Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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      So schnell kann’s gehen. Eben noch die ewige Collegecombo aus Georgia, erlebt das Quintett mit „Dosage“ nun eine schier explosive Horizonterweiterung. Ihr klassischer US-Rock entdeckt den Glam und die 70er – und integriert das, ohne sich dem Verdacht der Trendhopperei auszusetzen. Songs wie „Slow“ oder „Generate“ erinnern mit epischen Streichern und perfekt gesetzten Synthesizern an die besten Zeiten von ELO & Co. Dass die durchweg großartigen Kompositionen dennoch nicht den Mief von gestern ausdünsten, liegt am modern angegroovten Rhythmusfundament. Und endlich stimmt auch an der Produktion mal alles – dank Ed Roland.

      Crosby, Stills, Nash & Young

      „Looking forward” (1999)

      Der Titel: ein Witz! So konsequent hat selten eine Combo zurückgelinst in Zeiten, als man sich noch schlug und vertrug, ehe man sich trennte für immer, wie es schien – zu sehr Katz und Hund waren Stills und Young. Doch nichts währt für immer, nicht einmal Feindschaft. Dieses Reunionalbum auch nicht. Die Songs klingen, als hätten die vier das jeweils Durchschnittlichste ihres Soloschaffens zusammengetragen. Vom gitarristischen Biss der frühen Jahre, von der quecksilbrigen Eleganz des Harmoniegesangs: nichts zu spüren. Ein enttäuschendes Album, meist poppigweich bis zur Seichtheit. Dafür hätten sie nicht reunieren müssen.

      Damo Suzuki Band

      „P.R.O.M.I.S.E.” (1999)

      Uff. Sieben Live-CDs in einer Box muss man erst mal durchstehen. Ja, wie fühlt man sich danach – gerädert? Nein. Aber der Boden scheint zu schwanken, man hat einen eierigen Gang. Der japanische Sänger Damo Suzuki, einst bei der Krautlegende Can aktiv, führte später diverse eigene Projekte durch alle deutschen Uniaulen. Chronologisch sortiert, dürfen wir noch einmal mitreisen bei den Trips der Damo Suzuki Band. Die Box ist voller ausufernder, im Schnitt viertelstündiger Groovetrips, die manchmal im Nirvana enden, sich aber oft auch zu später Psychedelia oder frühem Trance aufschwingen. Suzuki gleicht vokale Defizite mit dem Willen zur Ekstase aus, und die Rhythmusmaschine seiner Band trägt ihn federnd über die gröbsten Hindernisse. Eine Schatzkiste für Fans – punktgenau plaziert zum Can-Revival.

      Das Zeichen

      „Church o.e.o.” (1999)

      Der Gitarrist Dirk Schlömer stieß zu Ton, Steine, Scherben, als alle Barrikaden bestiegen waren, nämlich in den 80ern. Politisch scheint er wenig mitgenommen zu haben vom dialektischen Materialismus der Agitrocker, denn sein neues Projekt Das Zeichen watet tief im Esoterikmatsch – es geht um Babylon und die Heiligkeit des Mondes. Nicht, dass wir den grobschlächtigen Agitrock von einst gern wiederhätten. Aber diese radikale Abkehr von allem, was mal wichtig war, stimmt doch traurig. Ist es Besinnlichkeit im Angesicht der Zeitenwende? Zuviel Frust beim vergeblichen Kampf? Das Album „Church o.e.o“ (o.e.o. = „everyone“) dürfte Altlinke schwer verstören. Falls sie nicht längst selbst auf Schlömers Trip sind.

      David Olney

      „Through a Glass darkly” (1999)

      Kein Songwriter aus Texas lässt es sich seit Townes Van Zandts Tod nehmen, dem Hochverehrten noch eine Coverhommage nachzurufen – wieso sollte ausgerechnet der graumelierte Weggefährte Olney damit auffhören? Van Zandts „Snowin on Raton“ interpretiert er devot, und wäre er vokal nicht so kraftvoll, es bestünde auch auf dem Rest des Albums Verwechslungsgefahr. David Olney achtet darauf, in Sound und Vortrag sorgsam ungehobelte Songs abzuliefern; manchmal, wie in „The Colorado Kid“ haben sie sogar richtig Schräglage. Texas verpflichtet eben – vor allem zur Abgrenzung gegenüber Nashville/Tennessee.

      David Sylvian

      „Approaching Silence” (1999)

      David Sylvian wird im nächsten Leben Imker; in diesem legt er dafür die breite Basis – musikalisch. Nach „Secrets of the Beehive“ („Geheimnisse des Bienenstocks“;) und „Dead Bees on a Cake“ („Tote Bienen auf einem Kuchen“, 1999) heißt das zentrale Stück seiner neuen, indes bereits 1994 eingespielten Ambient-CD „The Beekeepers Apprentice“. „Der Imker-Lehrling“ also: eine langsam atmende Klangskulptur ohne Rhythmus, erbaut aus Gitarren, Synthies, Samples und Gongs. Mit Mut zum Atonalen hält Sylvian die Esoterikszene auf Distanz. Seine Musik ist geprägt von zaghafter Dynamik und musikalischem Wagemut. Postindustrielle Musik, konzipiert als Soundtrack für multimediale Installationen.

      David Sylvian

      „Dead Bees on a Cake” (1999)

      Fehlenden Humor haben wir David Sylvian nie vorgeworfen. Bei seiner ersten Band Japan ab Ende der 70er war die ernste Verknüpfung von Wave mit nach Osten schielendem Kunstrock so bestechend, dass man Witz nicht vermisste. Und als Sylvian dann zum Großmeister und Schamanen eines zeit- und ortlosen Ambientartrocks wurde und zwei der besten Alben der 80er, vielleicht der Popgeschichte vorlegte („Secrets of the Beehive“ und „Brilliant Trees“), waren Soundtiefe, kompositorische Raffinesse und Wagemut wichtig. Bis heute wird man Sylvian musikalisch nicht lustig erleben. Sein neues Album – der Titel eine nostalgische Referenz ans „Beehive“-Album – vereint all seine Stärken. Das, was wir beim ersten Hören als Schwäche wahrnehmen, muss sich – wie im Verlauf klar wird – einfach nur entwickeln. Über fast 70 Minuten erleben wir wundersame, schier statische Ethnojazzballaden aus einem parallelen Universum, in dem sich nichts mehr richtig feind ist: Tablas vertragen sich mit schroffen E-Gitarren, der Takt des Blues mit jenem des Raga. Und am Ende dieses langen Weges bleibt jene geradezu weise Aura haften, die Sylvian verströmt wie kaum ein anderer. Ein großer Künstler. Aber vielleicht auch einer, der sich manchmal zu sehr quält mit seiner Kunst. Kein Witz.

      Days Of The New

      „Days Of The New” (1999)

      Nein, das ist nicht Nick Cave, der da singt im Eröffnungsstück. Und nicht Jim Morrison auf „Enemy“, dem dritten Song. Es ist Travis Meeks, das 19-jährige Wunderkind aus Kentucky, das 1997 den Akustikgrunge erfand und ihn hier fortführt zu einem energetischen, komplexen Kunstrock, der ebenso sinnlich ist wie intelligent und den er – keine Ahnung, wie dieser Bubi das schafft – auch noch selbst produziert hat. Klanglich steht das Album, das irritierenderweise genau so heißt wie das Debüt, dennoch dem von Scott Litt gemischten düsteren Erstling nicht nach. Im Gegenteil. Der atmosphärische Einsatz von Vibrafon, Chören und Streichern gibt ihm lichteres Flair – ein epischer Aufstieg aus dem Dunkel. Und auf ganz andere Art ein weiterer Geniestreich.

      Death In Vegas

      „The Contino Sessions” (1999)

      Innerhalb der Songs entwickelt sich diese Musik kaum, und doch ist das Spektrum des Albums enorm. Meist tasten sich DIV mit schroffen Gitarren, Schweineorgeln und 4/4-Beats in die Stücke und bimsen sie uns so beharrlich ein, dass alle Zweifel an der Substanz dahinschmelzen – zugunsten eines tranceartigen Zustands. Die „Contino Sessions“ gebärden sich spröder als der 97er-Vorgänger „Dead Elvis“ und überraschen mit ex- und ewigguten Gästen wie Bobby Gillespie und Iggy Pop, doch der Gesang ist wahrlich nicht das Wichtigste. Sondern die Fusionsarbeit: Garage, Rock und Groove bekommen im Rahmen des Dance eine gemeinsame Biosphäre.

      dEUS

      „The ideal Crash” (1999)

      Mon dEUS! Die Holländer, bisher gefangen im Kittchen selbstgewählter Avantgarde, haben eine Aluleiter mit der Aufschrift „Pop“ entdeckt und mit ihr die dicke Mauer überwunden. dEUS poppen, rocken, schmeicheln, sie singen! Schöne Melodien! Und dazu plinkert manchmal ein Banjo, dazu jubelt manchmal eine satte Rhythmusgitarre, die sich strikt an den Lichtern der Hauptstraße orientiert und nicht mehr durch dunkle Seitengassen stolpert. Selbst ein Song wie „Everybody’s weird“ steckt jetzt in einem straffen Arrangement, das die nur noch im Untergrund grummelnde Kakofonie zähmt.