Fritz Sauer

Vogelfrei


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Ansturm kam erst noch. Sie holten sich Müsli, Brot, Butter, Käse, Wurst und Marmelade und setzten sich an einen der langen Tische, auf dem schon eine Thermoskanne mit heißem Kaffee stand.

      „Was hast Du denn heute und überhaupt vor?“, fragte Felix. „Heute würde ich mir gerne Kopenhagen anschauen“, antwortete Regina, „und überhaupt habe ich Nichts vor und drei Wochen Zeit. Und Du?“

      „Kopenhagen anschauen ist eine gute Idee. Ansonsten bin ich mit meinen beiden Freunden in Finnland verabredet. Wir wollen uns in Turku treffen und dann ein Rockfestival besuchen. Ich habe übrigens drei Monate Zeit, ich bin fertig mit der Schule.“

      „Du Glücklicher“, meinte Regina, „ich muss noch ein Jahr absitzen. Ich drehe eine Ehrenrunde, Mathe und Physik sind nicht mein Ding.“

      Dann widmeten sie sich erstmal der Nahrungsaufnahme und sinnierten vor sich hin.

      „Willst Du mitkommen nach Finnland?“, fragte Felix unvermittelt und schaute ihr voll in die Augen.

      „Das wäre nicht schlecht“, meinte Regina und schaute zurück.

      „Was ist mit Holger?“, fragte Felix.

      „Der hat nur dieses Wochenende Zeit und fährt morgen wieder zurück nach Kiel“, antwortete sie.

      „Er macht eine Lehre als Einzelhandelskaufmann.“

      Felix dachte nach, starrte vor sich hin, dann hatte er einen Entschluss gefasst: „Gut, wir bringen ihn morgen zum Zug und am Montag reisen wir weiter nach Finnland.“

      „Okay“, sagte Regina.

      „Willst Du es ihm sagen?“, fragte Felix.

      „Muss nicht sein“, antwortete Regina, „wie schon gesagt, ich bin solo und ohne Verpflichtungen. Kennst Du nicht den Spruch: Wer zweimal mit dem Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment.“

      Felix war etwas pikiert, aber dann sagte er sich: „Na klar, das ist die freie Liebe, das wolltest Du doch.“

      Er lächelte tapfer und sagte: „Das sehe ich auch so.“

      Der Frühstücksraum füllte sich langsam und schließlich kam auch Holger und setzte sich an den Tisch.

      „Moin, moin“, sagte er verkatert und gab Regina einen Kuss auf den Mund.

      „Ich hab geschlafen wie ein Stein“, erzählte er, „das Bier war gut gestern.“

      Er nahm sich eine Tasse und schenkte sich Kaffee ein. „Wie war ́s bei Euch?“

      „Gut“, strahlte Regina und Felix murmelte: „Auch gut.“ „Na prima, dann sind wir ja alle gut drauf! Was machen wir heute?“

      Er schaute Regina fragend an und die sagte zuckersüß: „Wir haben überlegt, dass wir uns heute die Sehenswürdigkeiten von Kopenhagen anschauen und heute Abend schön essen gehen. Hast Du auch Lust?“

      Holger war etwas irritiert, aber langsam dämmerte ihm, dass sie nun ein Trio waren und kein Duo.

      „Aber heute nacht gehörst Du wieder mir“, dachte Holger und war mit allem anderen einverstanden, Hauptsache, heute nacht würde wieder etwas laufen.

      „Na klar, immer doch“, war sein zweideutiger Kommentar mit einem eindeutigen Grinsen im Gesicht.

      Während sie aßen, kam ein Typ in den Raum und legte Flugblätter auf die Tische. Felix nahm eins und versuchte es zu lesen, aber es war auf dänisch.

      „Kann einer von Euch Dänisch?“

      „Ich kann Dänisch“, antwortete Regina und nahm das Blatt in die Hand.

      „Gründung eines Freistaats. Heute wollen Hausbesetzer ein ehemaliges Militärgelände besetzen und einen eigenen Staat gründen. Jeder, der mitmachen will, soll um 18 Uhr zum Haupttor Princessegade kommen“, übersetzte sie, dann biss sie wieder in ihr Brötchen und nahm einen Schluck Kaffee.

      „Hört sich interessant an“, meinte Felix, „vielleicht sollten wir mal hingehen?“

      „Interessiert mich nicht“, sagte Holger mit vollem Mund, „ich fahre am Sonntag zurück und will meine Freizeit nicht mit so etwas verplempern. Ich möchte in den Tivoli!“

      „Ich würde gerne durch die Einkaufsstraße bummeln, dann in den Tivoli und dann vielleicht noch zum Freistaat“, meinte Regina schelmisch, „wer will mit mir gehen?“ Beide junge Männer hoben kurz die Hand und damit war die Sache klar.

      Nachdem sie sich pappsatt gegessen hatten, machten sie sich auf den Weg.

      Kopenhagen-Centrum.

      Es war Samstagmorgen und die Einkaufsstraße Stroget war voller Leute. Kopenhagener kauften ein und Touristen schlenderten von Schaufenster zu Schaufenster, betrachteten die ausgestellten Waren aus aller Welt und verglichen in Gedanken die Preise mit dem heimatlichen Angebot. Kopfrechnen war angesagt. Holger konnte am Besten Kopfrechnen, schließlich lernte er Einzelhandelskaufmann. Er interessierte sich für Fotoapparate und studierte vor jedem Fachgeschäft die Preise. Ein Pentax-Modell hatte es ihm besonders angetan, es hatte Wechselobjektive mit M42 Schraubgewinde. Schließlich fand er einen Laden, wo eine gebrauchte Pentax für 400 D-Mark angeboten wurde und kam ins Grübeln. Daneben aber lag eine Leica M2, deren Mythos ihm glänzende Augen machte, aber deren Preis ihm dann die Tränen in dieselben trieb. Das war doch eine andere Welt und unerschwinglich für einen Lehrling im Einzelhandel. „Das kannst Du dir ja doch nicht leisten“, sagte Felix, den die Sache anfing zu nerven.

      „Ich habe 300 DM dabei“, antwortete Holger, „ich könnte feilschen.“

      „Aber Du traust dich nicht“, entgegnete Regina provozierend und grinste herausfordernd.

      Das konnte Holger nicht auf sich sitzen lassen, er ging in den Laden und bot dem Verkäufer 300 DM für die Asahi Pentax. Der holte den Chef des Ladens. Holger nahm demonstrativ drei Hunderter aus seinem Portemonnaie und hielt sie ihm hin. Regina und Felix verfolgten gespannt die Situation durch die Fensterscheibe. Der alte Chef schaute ihm ins Gesicht und dann auf die Geldscheine.

      „Die Kamera gehört Ihnen“, sagte er in gutem Deutsch und nahm die drei „Hunnis“ entgegen.

      Holger kam als stolzer Besitzer einer Spiegelreflex-Kamera nebst Film aus dem Laden und Regina gab ihm einen Kuss: „Das hast Du toll gemacht!“

      Nachdem Holger die Anleitung überflogen hatte, spannte er den Film ein und legte los.

      Regina war natürlich sein erstes Motiv und sie ließ sich auch gerne fotografieren und posierte für ihn vor allen möglichen Gebäuden und Hintergründen.

      Die Kamera machte Holger irgendwie interessant.

      Felix war etwas neidisch wegen der schönen Kamera und etwas eifersüchtig wegen Regina, die sich mehr und mehr als Diva fühlte, der zwei Männer zu Füßen lagen.

      Sie hatte für sich eine bunte Hippie-Kette und ein gelbes Top mit Spaghetti-Trägern erstanden und hielt es vor ihren Körper.

      „Wie findet ihr das“, fragte sie neckisch. „Wunderbar“, sagte Felix.

      „Klasse“, meinte Holger und machte noch ein Foto.

      Felix hatte nichts gekauft, aber vieles gesehen, was er auch gerne gehabt hätte.

      „Ein Stadtbummel ohne was zu kaufen ist auch frustrierend“, dachte er, aber es war erst der zweite Tag seiner Reise und das Geld musste noch lange reichen.

      „Ach was, ich brauche das alles nicht“, sagte er sich, „das müsste ich alles schleppen und das bei der Hitze.“

      Dann machte Holger auch ein Foto von ihm mit Regina und Felix war wieder versöhnt.

      Holger wollte aber auch ein Foto von sich selbst mit Regina haben und gab Felix den Apparat, um das Foto zu machen. Die Pentax lag gut in der Hand und es machte Felix Spaß, sich