Didgeridoos; und mittendrin, oft nur halbminutenlang, führen sie vor, wie australische Folklore eigentlich klingt … Bald sind sie mit Maffay auf Tour, und das gibt Schub für die Charts. Wetten?
1999
„Ein leidenschaftlicher Ritt auf den Wellenkämmen aller sieben Gitarrenmeere. Wer dieses Album 1999 toppen will, muss schon einen Crashkurs bei Neil Young buchen. Oder gleich bei Doug Martsch.“
aus der Rezension zu „Keep it like a Secret“ von Built To Spill
Abdullah Ibrahim
„African Suite for Trio and String Orchestra” (1999)
Man könnte sagen: neoromantischer Jazzkitsch. Man könnte auch sagen: In dieser Musik steckt noch die Melancholie des langen Exils, die ein südafrikanischer Künstler auch in Zeiten der Postapartheid nicht so einfach abschütteln kann. Der früher als Dollar Brand berühmte Altmeister des introvertierten Pianos hat seinem Trio ein Streichorchester beigestellt, das im Hintergrund oft mit seidenen Laken wedelt, während Ibrahim die Töne hintupft voller Müdigkeit und Wehmut. Seine afrikanische Suite wallt auch mal auf, manchmal verirren sich die Streicher ins Dissonante, und Bass und Drums spritzen hektisch auseinander, doch fließt sie überwiegend träumerisch träge dahin. Sie klingt in den intimsten Momenten wie das Pochen von Joseph Conrads Herz der Finsternis, und während sie läuft, wird es dunkler im Zimmer.
Air
„Premiers Symptomes” (1999)
Dieses Minialbum mit nachgelieferten Stücken aus der Prä-„Moon Safari“-Ära ist mit 34 Minuten nicht lang genug, um mehr als zwei Dinge zu tun: einerseits die Sucht der Fans nach grandios schöner Windelweichheit zu befriedigen und andererseits zu zeigen, dass man bitteschön auch anders kann als nur bewusstlos vor sich hinzuorgeln. Wenn die Franzosen echten Easy Lounge spielen, entschweben wir in einer verschleierte, staubfreie Mitt-60er-Clubwelt, wenn sie sich schroff gebärden wie beim „Gordini Mix“, landen wir unsanft auf dem Hosenboden und schimpfen. Dabei verzeihen wir euch, Air, doch jeden Kitsch; also spielt ihn auch.
Alpha Blondy & The Solar System
„Yitzhak Rabin” (1999)
Manchen gilt der Reggaestar von der Elfenbeinküste ja als Nachfolger Bob Marleys. Pflichtschuldig spielte er drum auch Teile seines Albums in den Marley-Studios auf Jamaika ein, pflichtschuldig gibt er sich politisch. Das Titelstück allerdings missrät ihm zur lächerlichen postumen Glorifizierung seines Titelhelden Yitzhak Rabin: „He’s Alpha and Omega/The beginning and the end.“ Marley, lieber Blondy, hätte das höchstens über Jah oder Haschisch gesagt. Blondys Mainstreamreggae scheut selbst die Nähe UB 40s nicht – und hat somit sicher nur einen Bruchteil der Halbwertzeit von Bob Marleys Musik. Tipp: kleinere Brötchen backen.
America
„Human Nature” (1999)
America? War das nicht die Band, deren Albentitel fast alle mit H anfingen – „Homecoming“, „Hat Trick“, „Holiday“, „Hearts“, „History“, „Hideaway“, „Harbor“? Und jetzt, 27 Jahre nach der Gründung, eben „Human Nature“. Auch sonst ist alles beim (guten) Alten. Die US-stämmige Britband vereint heute wie einst all das, was an James Taylor und CSN&Y gut war: das Weiche und Melodische, die sanften Songs und netten Harmonien. Auch ohne den ans Christentum verlorengegangenen Gründungskumpel Dan Peek schaffen es Gerry Beckley und Dewey Burrell, dieses Corporate Design zu wahren. Zwar gelingt ihnen diesmal kein „Sister golden Hair“, doch ist ihr Softrock durchweg auf gehobenem Niveau. Auch wenn diese mit Banjos und moderat verstärkten Gitarren eingespielte Musik heute klingt wie aus ferner Vergangenheit.
Appliance
„Manual” (1999)
Keine Soli. Keine Effekte. Nur das zelebrierte Drama, zu dem der Rock’n’Roll in den besten Momenten fähig ist. James Brooker und David Ireland hörten lange Krautrock. Auf ihrem Debütalbum ist diese Vergangenheit noch spürbar, musikalisch aber sind sie Mogwai oder The Church (wenn sie lange Sessions spielen) viel näher. Dunkel wogt ihr mit Gitarren fundierter Rock dahin, er ist von heiligem Ernst, langsam, konzentriert, und er vertraut bedingungslos darauf, dass wir noch fähig sind, uns vom Feuerwerk der Zitate nicht blenden zu lassen, dass wir des effekthascherischen Crossovers müde sind. „The temperature’s rising“ singen sie, und am Ende dieses Albums siedet alles, aber nirgends lodern Flammen. Wie gesagt: keine Effekte. Aber ein Drama, das uns lange beschäftigen wird.
ARJ Snoek
„Albert Gabriel” (1999)
In Musik hatte Klein-Albert eine 6, aber damals verstand man ja unter Musik noch was anderes als heute. Damals gehörten zur schulischen Grundausstattung noch keine Sampler und Computer, mit denen man Sounds so lange bearbeiten kann, bis die Quelle ganz und gar verschwindet hinter der Verwandlung. Trotzdem macht der Heimbastler ARJ keine Gregor-Samsa-Musik, sondern kühlen, butterweichen House für Nachtschattenclubs, der manchmal unvermittelt endet, um in einem weiteren Loop ähnlich und doch anders wieder aufgegriffen, fortgesetzt und manchmal erneut abrupt beendet zu werden. Das Hamburger Label Ladomat ist spezialisiert darauf, deutsche Snyhtienerds in ihren Hobbykellern aufzuspüren. ARJ Snoek gehört zu denen, die nicht ganz so seltsam sind. Auch wenn er seine Musik bezeichnet als „wicked analog dreams on rocking knäckebrot“.
Beth Orton
„Central Reservation” (1999)
Was geisterte nicht alles an begeistert komischen Kommentaren durch die Gazetten über ihr Debüt! Der falscheste sprach von „TripFolk“. Hat Beth Orton aus London deshalb mit „The Stars all seem to weep“ ein echtes TripFolk-Stück auf ihr zweites Album gepackt? Welch eine Schmeichelei für die Kriiker wäre das! Zur Begeisterung aber gibt sie weiter Anlass. Orton schont sich nicht beim Texten, beschreibt ihre Schwächen und Wunden, und dennoch gerät ihr das Geliebtwerdenwollen nicht zum Kuschelfolk. Ihr zweites Album birgt fließenden Folkrock („Stolen Car“), aber auch allzu zarte Streichersongs am Rande des Sentimentalen („Sweetest Decline“), die manchmal nur durch Ortons zag angerauten und im Abgang harten Gesang gerettet werden – eine erstaunliche Nähe zu Melanie Safka. Beth Orton hat die Produzentenriege nicht entscheidend gestoppt. Wie auch? Sie ist eine leicht windschiefe Gestalt, die mit tausend Sommersprossen durch eine wenig sonnige Welt läuft, in der individuelle Verletzlichkeiten kaum eine Rolle spielen. Vielleicht kriechen uns ihre Songs deshalb so ins Herz: weil in jedem ihrer Worte ein echtes Gefühl mitzuschwingen scheint. Seltsam, wie sehr wir das vermisst haben. Und seltsam, wie diese Songs auch die Überproduktion einfach wegstecken – auch wenn man nach einer Zeile wie „My mother told me befor she died …“ nicht unbedingt eine Geige hätte aufschluchzen lassen müssen.
Big Head Todd & the Monsters
„Live Monsters” (1999)
„Es ist bestimmt nicht ungewöhnlich“, sagt Todd Park Mohr, „dass wir in einem Van angefangen haben – das tut doch jeder.“ Aber nicht jeder erinnert sich noch gern daran, wenn erst einmal Hunderttausende von Platten unter den Leuten sind. Der Erfolg der Monsters aus Boulder/Colorado aber rührt nicht zuletzt daher, dass sie den Bezug zu ihren Anfängen nie verloren haben – und der Van seither 400 000 Tourmeilen mehr auf dem Tacho hat … Ihr mittelschneller Gitarrenrock zu Orgel und Mohrs verhalten passioniertem Gesang verweist auf unkappbare Wurzeln; live kommt das mindestens so gut zum Tragen wie auf den stets mit Understatement produzierten Studioalben. Nur die Dramaturgie stimmt nicht so recht. Nach 400 000 Tourmeilen sollte man eigentlich gelernt haben, dass Höhepunkte nicht zu Beginn verschwendet werden sollten.
Bill Morrissey
„Songs of Mississippi John Hurt” (1999)