiedelt sind, dass man sie nur mit wissenschaftlichen Methoden zutage fördern kann. Das mentale Management von Eigentumsbeziehungen, d. h. die Koordinierung unserer Orientierungen und Handlungen als Eigentümer und Nichteigentümer, findet auf allen drei Etagen statt.
Will man begreifen, was Eigentum ist und wie es funktioniert, muss man das Phänomen ganzheitlich betrachten – sowohl aus der Draufsicht als auch aus der Binnenperspektive der Menschen, die als Eigentümer und Nichteigentümer