Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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Zeitrafferversion des Säbeltanzes hinlegen will. So, und jetzt üben wir alle diesen Albumtitel.“

      aus der Rezension zu „Kaasuhellan Käyttöohje” von Saariston Lapset

      Abdullah Ibrahim Trio

      „Cape Town Songs – The very Best of” (2000)

      Es ist faszinierend, über 20 Jahre das Werk eines Jazzkünstlers zu verfolgen, der seine Musik immer als politisch verstand, ohne sie platt politisierend einzusetzen. Ibrahim, einst berühmt als Dollar Brand, kommt aus Südafrika. Sein impressionistisches Pianospiel wird politisch durch die Wechselwirkungen zwischen Songtiteln und Stimmungen. Melancholisch getragen ist „Zikr“ von 1979, schwungvoll optimistisch „Mandela“ von 1985, fast schon satiehaft verträumt „Cape Town“ aus dem Jahr 1993. Und der „African Marketplace“ aus der Postapartheidzeit von 1996 schwelgt in einer sanften Euphorie, die nur eine Rückkehr nach langer Zeit auszulösen vermag. Am Ende hat er wieder den Blues („Mountain of the Night“, 1997), denn die Erinnerung bleibt. Ein wunderbares Album.

      Alabama 3

      „La Peste” (2000)

      Gospelgrooves, kauziger Düstercountry und eine schmutzstarrende Swamprockaura: Bei Alabama 3 fühlt man sich, als hätten Dr. John, Howe Gelb, Everlast und 16 Horsepower zusammen eine TripHop-Band gegründet. Genau besehen ist es sogar so, dass neben Everlast zurzeit nur Alabama 3 die Schrittweite haben, um aus uralten Trieben hochmoderne Blüten sprießen zu lassen. Rein geografisch reicht ihr Spagat vom Mississippidelta bis nach Manchester, und so wundert es nicht, dass die Briten auch zwei interkontinentale Kunststücke schafften: in Amerika den Titelsong zur Mafiaserie „The Sopranos“ beizusteuern und in einem Roman des englischen Dichters Irvin Welsh vorzukommen. Was will man mehr? Everlasts Erfolg vielleicht.

      And You Will Know Us By The Trail Of Dead

      „Madonna” (2000)

      Raffiniert, der Trick: den Gesang derart unterzubuttern unter die Zerrgitarren und Holperdrums, dass er alle Mühe hat, sich Gehör zu verschaffen – und sie sich auch gibt. Die Band, die wir der Einfachheit halber Trail Of Dead nennen wollen, obwohl sie … And You Will Know Us By The Trail Of Dead heißt, kommt aus Austin/Texas und möchte Alternative und Punk ins neue Jahrtausend hinüberretten. Was läge da näher, als konsequent das energetische Niveau dieser Stile nachzuweisen? Was läge näher als Crossover und Karacho? Ein lautstarkes Lebenszeichen der wilden Gitarrenmucke mit erstaunlich ausgetüftelten Zwischenparts; man höre nur die Brücke in „Totally natural“.

      Andrea Marquee

      „Zumbi” (2000)

      Von einer brasilianischen Sängerin erwarten wir Schwung, Leichtigkeit, luftige Rhythmen. Doch Andrea Marquee beginnt ihr Album mit mächtigen Drums, die stolpern und holpern und alle Bossa-Nova-Klischees Lügen strafen. Die Frau aus São Paulo wirkt mit am evolutionären Umbruch des Brasilpop. Das Alte geht auf im Neuen, Samba und Bossa Nova rieseln in moderne Tanzstile – und umgekehrt. Kein Problem neuerdings, Lieder von Veloso zum TripHop abzubremsen, Klassiker mit Drum & Bass zu unterlegen. All das tut Andrea Marquee und beweist, was westliche Clubmusik brasilianischen Quellen alles zu verdanken hat – und wie die Wasser dieser Quellen gemeinsam mit aktuellen Strömungen neuen Ufern entgegen fließen.

      Animus Amour

      „Don’t run until God says” (2000)

      Das Cover kommt so beliebig bunt daher wie jeder bei Karstadt für neunneunzig verramschte Trancesampler. Doch Richard West und Jeremy Jones sind keine Ex-&-Hopp-Typen. Als Kopf von The Shamen war West ein Pionier des Friedensvertrags zwischen Rock, Rap und House; im Duo kümmert er sich in langgeschwungenen Zehnminütern mehr ums Halluzinogene. Ihn interessiert 4/4-Gepumpe ebenso wenig wie Synthiesounds von der Stange. Nein, dieses akustische Schamanentum strebt nach dem gleichen Ziel wie einst die Psychedelia: Bewusstsein und Befindlichkeit zu verändern. Also kein Wunder, welches Akronym dabei heraus kommt, wenn man die Anfangsbuchstaben des CD-Titels aneinander fügt …

      Arcadi Volodos

      „Rachmaninoff: Concerto No. 3. in D Minor” (2000)

      Ob er nun, wie DER SPIEGEL zu wissen meint, wirklich das Zeug zum neuen Horowitz hat, oder wir es gar, wie DIE WELT penibel berechnete, mit „Horowitz hoch drei“ zu tun haben, sei dahin gestellt. Dem oft gehörten Klassiker (und sechs weiteren Stücken) von Rachmaninoff jedenfalls gewinnt der Tastenderwisch Volodos neue Aspekte ab – artistische und lyrische, um genau zu sein. Und so richtig ernst nehmen seine Triller und Triolen den großen Alten auch nicht. Unter Volodos’ flinken Fingern wird Neoromantik zum zeitgemäßen Virtuosenstück. Rachmaninoff, von dem selbst ja auch Einspielungen dieser Komposition vorliegen, würde wahrscheinlich dankend verzichten, forderte man ihn zum Wettstreit mit dem Interpreten auf. Aber dirigieren würde Sergej ihn liebend gerne, das ist mal sicher.

      Ash Ra Tempel

      „Friendship + Gin Rosé at the Royal Festival Hall” (2000)

      Es gehört Mut dazu, nach 30 Jahren im Geschäft noch auf die elementaren Reize zu setzen. Auf jene zwei Töne, zwischen denen die ungeheuer weiten Synthieflächen wehen, ehe tribale Drums zu pochen beginnen und schließlich jene klagende Gitarre des Manuel Göttsching einsetzt. Sein Stil: In weiter Ferne, so nah. Er und sein neuer alter Kumpel Klaus Schulze werden in Frankreich, England, Japan wie Gurus verehrt; es gibt auch kaum einen Gitarristen auf der Welt, der auf so emotionale Weise Rhythmen und Melodien verflicht wie Göttsching, kaum einen einflussreicheren Keyboarder als Schulze. Beide gründeten einst Ash Ra Tempel und schrieben im 68er Berlin als Popavantgardisten Geschichte. Auf diesen zwei CDs finden sie sich wieder nach Dekaden – zu langen Trips, nur alle 20, 30 Minuten durch eine Leerrille unterbrochen. Eine unwiderstehliche Attacke aufs limbische System.

      B. B. King & Eric Clapton

      „Riding with the King” (2000)

      Hier trifft der ganz Alte auf den schon ganz schön Alten, und man weiß beim besten Willen nicht, wer von beiden nun der im CD-Titel erwähnte König ist, selbst wenn der eine King heißt. Was den Blues angeht, können beide jedenfalls gar Anspruch auf den Kaiserthron erheben. Will sagen: Es war eine sehr gute Idee, beide Herrscher zum Gipfel zu bitten. Die bewährte Clapton-Allstar-Band um Steve Gadd (dr) und Andy Fairweather-Low (g) umhegt die beiden Gitarreros mit leuchtenden Augen, und B. B. und Eric kämpfen sich genussvoll durchs reiche Repertoire, vor allem durch das von King („Three o’Clock Blues“, „Days of old“), während Exgott Clapton „nur“ „Key to the Highway“ beisteuert, überraschend in einer gelassenen akustischen Version. Zeitloser, abgeklärter Blues zweier Ausnahmekönner.

      Babybird

      „Bugged” (2000)

      Ein einziges Mal steckte das Küken Stephen Jones sein Schnäbelchen aus dem Bastelkellerfenster, blinzelte baff in die Welt, sang „You’re gorgeous“ – und fand sich plötzlich wieder in der Glamourwelt des Pop. Doch der Ruhm, der Majordeal, das Rampenlicht: All das verschreckte unser Babybird. Also zog es sich zurück ins Nest und zwitscherte lieber weiter wie zuvor: schief und schräg und auf jeden Fall so, dass Ruhm und Rampenlicht nicht mehr drohen. Lieber schichtet Jones Spur um Spur aufeinander, so dass ein einziger großer Chorus aus Beats, Gitarren, Electronika, Trompeten entsteht. Songs wie „Out of Sight“ sind immer noch großer Pop, wenngleich ohne den fesselnden „Gorgeous“-Appeal; die meisten Stücke auf „Bugged“ aber vergraben sich selbstverliebt im Bastelkeller. Nicht viele werden sich die Mühe machen, sie unterm Gerümpel freizulegen. Für einige Songs aber lohnt sich die Mühe. Wirklich.

      Bats In The Head

      „Headroom” (2000)

      Ist