Reinhard Heilmann

Am Rande des Eises


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ums Leben kam. Verletzungen gab es natürlich immer wieder.

      Im Laufe der Jahrhunderte hatten die Menschen verstanden, ihre Vorteile auszuspielen und lockten immer nur noch Einzeltiere in gebaute Fallen oder in eine ausweglose Lage, wie sie sich durch natürliche Gegebenheiten ergab: Schluchten, die am Ende steil anstiegen oder undurchdringliche Gehölze, die einen natürlichen Zaun bildeten; oder es wurden Gruben ausgehoben, die sorgsam mit Zweigen, Ästen, Laub und anderen Bodenauflagen abgedeckt wurden; oder Felsbrocken wurden zu einem nur nach einer Seite offenen Koral zusammengerollt ...

      So, wie diese Gruppe junger Jäger vorgegangen war, grenzte es beinahe an Selbstmord und war nur dem unerfahrenen Mut der Jugend zuzuschreiben und der Tapferkeit, die die Ernsthaftigkeit der Gefahr noch nicht einschätzen konnte und dem unbändigen Willen und draufgängerischen Eifer der jungen Jahre.

      Selbst bei den Mutproben, die vor Ausführung der religiösen Einführungsrituale abgelegt werden mussten, kamen derart gefährliche Situationen nicht mehr vor und sein Leben ließ dort nur der, der ein Hasenfuß war oder körperlich zu schwach.

      Eine für die Menschen dieser Zeit durchaus natürliche Auslese.

      Unsere Jäger, wie gesagt, jedenfalls alle bis auf den einen, konnten sich glücklich schätzen.

      Und wie es üblich war, zollten sie der Kreatur ihren Respekt und knieten vor dem toten Tier nieder, warfen sich mit erhobenen Armen auf den Waldboden und sprachen die erlernten Formeln, mit denen der Geist des Mammut beschworen wurde, Verständnis zu zeigen für die Notwendigkeit dieses Opfers und sich nicht gegen die Jäger zu wenden; und es wurden die großen Götter angerufen und besonders der Gott der Jagd und des Blutes und man versprach, den üblichen Tribut zu zahlen und die besten und schmackhaftesten Teile, die Augen und die Geschlechtsteile, am Fuße einer Birke zu vergraben, die nicht älter als drei Jahre sein durfte und über die Säfte dieses Baumes, der über seine Wurzeln mit dem Regen die Kraft aus den so geopferten Körperteilen aufsog, würde der Mammut weiterleben und sich fortpflanzen können und die bösen Geister hätten keine Gelegenheit gegenüber dem Guten, das dem allen innewohnte, zu triumphieren.

      *

      Ihren Kameraden begruben sie zuerst.

      Früher noch, so erzählten die Alten, die immerhin fünfzig Jahre und noch älter waren, waren die Toten einfach liegengelassen worden. Einerlei, ob es sich um Jagdopfer, Altersschwache oder Dahinsiechende handelte. Man schenkte dem einfach keine Beachtung mehr und der natürliche Kreislauf bestimmte, was aus deren Resten wurde.

      Aber das lag schon wieder Tausend Jahre oder länger zurück. Das Denken und das religiöse Empfinden hatten sich geändert, heute kümmerte man sich sogar um die Kranken, Schwachen und Alten und pflegte sie. Früher war das vielleicht nicht möglich, da man ständig auf der Suche nach Nahrung und Schutz umherziehen musste. Die Fellzelte, in denen sie heute lebten oder die großen Höhlen, in denen man noch oft die Gebeine von vergangenen Generationen fand oder Meißelzeichnungen oder in Fels geritzte Symbole, boten Schutz auch für die Kranken und man konnte sich heute mit den Waffen, die man selber fertigte, ganz anders gegen Höhlenlöwen oder Höhlenbären wehren und musste sich von denen bei weitem nicht mehr vertreiben lassen.

      Allerdings waren diese Tiere äußerst wehrhaft und viel gefährlicher als so ein Mammut, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

      *

      Liebevoll wurde das Grab ausgehoben, nicht eigentlich ausgehoben, sondern eher ausgekratzt, denn man musste nehmen, was man hierzu fand: Astenden, flache Steine, die Hände und vielleicht auch die Steinkeile, die jeder bei sich trug.

      Die Beckenknochen des Mammut, die man wunderbar als Schaufeln hätte verwenden können oder andere platte Knochenteile, durfte man erst dann dem erlegten Tier entnehmen, wenn die Menschenopfer ihren Ruheplatz erhalten hatten und wenn sichergestellt war, dass ein paar Grabbeigaben auch unter diesen widrigen Umständen, wie ein paar Beeren, Pilze, wenn jahreszeitlich möglich, dazu noch Werkzeuge oder Waffen, vielleicht auch eine Schmuckschnecke dafür sorgen würden, dass der Tote in seinem nächsten Leben mit dem Notwendigsten versorgt war.

      Denn die Menschen glaubten fest an ein Weiterleben nach dem leiblichen Tode und daran, dass das Jetztleben nur eine Zwischenstation auf dem Weg in weitere, spätere Leben war.

      Und da das Lager unten im Krater an dem kleinen See, zu weit entfernt war, um Werkzeug zum Graben zu holen und es zu gefährlich war, nur zwei oder drei Jäger hier zu lassen, die den Leichnam und den erlegten Mammut bewachten

      - die Lichtung wurde bereits von einem Rudel Wölfe umstreift, die noch nicht wagten anzugreifen und sich ihren Teil von der Beute zu holen, solange genügend starke Aufpasser da waren -

      musste man sich eben behelfen, so wie es oft der Fall war, wenn man weitab vom Lager jagte und einer der Jäger selber zum Gejagten wurde.

      Der tote Jäger war noch vor Anbruch der Dunkelheit begraben. Die Nachricht von seinem Tod würde bei den Angehörigen keine lange Trauer auslösen, denn der Junge war als der Mutigste von ihnen im Kampf gestorben, ein erfüllteres Leben und einen ehrlicheren Tod konnte man sich kaum vorstellen.

      Anschließend hob man ein Loch vor einer dreijährigen Birke aus, die auf der entgegengesetzten Seite der Lichtung gefunden worden war und begrub mit den rituellen Notwendigkeiten Augen und Geschlechtsteile der Kuh, die vorher sorgfältig mit den messerscharfen Steinblättern aus dem Tier getrennt worden waren.

      Mit den Feuersteinen, die jeder von ihnen in einem Saum ihrer Felljacken einstecken hatte, eine Kostbarkeit, die keinesfalls verloren gehen durfte, wurde anschließend an den Reisigfeuern, die zum Schutz in der Nacht rings um das Beutetier aufgeschichtet worden waren, geschickt Funken erzeugt, bis vom trockenen Gras erste Rauchwölkchen aufzüngelten und rasch zu kleinen Flammen aufgefächelt wurden. Das trockene Reisig knisterte schnell und verbrannte in hellen Flammen, dickere Stücke wurden nachgelegt und kleinere Äste dienten als Fackeln, mit denen man die anderen Feuer entzündete.

      Nun, nachdem alles versorgt war und die Tiere des Waldes ringsumher durch die vielen Feuer verschreckt waren und es nicht wagen würden, anzugreifen, reichte es aus, wenn drei der Jungen zurückblieben, um die Feuer aufzuschüren und in Gang zu halten, während der Rest der Gruppe sich mit den ersten Brocken aus Hals und Schenkeln auf den Weg zurück zum Lager machte.

      Sie würden am Morgen zurück sein und mit ihnen beinahe der ganze Stamm von etwa vierzig Leuten, nur die Alten und Schwachen und die Kleinsten würden zurückbleiben.

      In der Nacht hatten sich die Drei, die beim Mammut zurückgeblieben waren, im Schein der Feuer darangemacht, den Mammut für die Zerlegung vorzubereiten. Schon als Säuglinge hatten sie vom Arm ihrer Mütter zugesehen, wie das gemacht wurde und hatten bereits als Dreikäsehoch mitgemacht und an den Fellen und am Fleisch herumgeschnippelt. So ging ihnen die Arbeit schnell und fachgerecht von der Hand und jedes Teil wurde so behandelt, dass es den optimalen Nutzen erbringen würde. Nichts wurde vergeudet.

      Das Fell brauchte man für die Zelte und für Kleidung, für Decken und zum Fischfang.

      Die Fettschicht würde ausgelassen oder in Scheiben getrocknet oder als Brennmittel verwendet werden.

      Das Fleisch würde später auf verschiedene Weise zubereitet oder haltbar gemacht werden. Die Sehnen brauchte man für Wurfgeräte, für die großen Bögen oder zum Verbinden von Kleidungsteilen.

      Die Knochen wurden aufgeschlagen und das begehrte Mark herausgelutscht oder mit Zweigen herausgeprokelt.

      Die Knochen selber wurden später zu Werkzeug oder Waffen oder anderen Gerätschaften umgearbeitet.

      Die künstlerisch begabten unter ihnen schnitzten daraus Figuren oder Sinnbilder.

      Därme und Innereien verwendete man nach dem Reinigen als Transportbehälter, zum Tierfang oder zum Auffangen von Regenwasser und zum Kochen.

      Kleine Knöchelchen, Knorpel, Zähne oder Schädelteile wurden gern zu Schmuckstücken verarbeitet oder zu Musikinstrumenten.

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