abgezogene Haut eines Wisent nach Dasselfliegenbefall?
Zu anderen Jahreszeiten war alles noch unheimlicher und trieben die Götter ihre Lichterspiele dort oben, wenn große bunte Lichtwolken am Himmel zuckten, so, wie nach einem Gewitter oder nach einem großen Regen, wenn ein bogenartiges Gebilde von einem Punkt zum anderen weit über den Himmel spannte und in allen Farben bunt leuchtete.
Man tat gut daran, es sich mit diesen Überwesen nicht zu verscherzen und regelmäßige Opfer zu spenden, so, wie es jeder von Ihnen eben haben wollte. Denn wer wollte sich schon deren Gnade und Beistand verscherzen?
So blieben die Geheimnisse der Nacht weitgehend ungelöst und nur der Schamane des Stammes schien eine andere Beziehung zu diesen Wesen und Erscheinungen zu haben.
Mit den Schamanen hatte es schon immer etwas besonderes auf sich, das waren sowieso keine normalen Wesen: schon von Kind auf, ja schon als Säugling wurde an der Art, wie das Kind auf die Welt kam, daran, was es dann als erstes tat und wie es beim Schlagen des Feuerzeichens reagierte, wie es schrie, festgestellt, ob dies der Nachfolger des Stammeszauberers war, der vom Schamanen in die Handhabung und richtige Auslegung aller Rituale, aller Einzelheiten des täglichen Alltags und der besonderen Tage eingewiesen wurde und dem mit Erleben von fünfzehn mal zwölf Monden das Amt des Schamanen mit allen Würden übergeben wurde.
Dies konnte nur ein Kind sein, das in der Mittsommernacht geboren wurde, da es all die Kraft der Sonne für sein späteres Leben im Dienste des Stammes brauchen würde.
Oft kam es vor, dass viele Sonnenwenden vergehen mussten, ehe wieder so ein Kind geboren wurde und nicht immer stellte sich dann heraus, dass es den Aufgaben des Schamanen gewachsen sein würde. Und so kam es, dass viele Schamanen ‚steinalt‘ werden mussten, ehe sie ihr schweres Amt in die Hände eines Jüngeren legen konnten eines Nachfolgers, der die Bürde würde tragen können, dem Stamm zu dienen und die Verbindung zwischen den Überwesen und den Menschen aufrecht zu erhalten und den anderen verständlich zu machen, was ohne geschultes und überliefertes Verständnis nicht möglich war, richtig zu verstehen und zu deuten und für die Befragungen zu Lösungen in schwierigen Aufgaben beizutragen.
Aber man konnte sonst gut zurechtkommen mit den Göttern und Geistern, wenn man eben gewisse Regeln beachtete und sich ansonsten an den Ratschlag hielt, den der Zauberer nach eifriger und intensiver Befragung der Zeichen in der Asche eines mit Tierblut gelöschten Feuers, oder eines Haufens hingeworfener Knöchelchen eines totgeborenen Welpen oder einer Rentierleber oder anderer vielfältiger und für sämtliche Anlässe und Befragungen genau festgelegter Gegenstände dem Ratsuchenden gab. Was wollte man ohne den Schamanen nur machen? Wie kein anderer kannte er die religiösen Gesetze und die Gesetzmäßigkeiten, die die selbstverständliche Folge allen Handeln und Tuns waren.
Wie sollte man wissen, ob man zum Beispiel eine gefundene Furt durchqueren durfte, wenn nicht zuvor die Zeichen am Erdboden und an den Pflanzen ringsum, der Stand der Sonne und andere wichtige Kriterien eindeutig zugeordnet waren und festgestellt war, ob es ein gutes oder schlechtes Zusammentreffen war, das entweder für eine oder gegen eine Durchquerung sprach. Natürlich wurden auch Steinformen im Wasserlauf, das Kräuseln fließenden oder stehenden Wassers und anderes Praktisches mit zur Entscheidungsfindung berücksichtigt.
Wie gut, dass es jemanden gab, den man um Rat fragen konnte!
Aber gegen die Angst in der Nacht, auch der Mutigsten und Kühnsten unter ihnen, konnte auch der Schamane nichts raten, es sei denn das Kauen von beruhigenden, tranquillierenden Wurzeln oder Beeren, die einen sicheren Schlaf versprachen oder vergorene Obst-, Beeren- und Kräutersäfte, die man allerdings immer nur zu besonderen Anlässen zubereitete und die eine leicht berauschende und gleichzeitig beruhigende Wirkung brachten.
Und die Feuer vor den Zelten durften nie ganz niederbrennen und das Feuer in der Mitte des Zeltkreises zum Schutz gegen wilde Tiere, die nachts herumstreunten und nach leichter Beute suchten, wurde immer im Wechsel jede Nacht von einem anderen Stammesangehörigen aufgeschürt und am Brennen gehalten.
Das Flackern der Flammen und deren Schattenwurf, das Knistern des Holzes oder der Knochen und Dungfladen, die teilweise mit verbrannt wurden, gaben Geborgenheit und Sicherheit.
Und nie lag einer der Leute allein in seinem Zelt, es sei denn, ein Jäger, der als Einzelgänger einer Fährte folgte oder von einem Stamm ausgestoßen worden war.
Ugulus, der Schamane, sprach so oft davon, wie wichtig es sei, dass wir den Familienhalt hätten, wie lange Tradition hinter dieser Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit steckt, die nur die Familie geben kann oder der ganze Familienverband, dann im größeren gesehen, schließlich die Sippe, zu der man gehörte; und später dann die eigene, selber gegründete Familie, für die dann eine ganz neue Verantwortung übernommen werden musste, eine Verantwortung, die Kraft gibt, auch wenn sie viel fordert und die dem Familienoberhaupt durch dessen neue Aufgaben, den Schutz und die Versorgung von Frau und Kindern, den Rücken stärkt und erst wahrhaft einen Mann aus ihm macht.
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Aram wälzte sich auf ihrem Lager und dachte über so vieles nach, dachte daran, was gewesen wäre, wenn der Bär nicht so ‘zurückhaltend’ gewesen wäre, oder wenn Wildfang nicht Hilfe geholt hätte. Die Angst saß ihr noch tief in den Knochen und ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Und dieser ekelhafte Gestank des Bären, den sie noch zu riechen glaubte!
Aber irgendwie passte dennoch alles zusammen, auch wenn sie anscheinend nur knapp einem großen Unglück entgangen war, auch wenn die Frucht in ihrem Leibe dann niemals ein Kind geworden wäre. Irgendetwas oder irgendeine Kraft von außen, vielleicht aus der unbekannten Welt hinter dem Himmel, schien das Ganze zu steuern und so wie Pflanzen, Tiere, ja Bäume, Gräser und selbst der kleine Käfer dort am Boden in einer gewissen, für sie nur schemenhaft greifbaren Harmonie miteinander lebten, miteinander existierten, bildete alles miteinander ein Gleichgewicht, das die Existenz des einen eng mit der des anderen verband;
und so hätte es ein Ungleichgewicht bedeutet, wenn ihr jetzt etwas zugestoßen wäre, dachte Aram, wenn der kleine “Wurm“ in ihr drin noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt hätte, sich diese Welt überhaupt anzusehen.
Aber gleichzeitig wusste Aram auch, dass es sehr wohl solche unbarmherzigen und ihrer Meinung nach unharmonischen Begebenheiten und Schicksale gab, dass Kinder ungeboren blieben und Mütter den Totgeborenen nur allzu oft noch in der gleichen Stunde folgten.
Der Schrei eines Käuzchens draußen vor dem Zelt rüttelte sie aus ihren trüben Gedanken. Aram setzte sich etwas auf in ihrem Reisiglager und drehte sich zu Merolf; der schlief “wie ein Bär“, wie man bei ihnen sagte und sich überhaupt nicht rührte. Seine Atemzüge gingen gleichmäßig und ruhig. Ein gnadenvoller Schlaf, dachte Aram. Woher kommen wohl diese Ausdrücke, ging es ihr durch den Kopf “Stinkt wie ein Bär” oder “Schläft wie ein Bär”. Bis jetzt hatte sie sich über deren Herkunft und Hintergrund noch gar keine Gedanken gemacht, einem wirklichen Bären war sie ja bislang auch noch nie begegnet, hatte Meister Petz allenfalls mal von weitem vorbeitrotten gesehen oder einen Bären beim Fischfang. Erst jetzt gewannen diese Begriffe für sie eine ganz andere und nachfühlbare Bedeutung - und über diesen letzten Gedanken schlief sie endlich ein.
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Der Morgen versprach mit den schon wärmenden Sonnenstrahlen und den dünnen faserigen, zarten Wolkenfetzen, die am Himmel vorbeizogen, einen schönen Tag.
Die ersten Morgensuppen dampften bereits in den Feuern.
Es gab verschiedene Zubereitungsarten, nicht nur in der Auswahl der Zutaten, die immer auch davon abhingen, was den einzelnen Familien für Gerätschaften und Hilfsmittel zur Verfügung standen: die einen benutzen Tierhäute, die sie in Erdmulden legten, dort das Wasser hinein gaben und einen heißen Stein, der das Wasser und die Zutaten für die Suppe zum Kochen brachte; andere benutzten stabile Blasen oder Darmteile; einer, Bilus, ein älterer Jäger von vielleicht 40 Wintern, hatte sich die Knochen eines Rentierbrustkorbes so zurechtgestutzt, dass er durch Bespannen eines Felles, an dem er innen eine dünne Fettschicht belassen hatte und Festbinden an den einzelnen Rippen ein festes Behältnis hatte, das er immer wieder verwenden konnte.
Und