Marion Hein

Überlebt


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Minuten Brustschwimmen beginnend mit einem Sprung vom 1m-Brett. Zum Fahrtenschwimmer mussten 45 Minuten in beliebigem Stil geschwommen werden. Mit dem Sprung vom 3m-Brett wurde begonnen. Für diese Leistung bekam man eine bessere Sportnote im Zeugnis. Mauruschat hatte die Angewohnheit, in der Pausenaufsicht auf dem Schulhof mit dem Rohrstock über den zusammengedrückten Daumen und Mittelfinger zu hauen, was regelmäßig zu blauen Fingernägeln führte. In dieser Zeit spielten wir einmal Handball gegen unsere alten Klassenkameraden von der Oberschule. Das Spiel pfiff ein Lehrer der Oberschule und wurde von uns haushoch verloren.

      Nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 gab es immer mehr verwundete Soldaten. Es mussten weitere Lazarette eingerichtet werden. Nach den großen Ferien 1941 wurde das Gebäude der Knabenvolksschule Lazarett. Wir wurden in die Mädchenschule verlegt. Es wurde wöchentlich wechselnder Schichtunterricht eingeführt, eine Woche vormittags, die nächste Woche nachmittags. Unter den Schulbänken fanden wir häufiger Post von den Mädchen.

      Im 6. Schuljahr war der Konrektor Karl Scholz unser Klassenlehrer. Er war ein sehr korrekter Lehrer, bei dem mir das Lernen richtig Spaß machte. Bei Schiemenz hatten wir Musikunterricht. Das Singen fand immer in der Aula statt. Mit Beginn eines Liedes sagte er mit erhobenen Händen immer: „Zwei, drei, Luft.“ Bei uns in der Klasse hieß es aber Zwei, drei, Luft, Schiemenz hat gemufft. Gesungen wurden in aller Regel Volkslieder wie zum Beispiel Das Wandern ist des Müllers Lust. Ob damals auch die üblichen Marschlieder der Hitlerjugend geübt wurden, ist mir nicht in Erinnerung. Da ich besonders bei mehrstimmigen Stücken nicht die Töne halten konnte, wurden ich und 4 weitere Klassenkameraden durch Richardchen generell vom Singen ausgeschlossen. Bei mir war dadurch eine glatte 6 für Musik im Zeugnis bis zur 8. Klasse vorprogrammiert. Wenn die anderen ihre Lieder probten, konnten wir hinter den singenden Schulkameraden die Hausaufgaben für den nächsten Tag erledigen. Nach dem Gesang wurden dann einfach die Ergebnisse abgeschrieben. Beim Unterricht im Klassenraum saß Schiemenz vorn an seinem Lehrertisch. Wenn er das Gefühl hatte, ein Schüler hört nicht zu oder stört den Unterricht, dann schaute er erst plötzlich nach links und sagte: „Der hat mich noch immer nicht verstanden.“ Und dann flog sein Schlüsselbund nach rechts zum Störenfried. Seine Standardstrafe war dann meistens eine saftige Kopfnuss mit den Fingernägeln.

      Ich hatte einen sehr langen Heimweg. Nach dem Unterricht ging ich mit anderen Schulkameraden öfter bei Mommert rein, um ein bisschen Schokoladen- oder Bonbonbruch zu ergattern. Dabei hatten wir nur dann Glück, wenn gerade die Schubfächer und Kästen leer waren und gesäubert wurden. Hatten wir hier keinen Erfolg, wurde bei der Bäckerei Raban ein weiterer Versuch gestartet, um an Kuchenränder zu kommen. Beide Möglichkeiten gingen mit der Verschlechterung der Ernährungslage während des Krieges nach und nach verloren.

      In den Herbstferien ging es mit etwa 12 Kameraden der 7. Klasse zum Kartoffeleinsatz. Begleitet wurden wir von einem älteren Hitlerjugend-Führer. Am Bahnhof holte uns ein Bauer ab. Nach dem Frühstück ging es barfuss aufs Feld. Morgens war es manchmal schon empfindlich kalt, so dass wir froren. Untergebracht wurden wir in einem Klassenraum der Grundschule. Der Raum war mit Stroh ausgelegt. Zusätzliche Decken dienten als Unterlage und zum Zudecken. Der Bauer, bei dem wir Kartoffeln lesen sollten, holte uns an der Schule ab. Es wurden Abschnitte eingeteilt, wo immer 2 Jungen zu lesen hatten. Der Kartoffelroder fuhr rund herum, so dass wir uns beeilen mussten, um in einem bestimmten Zeitrahmen alle Kartoffeln zu lesen und auf Kastenwagen zu schütten. Hierbei wurde verbotenerweise auch manche Kartoffel in den Boden getreten. Mittagessen gab es am Rande des Kartoffelackers, Abendessen im Bauernhof. Für jeden Tag gab es 1 Reichsmark. Das Essen, die Unterbringung sowie die An- und Heimreise waren frei. Nach etwa 14 Tagen kamen wir vollkommen kreuzlahm wieder heim. Aber der Verdienst war für mich wertvoll. Ich konnte mir davon zusammen mit anderen Ersparnissen Meyers Konversationslexikon von einem Finsterwalder Privatmann kaufen.

      In den Herbstferien 1943 ging es mit etwa den gleichen Kameraden der 8. Klasse wieder zur Lese. Diesmal hängten wir noch 1 Woche dran. Hier hatte ich einen Unfall. Mit der linken Hand fasste ich die Schleuder des stillstehenden Kartoffelroders an. Plötzlich scheuten die Pferde und der Roder fuhr los. Dabei wurde mein Zeigefinger verletzt. Die Hand wurde provisorisch verbunden und in Luckau weiter verarztet. Mit der rechten Hand habe ich dann bis zum Abschluss des Einsatzes noch weiter Kartoffeln gelesen.

      Kasernenalltag in der Lehrerbildungsanstalt 1944

      Im März 1944 machte Lehrer Semisch von unserer 8. Volksschulklasse auf dem noch schneebedeckten Schulhof der Mädchenschule ein Klassenbild. Anschließend lernten wir, wie man mit der einfachen Kamera fotografiert, den belichteten Film herausnimmt, das Bild auf Papier bringt und fixiert und wie gewässert und getrocknet wird.

      Gegen Ende des Krieges gab es Schreibhefte nur noch auf Bezugschein. Wir bekamen von Seelands Mope den Auftrag, in der Aula der Mädchenschule hellblaue Zettel mit einen Stempel und der Beschriftung 1 Heft zu versehen. Ohne einen solchen Bezugsschein bekam man in den Geschäften auch gegen Bezahlung kein Heft. Beim Abschluss der Arbeit wurde die Anzahl der Scheine gezählt. Es kam heraus, dass weniger gestempelte Scheine als vorher leere Zettel vorhanden waren. Viele von uns hatten sich einen oder mehrere dieser nun zu Bezugsscheinen gereiften Papiere beiseite geschafft. Seelands Mope schlug unbarmherzig zu. Im Raum der 8. Klasse in der Nähe des Rektorzimmers im 2. Obergeschoß gab es Schläge nach Strich und Faden. Jeder, der Scheine für sich behalten hatte, musste sich über einen Stuhl legen. Ich weiß noch, dass ich 4 Bezugsscheine hatte. Anschliessend ging ich in das Kartenzimmer. Hier waren schon einige meiner Klassenkameraden versammelt und hielten sich ihren Hintern. Ich bekam 4 Schläge mit dem Rohrstock. Dabei hatte ich Glück, dass der Stock durch die vorhergegangenen Prügel meiner Kameraden kürzer geworden war. Die letzten 1 oder 2 Kameraden sollen wohl ohne Schläge davon gekommen sein. Aus Angst hatten auch einige die Zettel verspeist. Als mein Vater zu Hause die Striemen auf meinem Hintern sah, sagte er nur: „Das geschieht dir recht. Warum machst du so etwas!“

      Am 25. März 1944 wurde ich aus der Knabenvolksschule entlassen. Kurz vor dem Ende der Volksschulzeit im März 1944 wurde ich mit meinen Eltern zu einem Besuch bei Rektor Gericke in seine Privatwohnung eingeladen. Als ich mit meiner Mutter bei ihm erschien, schlug er vor, dass ich Lehrer werden sollte. Ich war begeistert, diesen Beruf erlernen zu dürfen und war gleich damit einverstanden. Von der Führung der Hitlerjugend in Finsterwalde bekam ich ein gutes Zeugnis ausgestellt, obwohl ich nur stellvertretender Mitmarschierer war. Anfang April 1944 kam eine Einberufung nach Cottbus zur Aufnahmeprüfung an der Lehrerbildungsanstalt (LBA). Hier wurden fast alle Fächer der Volksschule in schriftlicher und mündlicher Form geprüft. Eine halbmilitärische Übung ist mir noch immer in besonderer Erinnerung. In der Nacht gab es Alarm: „Im Treppenhaus brennt es, alle aus den Fenstern raus.“ Mir war ein bisschen mulmig zumute, zumal wir aus dem 1. Obergeschoß springen sollten. Dabei ahnten wir nicht, dass unten Sprungtücher aufgespannt waren. Ich hatte die Prüfung bestanden und wurde auf die Lehrerbildungsanstalt Paradies geschickt.

      Am 24. April ging es mit der Eisenbahn bis zu der kleinen Bahnstation Paradies. Mit mir fuhren noch eine Reihe anderer Jungen. Einige waren schon ein Jahr in Paradies und hatten die Osterferien zu Hause verbracht. Am 25. April 1944 begann meine Ausbildung zum Volksschullehrer in der LBA Paradies. Wenige Tage nach der Ankunft bekam ich den Ausweis, auf den ich damals ganz stolz war. Das Foto muss 1944 in Paradies gemacht worden sein. In Paradies bekam ich auch das erste Mal in meinem Leben eine vollständige Uniform der Hitlerjugend. Paradies war ein altes, mächtiges Zisterzienser-Kloster, das 1236 von Lehnin (Brandenburg) aus in Besitz genommen wurde. 1846 wurde daraus ein katholisches Lehrerseminar. Ab 1939 war es dann eine Lehrerbildungsanstalt mit Internat. Ich kann mich noch an die Grabsteine der dort verstorbenen Lehrer erinnern.

      Im April 1944 waren 4 Jahrgänge in der Anstalt. Insgesamt müssen es 250 bis 300 Jugendliche gewesen sein. Die damals 17 bis 18 Jahre alten Schüler im 4. Ausbildungsjahr waren gleichzeitig unsere Hitlerjugendführer. Es fanden jeden Tag halbmilitärische Übungen statt. Wir sangen die damals üblichen Lieder und marschierten durch den benachbarten Ort Jordan. Schießübungen fanden wöchentlich auf einem in der Nähe liegenden Schießstand statt. Außerdem wurde großer Wert auf Sport gelegt und Schwimmen in den vielen Seen der Gegend. Beim Schwimmen ist einmal einer unserer Mitschüler in eine Schlingpflanze geraten und wäre fast ertrunken. Die wenige Freizeit verbrachten wir meistens