Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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Green Splinter Group

      „Destiny Road” (1999)

      Erstaunlich an Peter Greens zweiten Album mit der Splinter Group ist nur eins: dass sich das Gitarrengenie wirklich dazu aufgerafft hat. Sollte er etwa wieder richtig auf die Beine kommen? Immerhin komponiert er sogar wieder, wenngleich nur einen neuen Song; den Rest steuern die Kollegen bei; sein zweiter, „Tribal Dance“ – das sagt das Booklet nicht –, stammt schon aus den 70ern. Und er ist der beste auf der Platte. Die Splinter Group spielt konventionellen Blues; zu einer eigenständigen Form wie einst, als Green eine bluesinspirierte Instrumentalform ohnegleichen fand, findet sie nicht. Nur bei „Tribal Dance“. Und da lege ich mir ganz wehmütig lieber „In the Skies“ auf, Greens Comeback aus den 70ern. Time waits for no one, aber Green lebt und arbeitet. Und das ist – unabhängig von der minderen Qualität dieses Albums – ganz und gar wunderbar.

      Phil Collins Big Band

      „A hot Night in Paris” (1999)

      Man könnte Phil Collins, dem kleinsten Nenner des Megamainstream, ja unterstellen, dass er im Herzensgrunde nichts lieber täte, als Jazz zu spielen. Schon damals, Mitte der 70er, hatte er neben Genesis noch ein Jazzprojekt laufen, obwohl ihm der damalige Genesis-Sound gewiß genügend Freiräume bot. Seine Nebenband Brand X jedenfalls begeisterte mit artifizieller Grenzgängerei, und ihr einstiges Verhältnis zu Genesis entspricht exakt dem aktuellen von Pop-Phil und Big-Band-Collins: „A hot Night in Paris“ ist nämlich genau nicht, was der Titel sagt, sondern ein geschmackvoll goldschimmernder Abend mit viel Blech und noch mehr Attitüde. Kühle Perfektion statt kochender Ekstase. Aber kein Mensch hätte etwas anderes erwartet.

      Philipp Anz, Patrick Walder (Hg.)

      „Techno” (1999)

      Der komische Anglizismus im Titel des Einführungskapitels – „Die Geschichte von Techno“ – lässt nichts Gutes ahnen. Und siehe da: Das Taschenbuch ist lediglich die überarbeitete Neuauflage eines 1995 erschienen Buchs. Die Mehrzahl der Texte ist auf dem Stand von 1994 – fünf Jahre sind historische Welten in einem Genre, das gerade mal doppelt so alt ist. Jungle ist hier der letzte Schrei – danach kamen Drum & Bass, Big Beats, Downbeat, Electronic Listening, Freestyle, Lounge usw. usw. Die peppige, zugängliche Machart dürfte so kaum ausreichen, die junge, trendorienterte Klientel zu packen. Und Genreforschern ist die Reflexionsebene sicher zu niedrig.

      Pia Lund

      „Lundaland” (1999)

      Es prägt halt, das Musesein. Lund war lange Zeit Kunst- und Lebensgefährtin des arroganten Genius Philip Boa, ehe beide sich verkrachten. Doch irreparabel scheint der Terz nicht gewesen zu sein, denn bei einem guten Drittel der Songs ist Boa mit im Spiel. Alle Beteiligten tun ihr Bestes, eine deutsche Madonna zu schaffen: mit elektronischem Brimborium, modernen Beats und viel ätherischem Hall auf Pias Stimme überfrachten sie das „Lundaland“ zu einem Pseudowunderland des Pop, das mit aller (sanften) Gewalt erfolgreich sein will. Beim Hören aber wird man nie den Eindruck los, ein reines Kunstprodukt vor sich zu haben, eine Lara Croft des Pop. Ein Album wie ein Hollywood-Film: larger than life, aber auch an vielen Stellen hohl. Ganz bewältigt scheint indes auch die Trennung nicht: beim Dankesagen im Booklet kein Boa, nirgends.

      Pole

      „2” (1999)

      Die Sounds sind dürr und zerbrechlich, geformt aus den Schlieren und Schleifen einer bizarren Welt knisternder Auslaufrillen und zirpender Filter – analoge Fehler als Quelle digitaler Wunderländer. Stefan Betke verarbeitet das Knacken und Schaben wie ein Bildhauer, der aus dünnem Draht Abstrakta biegt. Und hinter diesen Rhythmen, die er nun auch mit einem Dubbass unterstützt, tun sich manchmal elektronische Tiefen auf, die uns auf eine Weise frösteln machen, wie es das reine Nichts nicht weniger könnte. Sein zweites Werk unterm Pseudonym Pole ist nicht so eisig wie sein Debüt, doch auf zugänglichere Weise ebenso faszinierend. Und liefe das Album länger als kurze 33 Minuten, wir wären seinem Bann vielleicht nie mehr entronnen.

      Praga Khan

      „Twenty First Century Skin” (1999)

      Maurice Engelen ist Belgier, trägt den Großmeistertitel Praga Khan und hat als Kind seine Schultasche verkauft, um sich eine Stranglers-CD leisten zu können. Sagt er, weil auch im Dance inzwischen biografische Legenden gefragt sind. Dass seine Musik dennoch nicht nach „Golden Brown“, sondern nach Technosdisco klingt, liegt halt an den Zeitläuften. Aber irgendwo in seiner Kiste mit Lieblingsklängen hallen noch die Gitarren seiner Schulzeit nach, und deshalb verbindet er manchmal lustvoll den kühlen Puls des House mit kratzigen Synthiesounds, die von fern an Saitenquälereien erinnern. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Megafusion von Pop, Rock und Dance.

      Randy Newman

      „Bad Love” (1999)

      Er wird in die Geschichte eingehen als einer der größten Songwriter des Jahrhunderts, als ein Sinclair Lewis des Pop. Als Skandalauslöser und Schelm schuf er in knappster Lyrik ein Psychogramm Amerikas – und das hat er nicht verlernt, obwohl er zuletzt fast nur noch damit beschäftigt war, die Oscars und Grammys für seine Soundtracks zu sortieren. „Bad Love“ zeigt Randy Newman auf der Höhe seiner Kunst – und die integriert inzwischen auch auf einem reinen Songalbum souverän seine Scorekünste. Ein makelloses Album, geprägt von reduzierten Pianoanschlag und großem Orchester, aber auch manch kargem Beat aus dem Computer. Es geht um alte Männer, die vergebens jungen Frauen hinterherlaufen, und um hässliche Männer, die unverhofft hübsche Frauen abkriegen. Das Leben ist lächerlich, brutal und komisch, und Randy Newman ist das auch.

      Red Hot Chili Peppers

      „Californication” (1999)

      Die Plattenfirma hütete die Musik dieses Albums vor der Veröffentlichung wie ein Staatsgeheimnis – das beste Signum einer bedeutenden Band, nicht etwa Schiss vor Kritik. Denn die im Titel verheißene „Kalifornizierung“ gerieten Flea und seinen Freunden unter der Ägide von Rick Rubin keineswegs zum Beach-Boys-Fake. Nein, ihre Kraft ist ungebrochen, ihre wegweisende Rolle im Crossovergenre bestätigen sie eindrücklich. Kaum eine andere Band vermag Wildheit und Härte so elegant mit Pop zu verzieren wie sie. Ein grandioses Comeback. Fans sollten sich den 20. August vormerken; dann sind RHCP Headliner beim Bizarre-Festival in Köln.

      Regular Fries

      „Accept the Signal” (1999)

      Abgründige Tiefe durch Rockgitarren, Elektronik und Groove: Regular Fries heben Genregrenzen auf, liefern eine bahnbrechende Definition des Modern Rock, die alle Errungenschaften konkurrierender Genres – Samples, Scratching, Loops – einbaut in eine langsam sich dahinwälzende Soundvision, der endlich mal das Etikett „Rock fürs 21. Jahrhundert“ gut steht. Als träfen die mittleren Pink Floyd in einer Ambientwelt auf den Doppelgänger von Beck Hansen. Kaum erwähnenswert, dass auch die Konzerte der Londoner multimedial sind, erweitert durch Lesungen und selbstgedrehte Filme. Also, Rocker, höret das Signal. Und vor allem: Akzeptiert es.

      Richard Schreiber

      „Guitar Romance” (1999)

      Mit dunkel wallenden Locken, keck melancholischem Blick und gitarristischen Fingerfertigkeiten könnte Schreiber mit einem einzigen „Wetten dass … ?“-Auftritt Scharen deutscher Lockenwicklerträginnen kurzfristig für Bach und Piazzolla gewinnen, ehe sie am folgenden Mittwoch wieder zurücksänken in ihr Elton-John-geprägtes Dasein. Vier Tage mit Bach! Ein CD-Kauf gar? Ja, Schreiber könnte das schaffen, zumal sein schauerliches Cover und der muzakhafte CD-Titel massenkompatible Seichtheit in einem Maße verheißt, das dann musikalisch aber doch nicht eintritt. Denn er ist einer, der geschickt auf einem Hochseil überm Kitschabgrund balanciert. Er wandelt schwer zu Spielendes in Luftigleichtes