Andreas D. Werner

Buddhismus für Anfänger, Fortgeschrittene und Gottverlassene


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nur etwas Zeit.

      Und dann?

      Vermutlich werden diese positiven Errungenschaften anfänglich immer nur zeitnah im Zusammenhang mit Ihrer Meditationssitzung bestehen und nicht von Dauer sein. Das bringt Ihnen nur kurze Entspannungsphasen, denn kurz nach der Meditation wird der Alltag Sie wieder einholen.

      Ihr nächstes Ziel muss es nun sein, diese vorgenannten positiven Errungenschaften, die Sie während der Meditation erfahren, über den ganzen Tag hinüberzuretten, also für Nachhaltigkeit zu sorgen. Diese positiven Zustände wollen wir möglichst Tag und Nacht, 24 Stunden, aufrechterhalten. Das geht, das ist machbar. Dabei wollen wir nicht Tag und Nacht meditieren; was wir wollen: die positiven Auswirkungen möglichst lange erhalten. Dies lässt sich dadurch erreichen, dass wir über den Tag verteilt, wann immer sich die Gelegenheit bietet, insbesondere wenn wir auf irgendetwas warten müssen, uns in einen Meditationszustand versetzen. Jegliches Warten wird sogleich zur Meditation genutzt.

      Sollte Ihnen das alles zu kompliziert und aufwendig erscheinen, denken Sie an meine anfänglichen Worte. Alle bisher angenommenen Erkenntnisse nutzen Ihnen schon jetzt im Alltag. Die Richtige Atemtechnik sollte Ihren gesamten Stoffwechsel sofort spürbar verbessern. Mehr Luft in der Lunge bedeutet eine bessere Sauerstoffversorgung für den ganzen Körper. Die bewussten Atemzüge führen durch die betonten Muskelkontraktionen zu einer vermehrten Massage der inneren Organe, vor allem des Herzens und der Verdauungsorgane. Dies führt zu einer besseren Durchblutung und zu spürbar aktiver Organtätigkeit mit all den positiven Nebeneffekten, wie einer ansehnlicheren Haut, besserer Verdauung, einem ruhigen Herzrhythmus, einem größeren Leistungsvermögen, einer höheren Lern- und Konzentrationsfähigkeit und einer deutlichen Gemütsaufhellung. Aber zum Glücklich- und Zufriedensein, für die Erleuchtung, reicht es noch nicht. Eine Führerscheinprüfung würden Sie mit nur einem Nachmittag der Vorbereitung auch nicht bestehen. Für die Erleuchtung müssen Sie schon etwas mehr Energie aufbringen, etwas mehr Zeit investieren.

      Der Anleitung zur Richtigen Meditation habe ich in meiner Abhandlung viel Raum gegeben und vielleicht haben Sie diesen Textabschnitt zur Richtigen Atmung und Richtigen Meditation schon als belastend und sogar als überflüssig empfunden. Das Thema Meditation habe ich mit dem Kapitel Meditation – Sammlungs- und Konzentrationsfähigkeit begonnen. Gleich im ersten Abschnitt erwähnte ich, warum Meditation überhaupt notwendig ist und was wir mit ihrer Hilfe erreichen wollen.

      Ich schrieb: „Unser vorrangiges Ziel wird sein, den Geist zur Ruhe zu bringen und ihn anschließend zu kultivieren. Wir wollen eine Harmonie im Geiste anstreben, den Geist klar werden lassen. Haben Sie das erreicht, dann können wir uns sammeln und auf ganz bestimmte Aufgabenstellungen konzentrieren.“

      Erst wenn wir den Weg dahin begriffen haben und durch häufiges Üben beherrschen, werden wir mithilfe der Meditation weitere Ziele erreichen können.

      Nun kennen wir die Regeln zur Meditation der Leere:

       den Geist zur Ruhe bringen

       unseren Geist kultivieren

       Harmonie im Geist anstreben

       den Geist klar werden lassen

      Jetzt wollen wir uns sammeln und uns auf ganz bestimmte Themenkomplexe konzentrieren. Diese Vorgehensweise bezeichnet man als Kontemplation bzw. kontemplieren.

      1)

      Das von mir gewählte Wort Ohmm ist vom Om, auch Aum, hergeleitet. Om ist eine Silbe in der Sanskrit-Sprache. Die Silbe gilt bei Buddhisten als heilig. Für unsere Zwecke (die Einleitung zu unseren Meditationssitzungen) wollen wir dem Begriff aber keine weitergehende Bedeutung zuweisen, lassen das „Ohmm“ leer, leer von jeglicher Begrifflichkeit.

      

      Kontemplation nach der Meditation

      Die Entfaltung der Einsicht

      Nachdem wir uns mit der Meditation so weit vorangebracht haben, nutzen wir jetzt unseren klaren Geist – und zwar außerhalb der Meditationssitzungen. Es ist schön, wenn wir während einer Meditationssitzung einen klaren Geist besitzen und innere Ruhe und Harmonie erreichen. Wir können aber nicht den ganzen Tag mit Meditieren zubringen. Auch außerhalb der Meditation sollten uns all die positiven Errungenschaften unbedingt erhalten bleiben. Das geht – das kann man hinbekommen. Nach 3-4 Wochen sollten Ihre Gehirnzellen mit der neuen neuronalen Vernetzung gut vorangekommen sein. Wir werden weiterhin unbeirrt die Meditation der Leere praktizieren und bewusst keine Lehrsätze oder philosophische Gedanken in unsere Meditation einfließen lassen.

      Die Meditation dient der Entfaltung unserer Gemütsruhe. Weitergehende Erkenntnisse werden wir uns ausschließlich außerhalb unserer Meditationssitzungen aneignen, und zwar bevorzugt im Anschluss daran, wenn wir hoch konzentriert sind und über einen klaren und beruhigten Geist verfügen. Diese immer außerhalb der Meditation stattfindende Phase nennen wir Kontemplation. Kontemplation bedeutet innere Sammlung, beschauliches (im Sinne von besinnlich) und feinfühliges Nachdenken und geistiges Sichversenken in etwas. In dieser Phase soll sich bei uns Einsicht entfalten.

      ⇒ Meditation = Beruhigung des Geistes – Entfaltung der Stille

      ⇒ Kontemplation = besinnliches Nachdenken – Entfaltung der Einsicht

      In dieser Phase der Kontemplation sollten Sie alle Puzzleteile im Geiste immer wieder aufs Neue und immer wieder anders kombinieren. Denn jedes Teil passt eventuell auch an ein anderes und ergibt dann für uns ein neues Bild, vielleicht sogar eines, das bei Ihnen die Erleuchtung auslöst. Deshalb empfehle ich, sich alle Puzzleteile nicht nur einmal im Geiste zusammenzustellen, Texte wie diesen nicht nur einmal zu lesen, sondern das Lesen solcher Texte und das geistige Eintauchen in die Thematik des Öfteren zu wiederholen. Immer wieder neue Überlegungen und Denkanstöße zu buddhistischen Themen bringen irgendwann unerwartet den Erfolg, die Einsicht, das Erwachen, die Erleuchtung. Kontemplation – das besinnliche Nachdenken – können Sie in Ihrem Sessel zu Hause genauso wie auf einer Bank im Park oder in der Bahn praktizieren. Sie können aber auch im Anschluss an Ihre Meditationssitzung in gleicher Haltung zum besinnlichen Nachdenken übergehen. Äußerlich braucht man Ihnen nicht ansehen, ob Sie meditieren oder besinnlich nachdenken. Die Art und Weise, wie Sie besinnlich nachdenken, ist Ihnen absolut freigestellt und bedarf keines besonderen Rituals.

      Lassen Sie uns auf den folgenden Seiten intensiv nachdenken – zuerst über unseren eigenen Geist als unseren schlimmsten Feind, dann über unseren Geist als unseren besten Freund – bevor wir in die Lehre Buddhas tiefer einsteigen.

      Der Geist – unser schlimmster Feind

      Wir haben in den vorangegangenen Meditationsübungen bereits erfahren können, wie eigensinnig unser Geist mit der Gedankenproduktion und wie ungestüm er mit den Gedankenblitzen verfährt. Und obwohl unser Geist uns so nah und ein wesentlicher Bestandteil von uns ist, kann er uns doch von einem zum anderen Augenblick in allergrößte Not bringen. Er kann uns in alle nur denkbaren Gemütszustände reißen und uns zu ungeheuerlichstem Blödsinn verleiten. Er kann uns beunruhigen, nervös und unkonzentriert machen, in uns Ängste und Sorgen schüren. Er kann uns hinterhältig und verschlagen agieren lassen. Schlimmer noch: Als wäre er unser ärgster Feind, kann unser Geist uns absolut zerstörerisch und mutwillig zu den bösesten Gedanken verleiten. Er kann uns die schlimmsten Handlungen planen lassen und uns zu deren Ausführung motivieren. Ungeheuer groß ist die Palette der Schäden, die wir dabei anderen Menschen zufügen können. Unser Geist kann wahrlich unser schlimmster Feind sein. Wir sind es folglich selbst, die unser Unglück und Leid produzieren. Es geschieht in uns. Sie müssen bei der Frage nach dem Verursacher Ihres Unglücks und Leids mit dem Finger auf sich selbst zeigen. Genau genommen müssten Sie mit dem Finger an Ihren Kopf tippen. Das ist die Wahrheit, das versucht der Buddhismus uns mit seiner Lehre zu vermitteln.

      Der