Reinhard Heilmann

Am Rande des Eises


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die Suppe mit etwas Inhalt aus dem Wiederkäuermagen von Ren oder Hirsch und mit ein paar Kräutern, die sie gesammelt und getrocknet hatte.

      Hägrind war sehr fürsorglich und ging ganz darin auf, ihre Familie zu versorgen und ihnen alles behaglich zu machen.

      Und obwohl ihre Söhne Sögram und Kilur schon selbständig waren, blieben sie doch im Zelt der Familie und lebten noch immer mit Ihrer Schwester und ihren Eltern zusammen. Ega, die kleine Schwester von erst vierzehn mal zwölf Monden, ein rothaariges, zierliches Geschöpf, war der Sonnenschein der Familie. Ein fröhliches Mädchen voller Sommersprossen, das meist irgendeine Melodie summte, die sie sich gerade ausgedacht hatte, verrichtete gern und gewissenhaft die ihr übertragenen Arbeiten. Längst war sie schon in einem Alter, in dem ihre Freundinnen schon das Zelt mit einem jungen Mann teilten und ihre eigenen Familien gründeten; doch Ega hatte bis jetzt dem Werben aller Burschen widerstanden und wärmte sich noch im Schoß und der Geborgenheit ihrer Familie.

      *

      Nach dem ersten Mahl machte sich jeder wieder an die Arbeiten, die vom Vortage fortgesetzt werden mussten. Heute wollte man die ersten vorbereiteten Stücke des Mammut ins Lager im Krater schaffen und übermorgen oder vielleicht noch später dann hier abbrechen; es war nur eine Frage der Organisation und wie viel jeder so schleppen konnte. Die Mammutkuh wog, so schätzte der Schamane, etwa fünftausend Kilogramm und da man alles verwendete und forttragen musste, bis auf das, was man inzwischen bereits gegessen oder an die Hunde verfüttert oder geopfert hatte und bis auf die etwa fünfzig Kilo, die man den Bärenjägern mitgegeben hatte, bedeutete das, dass noch mehr als zweihundert mal der Weg in den Krater und zurück bewältigt werden musste, ehe man sämtliche Beuteteile ins Lager gebracht hatte.

      Für jeden der zehn Männer und Jungmänner, die zum Tragen eingeteilt werden konnten, bedeutete dies, die Entfernung zum Kraterlager insgesamt etwa zwanzigmal bewältigen zu müssen.

      Bei guten Voraussetzungen und wenn das Wetter mitspielte und die Träger unterwegs nicht von hungrigen Löwen angegriffen wurden, konnte jeder am Tag etwa dreimal die Strecke bewältigen; zurück ging’s natürlich ohne Last viel schneller und nach dem ersten Zug war dann auch der Pfad bereits so ausgetrampelt, dass die Füße ihren Weg alleine finden konnten.

      Insgesamt also fünf bis sechs Tage, schätzte Widur, der Stammeshäuptling, und bis dahin konnten dann allerdings die Frauen und Kinder auch schon ins Lager zurückgekehrt sein und hatten dann auch schon das eine oder andere Stück mitgenommen, sicher auch schon die großen Stoßzähne, die immer nur vier Frauen auf einmal tragen konnten, während die anderen dann deren Kinder mitbetreuten oder auf den Armen trugen.

      Ein hartes Stück Arbeit, dachte Merolf, und überlegte nicht zum ersten Mal, wie man sich das ganze vereinfachen könnte.

      Mit den Schleppen, das hatten sie schon versucht; das taugte aber nur auf relativ breiten Schneisen oder auf durch Erosion und Wind freigeräumten Streckenabschnitten oder wenn der Untergrund eben war und nicht mit Gestrüpp überwachsen oder verlegt durch Baum- und Strauchreste, durch Geröll, Felsbrocken oder einfach unwegbar durch mannstiefe Schlammlöcher; im Grunde, so überlegte Merolf, gab es nur selten Einsatzmöglichkeiten für die Lastschleppen, auch wenn das Material dafür ziemlich überall vorhanden war: ein paar längere, stärkere Zweige oder Äste und ein paar belaubte oder benadelte Zwischenäste. Die Sehnen oder Hautstreifen zum Verbinden an den Ecken hatte man sowieso immer einstecken.

      Aber gerade in dieser Vegetationsregion, in der sie erst den lichten Wald durchqueren mussten, dann durch versumpfte, morastige Wiesen, anschließend durch den Gestrüppgürtel am äußeren Fuße des Kraterkegels und schließlich die Steigung hinauf durch Felsbrocken und erstarrtes Ergussgestein hindurch; überall zu schmal oder zu verwachsen, um hier durch das Ziehen der Lastteile mit den Schleppen merklich entlastet zu werden; also blieben der Buckel und allenfalls der Schulterholm, den Merolf schon als Jungendlicher erdacht hatte und den die Leute seines Stammes seither als Lasttrage für Hängendes benutzten. Merolf suchte sich hierzu einen stabilen Ast so von seiner Größe; er entrindete und entastete den Ast von kleineren Zweigansätzen und trug ihn dann ganz einfach quer über den Schultern, wobei er an die rechts und links überstehenden Enden erlegtes Wild, wie Vögel oder Fische binden konnte oder die Fellbahnen, die man zum Bau der Zelte verwendete. Zwei-, dreimal spiralig um den Ast geschlungen konnte so ein Mann relativ einfach sämtliche Häute für ein komplettes Zelt allein transportieren. Oft war es allerdings auch für diese Hilfsmittel einfach zu eng und es wäre zu aufwendig gewesen, sich erst eine Schneise zu bahnen, damit man dann die sperrigen Schulterholme benutzen konnte.

      Die Faulheit war es oft oder auch nur die Suche nach einer einfacheren Handhabung immer wiederkehrender, sich wiederholender Handgriffe und Tätigkeiten, die Merolf die Ideen zu schon so vielen kleinen Erfindungen und Hilfen im Alltag eingegeben hatten.

      Jedenfalls war der Anstieg und waren die engen Passagen zwischen den Geröllbrocken hinauf zum Kraterrand und dann wieder hinab bis zum Kratersee nicht dafür geeignet, anderes als menschliche Schultern, Arme und Köpfe als Transportmittel für alles zu verwenden, was zum Leben herangeschafft werden musste. Vielleicht änderte sich das schon bald, wenn man irgendwann in ein neues Winterquartier umzog, vielleicht in die Höhle des Bären, dem die Jäger jetzt auf der Spur waren.

      *

      Der erste Trupp zog los, fünf Mann, und schleppten jeder so ihre fünfundzwanzig bis dreißig Kilo, vorausging einer der Jäger, der für die Sicherheit der Träger sorgen würde. Für die Entfernung bis zum Lager, vielleicht drei Meilen insgesamt, brauchten die sechs bis zum späten Vormittag;

      sie schwitzten unter ihren Lasten als sie aus dem Wald kamen und die morastigen Wiesen durchquerten; nicht mehr weit und sie folgten bereits dem ausgetretenen Fußpfad, den sie im Laufe der vergangenen Monate auf ihrem Weg zu den Standplätzen des Wildes immer wieder gegangen waren; ab hier war es etwas einfacher, hier hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, wenn es auch leicht anstieg; der Weg führte sie an großen Geröllbrocken vorbei, zwischen dicken Magmawülsten hindurch, die hier irgendwann vor Tausenden von Jahren erstarrt waren;

      immer parallel zum Kratergipfel, serpentinenartig, bis sie nach dreihundert Höhenmetern den Rand des Kraters erreicht hatten; unten am Fuße im Kratertrog sahen sie die stehengebliebenen Zelte der beiden alten Frauen und des Mannes mit nur einem Bein.

      Die drei waren zurückgeblieben, um hier die Feuer zu schüren; die beiden Frauen schafften es nicht mehr ohne fremde Hilfe hinaus aus dem Vulkankrater zu kommen und da sowieso bei längeren Unternehmungen der ganzen Sippe einige zurückbleiben mussten, um die Vorräte zu bewachen und die Feuer in Gang zu halten, konnten dies ebenso gut die beiden Alten zusammen mit Laer tun. Laer hatte gelernt, sich auf Harpune und Pfeil zu verlassen, da die Lanze für seine humpelnde Fortbewegung nicht mehr das Richtige war; er war der beste des ganzen Stammes im Umgang mit diesen Waffen, hatte er doch auch lange damit üben müssen und das besonders ehrgeizig, da er nicht aufgeben wollte, um durch seine Behinderung keine Belastung für die anderen zu sein.

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