Fritz Sauer

Vogelfrei


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mit schulterlangem Haar und wildem Vollbart, was die meisten Autofahrer davon abhielt, ihn mitzunehmen, denn man konnte ja nicht wissen, wen man sich da ins Auto holte. Die 68er Studenten-Revolte hatte viele Ältere verschreckt, obwohl ihre Generation in der Nazi-Zeit viel Schlimmeres getan hatte.

      Nach zwei Stunden frustrierenden Wartens in der Morgensonne fuhr ein Citroen 2CV auf die Autobahnauffahrt und hielt neben Felix an. Überglücklich öffnete er die dünne Blechtür und sah einem jungen Mann ins Gesicht mit wildem Lockenkopf und dunklem Vollbart. „Hi, wo willst Du hin?“, fragte er Felix, „ich fahre nach Berlin.“

      „Kopenhagen“, antwortete Felix, „und dann weiter nach Finnland.“

      „Dann komm rein, bis Hannover haben wir den gleichen Weg.“

      Gut zwei Stunden saßen sie nebeneinander in dem genial improvisierten Kult-Auto und fuhren über die Autobahn gen Osten.

      Felix verstand sich auf Anhieb mit dem Fahrer der „Ente“, der sich als „Jan“ vorstellte und in Berlin Publizistik, Germanistik und Anglistik studierte.

      „In Berlin ist echt was los“, meinte er lächelnd, „die APO (Außerparlamentarische Opposition) hat etwas in Bewegung gesetzt an der Uni und in der Stadt.“

      Dann erzählte er Felix von der Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien, an der er teilgenommen hatte und vom Tod seines Kommilitonen Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel am 2. Juni 1967. Das war vor gut vier Jahren gewesen, aber für Jan war es noch wie gestern. „Die Schlägertruppen des Schahs haben mit Knüppeln auf die Demonstranten eingeschlagen, es entstand ein Handgemenge und dann erfolgte der tödliche Schuss durch einen Polizisten. Danach gab es viele Demonstrationen in Berlin und Sit-ins und Blockaden. „Ho Ho Ho Chi Minh“ war unser Kampfruf. Das war eine wilde Zeit, bis Rudi Dutschke, unser Anführer und politischer Kopf, angeschossen und schwer verletzt wurde durch einen Attentäter, der von der Bild-Zeitung und ihren Hetz-Parolen beeinflusst war. Danach haben wir das Springer-Hochhaus abgeriegelt und einige Lieferwagen der Bild- Zeitung umgekippt und in Brand gesteckt.

      Er schwieg eine ganze Weile und kämpfte mit seinen Emotionen, dann fügte er hinzu: „Danach hat sich die ganze Bewegung aufgesplittert und zerstreut.“

      „Und was wird jetzt?“, fragte Felix interessiert.

      „Manche sind in den Untergrund gegangen“, antwortete Jan geheimnisvoll, „andere wollen eine politische Partei gründen.“

      „Was wurde aus Rudi Dutschke?“

      „Nach seiner langsamen Genesung ging er nach London, aber dieses Jahr haben sie ihn ausgewiesen. Er ist nach Dänemark gezogen.“

      „Und was willst Du jetzt machen?“, hakte Felix nach.

      „Ich weiß es noch nicht“, antwortete Jan, „ich habe viel Zeit und Energie in die politische Arbeit gesteckt, jetzt muss ich ganz dringend die Zwischenprüfung machen, sonst bekomme ich kein Geld mehr von meinem Alten, obwohl er genug davon hat.“

      Er lachte: „Ohne Moos nichts los“, das weißt Du ja. In Berlin kann man zwar ganz günstig wohnen, vor allem in einer Wohngemeinschaft, aber trotzdem braucht man auch Geld. Was machst Du denn so?“

      Felix erzählte ihm, dass er gerade sein Abitur hinter sich hätte und nicht so recht wüsste, was er nun anfangen solle, erstmal reisen und die Welt anschauen. Drei Monate hatte er für seine Skandinavienreise geplant, alles andere würde sich dann hoffentlich ergeben.

      „Du musst dir auch überlegen, ob Du zur Bundeswehr gehen willst“, sagte Jan, „oder ob Du den Militärdienst verweigerst, das könnte allerdings schwierig werden. Manche müssen durch alle Instanzen bis vor Gericht gehen, bis sie anerkannt werden.

      Wenn Du deinen Hauptwohnsitz nach Berlin verlegst, dann bist Du vom Militärdienst befreit, denn West-Berlin gehört nicht zur Bundesrepublik, es hat einen Sonderstatus und unterliegt dem Viermächte-Abkommen.“

      Dann waren sie auch schon in Hannover und Felix ließ sich an der Raststätte Garbsen absetzen. Zum Abschied gab Jan ihm seine Adresse in Berlin und Felix schrieb sie säuberlich in sein neues Adressbuch, dass er eigens für die Reise gekauft hatte. Es war der erste Eintrag.

      „Viel Glück und melde dich, wenn Du nach Berlin kommst. Für ein paar Tage könntest Du immer bei uns in der WG wohnen, vielleicht sogar einziehen, wenn gerade ein Zimmer frei ist“, meinte Jan lächelnd und reichte ihm die Hand zum Abschied.

      Felix winkte der grünen „Ente“ nach und war in Hochstimmung. Was für ein Auftakt seiner Reise! Er nahm es als gutes Omen. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, es war heiß geworden und Felix musste erstmal einen Schluck Zitronentee aus seiner Feldflasche nehmen.

      Auf der Raststätte waren noch andere Tramper, die nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau hielten, aber seine Freunde waren nicht dabei. Dafür entdeckte er zwei Mädchen, die ein Schild gemalt hatten mit der Aufschrift: „Kopenhagen“. An ihren Rucksäcken hatten sie kleine Teddy-Bärchen befestigt und Felix dachte sich, dass die auch für ihn eine gute Begleitung sein könnten.

      Er winkte ihnen zu und grinste breit: „Hi, habt ihr eure Kuscheltiere von zu Hause mitgenommen oder gibt es die hier zu kaufen?“

      Die beiden Schwestern lächelten zurück und erwiderten, sie hätten sie gerade an der Tankstelle erstanden und es sei auch noch ein weiterer Teddy vorhanden gewesen.

      „Ich will auch nach Kopenhagen und dann weiter nach Finnland“, meinte Felix und erfuhr, dass die beiden Schönen das gleiche Ziel ansteuern wollten.

      „Na, dann haben wir ja den gleichen Weg“, stellte er erfreut fest und stellte sich vor: „Ich bin Felix aus Gütersloh, ich will mich mit meinen Freunden in Turku auf dem Campingplatz treffen.“

      „Ich heiße Uschi und das ist meine Schwester Birgit“, sagte Uschi und lächelte ihn an, dass ihre weißen Zähne blitzten. Die jungen Frauen waren aus Bonn und wollten ihre Brieffreundin in Turku besuchen.

      „Und dann gehen wir zum Rock-Festival Ruissalo am nächsten Wochenende“, sagte Birgit und lächelte ebenfalls. Sie war ein Jahr jünger und etwas schüchterner.

      „Das wird ja immer besser“, dachte Felix, „ich bin wohl ein Glückspilz.“

      „Da wollen wir auch hin, dann werden wir uns ja noch öfter begegnen“, sagte er grinsend, „beim nächsten Mal gehen wir einen trinken!“

      Alle lachten und das war ein gutes Gefühl, sie waren auf der gleichen Wellenlänge.

      „Jetzt hole ich mir den Teddy, bis gleich.“

      In der Tankstelle gab es eine kleine Auswahl von Spielzeug für Kinder und die Eltern kauften einiges, um die quengelnden Kinder auf der langen Fahrt zum Urlaubsziel zu beschäftigen.

      Felix fand einen Teddy mit rotem Halsband und befestigte ihn an seinem Militärrucksack, was seiner Erscheinung einen kindlichen Touch gab, was die Autofahrer hoffentlich Vertrauen fassen ließ in seine Person.

      „Psychologie ist alles“, dachte Felix und investierte sechs D-Mark in seine vertrauensbildende Maßnahme.

      Als er aus der Raststätte kam, stiegen die beiden Mädels gerade in einen dunklen Mercedes und winkten ihm im Vorbeifahren freudestrahlend zu.

      „Mist“, fluchte Felix, „hätte der nicht 5 Minuten später kommen können!!!“

      Jetzt galt es, nicht den Anschluss zu verlieren und der Gedanke an die hübsche Uschi verlieh ihm ungeahnte Energien. Immerzu musste er an sie denken und wie sie ihn angelächelt hatte.

      „Blond und drall, genau mein Fall“, dachte er und winkte den Autofahrern zu. Die fuhren aber stur vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

      Er beschloss, seine Taktik zu ändern und ging zu den parkenden Autos an der Raststätte. Aus einem Abfallkorb holte er sich ein Stück Pappe und schrieb darauf: „Kopenhagen“.

      Schließlich fügte er noch ein „Bitte“ hinzu und malte zwei Herzen darauf. Dann