Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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und trotzdem nicht trüb im Geist – auch wenn der hochgerühmte Tonmeister, der allein für ECM 200 Alben aufnahm, gern Balladen komponiert. Hellwach genug ist er zudem, für sein Debüt als lyrischer Gitarrist jungen Osloer Nachwuchs herbeizubitten (Svein Olav Herstad, Piano; Harald Johnsen, Bass; Per Oddvar Johansen, Drums), um seinen Stoff als feingliedrigen Bebop zu intonieren. So klingt es, selbst wenn Kongshaug Brubeck spielt, nach einer hellen Espressobar in Oslo, und die Strahlkraft des Songs („In your own sweet Way“) nimmt dabei eher noch zu. Ein Album, welches das Herz erfreut und das Hirn freipustet wie ein klarer Wintermorgen. Und da sind wir dann doch wieder in Norwegen.

      Jim O’Rourke

      „Eureka” (1999)

      Viel Freund’, viel Ehr’? O’Rourke scheint sich im Geiste verbunden zu fühlen mit den besten der amerikanischen Popkomponisten der letzten 30 Jahre, vor allem mit Van Dyke Parks, Brian Wilson und Crosby, Stills & Nash – irgendwo spielt auch noch ein kammerorchestraler Costello mit rein, allerdings ohne dessen inbrünstigen Nichtgesang, der alles wieder rausreißt. Obgleich epigonal, gelingen O’Rourke ein halbes Album lang kleine epische Folkpopsinfonien, die viel wagen an Aufwand und Epik und sich gewiß verhöben, hätten sie keine so guten Melodien. Wie in der zweiten Hälfte, wo die Arrangements eine Substanz bebildern sollen, die immer mehr verschwindet. Der Versuch aber ist aller Ehren wert; das werden auch seine Freunde im Geiste zugeben.

      John Carpenter

      „John Carpenter’s Vampire” (1999)

      Carpenter schrieb ja schon oft die Musik zu seinen Filmen höchstselbst und schuf dabei großartig naive Elektronika („Halloween“!). Seine Filme aber wurden zuletzt immer schlechter – vielleicht weil ihm die Musik immer wichtiger wurde. Für „Vampire“ komponierte der graugewordene Filmmaniac natürlich wieder alles selbst, aber er spielt auch noch Keyboards, Gitarre, Klavier und Bass. Und um die Band The Texas Toad Lickers (sic!) zu komplettieren, engagierte er die erste US-Studioliga, darunter Steve Cropper und Donald ,Duck’ Dunn. Herauskommt ein brillanter Soundtrack aus schwerblütigem Rootsrock und draculesker Sinfonik. Seit Chaplin hat kein Regisseur mehr sein Filmwerk so sehr akustisch geprägt wie John Carpenter. Chapeau!

      John Lennon

      „Wonsaponatime – Selections from Lennon Anthology” (1999)

      Gegenüber der unlängst erschienen Viererbox mit Unveröffentlichtem bietet dieser Sampler mit 21 daraus destillierten Songs eine erhebliche Kostenersparnis. Viele Outtakes und Vorstufen haben ihren Reiz. Auf „Imagine“ sitzt Lennon so nah am Mikro, dass man ihn schniefen hört; und statt Spector’scher Streicherwucht hören wir ein wärmendes Harmonium. Demgegenüber ist „God“ noch ein echtes Frühchen, das es zu recht nicht auf Lennons meisterliches „Plastic Ono Band“-Album von 1970 schaffte: Den aufgezählten Antiglaubensbekenntnissen schließt sich im gleichen Duktus das Gegenteil an, so fehlt dem Demo (noch) der Spannungsbogen. Bei Lennon ist es halt häufig so wie auch bei den Beatles: Die beste Fassung schaffte es schließlich aufs Album. Und wer weiß: Vielleicht hätten es weniger Songs ins kollektive Gedächtnis geschafft, wäre der Studioehrgeiz der Liverpooler (und ihres Produzenten) kleiner gewesen.

      John Mayall & The Bluesbreakers

      „Padlock” (1999)

      Seit Dekaden spielt der Brite einen Blues, dem das Klavier die Sporen gibt und Bläser die Peitsche. Er sah, wie die Alten dahingingen und seine Zöglinge (Jagger, Clapton, Page …) aufgingen im Rock. Mayall aber spielte weiter seinen Stil, auch als Anfang der 90er die Legende, der Blues sei ewig, kurz neue Nahrung erfuhr durch die verchromte Version eines Robert Cray. Wahr ist: Der Blues stirbt. Oder er verkocht im eigenen Saft zur ungenießbaren Melasse. Aber Mayall macht weiter. Mit dem gleichen Fieber, der gleichen leisen Hysterie in der Stimme wie anno 1963. Das rührt und macht melancholisch. Spätestens mit Mayall wird der Blues wirklich sterben.

      Karamasov

      „On Arrival” (1999)

      Postrock macht natürlich vor Elektronik nicht halt. Das „Post“ im Postrock sagt ja, dass vor allem die Begrenzungen durch die Gitarre nicht mehr akzeptiert werden. Und die Variante von Karamasov, einer Ablegerband von Pyogenesis, nutzt die Elektronik subtil, aber gern, verzichtet allerdings auch nicht auf Verschlurftes zur Gitarre. Manchmal verdaddelt man sich, macht aber nix. Irgendwo ist immer ein Türlein, durch das man wieder zurückfindet zum einfachen, introvertierten Riff, das der Rest wieder aufgreifen kann auf seiner langsamen instrumentalen Reise ins Nirgendwo. Denn genau da will der Postrock hin. Auch der von Karamasov.

      Karl Ritter

      „Stick to it” (1999)

      Sobald irgendeiner den Mittelfinger übern Gitarrenhals rutschen lässt, schreit alles begeistert: „Ry Cooder!“. Bei Karl Ritter tut das sogar seine eigene Plattenfirma. Pech. Denn Ritter vermag zwar der Gitarre auch Stimmungen zu entlocken, die wie in der Sonne flirrende Riesenkakteen im Raum stehen, doch wurzelt sein Verständnis der Gitarre durchaus nicht komplett in US-amerikanischen Traditionen. Auch die europäische Avantgarde redet ein, zwei Wörtchen mit. Ritter schickt die Klänge Ton für Ton auf Reisen, und er sinniert ihnen oft lange hinterher. Auch uns gibt das Zeit, über musikalische Strukturen nachzudenken. Sofern wir uns dem Pawlow’schen inneren Schrei „Ry Cooder“ verkneifen können.

      Kim Salmon & The Surrealists

      „Ya gotta let me do my Thing” (1999)

      Holpernd schleicht sich dieses Album in die Welt, ein grober Bass rollt an, verschmierte Bläser quietschen, und zu rußigen Kohlenkellerdrums kreischt der Urgrunger und Ex-Beast-Of-Bourbon Kim Salmon: „I won’t tell!“, und zwar etwa so, wie es David Byrne damals gemacht hätte, als er noch der Psychokiller war. Eine Mischung aus Neowave und Garage, aus Talking Heads und Who bietet Salmon auf, um neumodischer Gelecktheit die gute alte Schule des 80er-Jahre-Undergrounds entgegenzuhalten. Das ist nicht schön, aber heftig; das ist nicht eingängig, aber wirksam – wie ein Schlammbad im Abendkleid. Es geht also noch, roh zu sein und herumzustolpern vor lauter Ungestüm und sich einen Teufel zu scheren ums Feinsinnige. Gute, dreckige Musik, der es um Alkohol und Voyeurismus geht – und einmal auch darum, im Reißverschluss festzustecken.

      King Crimson

      „The ProjeKcts” (1999)

      Zuletzt bekam Robert Fripp die legendäre Artrockcombo nur noch selten zusammen. Kurzerhand rief er daher die „Fraktalisierung“ aus: Wer immer aus der Band mit einem anderen Mitglied musiziert, tut das seither als King-Crimson-„ProjeKct“. Eine Viererbox fasst nun die Konzerte aller „ProjeKcts“ seit 1997 zusammen – zur erregenden, aber auch strapaziösen Reise an die Ränder der Populärmusik, wo Rock, Jazz, Noise und Avantgarde miteinander tanzen. Beim „ProjeKct One – Live at the Jazz Café“ (mit Levin, Gunn, Bruford, Fripp) etwa packt uns ein dichter, hektischer, oft majestätischer Strom aus Grooves und Gitarrenlärm, reißt uns hinab in dunkle Höhlen mit seltsamen Seitengängen. Erstaunlich, wie vital und innovativ die Experimente der Artrockhaudegen noch immer klingen. Seit 30 Jahren kreativ – keine andere Band der Welt hat das je geschafft.

      Labradford

      „E luxo so” (1999)

      „Ich war eins jener Kids, die daran glaubten, dass wir alle bald zum Mond fliegen würden“, erinnert sich Mark Nelson. Dazu kam es nicht, doch die Musik, die er (g, voc, tapes) mit Carter Brown (synth) unterm Namen Labradford komponiert, eignete sich prächtig als Soundtrack zu einer solchen Reise. Ihre majestätische Ruhe erinnert an die (scheinbare) Statik von Raumschiffen in der Umlaufbahn, während unten die Erde still durchs All rollt. Es scheint, als sei Harold Budd, der Ambientelegiker des Pianos, in Amerika angekommen. Wenn man einschläft bei dieser Musik – was vorkommen kann, aber kein Nachteil ist –,