Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Muspelheim


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das gigantische Gefälle entfernte sich ebenso schnell unter Djarfurs Tritten, wie es aufgetaucht war. „Wohin verschwindet das Wasser?“

       „Es verschwindet nicht. Ich denke, es fließt zurück zur Urquelle Hvergelmir, sonst wären die Meere längst verschwunden.“

       „Du vermutest es?“

      Wal-Freya lachte. „Frag Odin, sobald wir wieder eine Unterhaltung führen können. Er hat sein Auge nicht ohne Grund geopfert. Ich war noch nie hier.“ Die Walküre richtete ihren Fingerzeig nach vorn. „Dieser Ort liegt mir zu nahe an jenem.“

      Thea lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Horizont. Überrascht öffnete sie den Mund. Inmitten des leeren Raumes näherte sich eine schwarze Landplatte, durchzogen von Lavaströmen, die sich wie leuchtende Adern von dutzenden rauchenden Vulkanen hinab in die Tiefe wälzten. Die Funken, die Thea zuvor in der Sphäre gesehen hatte, entstammten feuerspeienden Bergen, die in einem fort Magma in die Luft warfen. Zwischen den dunklen Schwaden leuchtete der Himmel über der Landschaft orange und rot, gerade so, als würde er brennen.

      „Das sieht unheimlich aus“, sagte Djarfur.

      „Sehr unheimlich“, stimmte Thea zu. „Hier kann doch nichts und niemand existieren.“

      „Feuerriesen“, antwortete Djarfur. Zeitgleich beschleunigte er, da sich Odin mit einem Mal von der Gruppe absetzte. Mit weit von sich gestrecktem Speer trieb er Sleipnir voran. Je näher die Feuerlandschaft rückte, umso größer wurde Theas Ehrfurcht vor diesem Ort. Ungebremst wälzten sich die Lavaströme durch die Täler. Zum Teil sammelten sie sich in großen Becken, rissen dort die abgekühlte, schwarze Decke auf und trieben die Stücke in kleinen Platten vorwärts. Wie in einem brodelnden Kessel schossen hier und da rotglühende Pfropfen aus der dunklen Masse. Sollten hier jemals Bäume existiert haben, so waren sie längst der Lava zum Opfer gefallen. Weit und breit war nichts zu sehen, außer rußfarbener Untergrund und brennendes Gestein.

      Plötzlich fauchte die Fylgja. Während Thea erstaunt zu ihr sah, hörte sie Djarfur und Wal-Freya gleichzeitig in ihrem Geist tönen: „Vorsicht!“

      Schwindel überfiel sie, den sie anfänglich mit den beiden Stimmen in ihrem Kopf erklärte, dann aber fühlte sie das verhasste Ziehen im Magen, als Djarfur wie ein lebloser Stein in die Tiefe sackte. Aufgebrachtes Krächzen von Hugin und Munin begleitete ihren Fall, der nur einen Augenblick dauerte. Im nächsten Moment wurde sie hart zur Seite gerissen, da das Walkürenpferd nach rechts schnellte. Die Fylgja sprang neben ihrem Schützling her und fauchte warnend. Thea nahm einen brennenden Lavabrocken wahr, der nur knapp an ihr vorbeizischte, dann einen zweiten. Kurz darauf erfüllten Mjölnirs Lichtblitze die Luft. Thor lenkte seinen Wagen hinunter aufs Land, dicht neben ihm ritt Odin, seinen Speer hoch über den Kopf erhoben. Sie hielten auf den Ursprung der Attacke zu. Am Rand des Plateaus hatten sich zwei Dutzend Wesen versammelt. Hoch ragten sie zwischen den Lavaströmen auf. Immer wieder griffen sie in den geschmolzenen Stein, formten ihn zu Bällen und schleuderten diese in Richtung der Ankömmlinge. Die Walkürenpferde tauchten geschickt unter den Angriffen hinweg.

      „Sammelt euch hinter mir!“, gellte Wal-Freya.

      Thea bemühte sich vergeblich, zwischen den hektischen Bewegungen Djarfurs Näheres zu erkennen. Erst als Wal-Freya Vala vor Thea, Juli und Tom führte, und die Feuerbälle jäh von einem unsichtbaren Schild abprallten, beruhigte sich das Walkürenpferd und Thea konnte einen Blick auf die Gestalten am Boden erhaschen. Hugin und Munin hatten sich auf Toms Schulter niedergelassen. Sie stießen besorgte Krächzer aus, während sie Odin beobachten. Mit jedem Meter, den sich der Allvater und Thor den Angreifern näherte, wuchsen sie hünenhafter auf. Von der Ferne sahen sie aus, als bestünden ihre unförmigen Köper aus erkalteter Lava. Länger betrachtet war sich Thea dessen ganz sicher. Aus den Augenhöhlen der Ungeheuer glühten Flammen, ebenso aus ihren geöffneten Mündern. Gleichzeitig lief ihnen das geschmolzene Gestein wie Schweiß von der Stirn. Unermüdlich warfen sie Lavabälle nach den Asen, doch sowohl Sleipnir, als auch Tanngrisnir und Tanngnjostr verstanden es, den Geschossen leichtfüßig auszuweichen. Odin schleuderte Gungnir in Richtung eines Giganten. Obwohl die Waffe bei der Größe des Riesen einem Pfeil glich, streckte er ihn nieder, als sei er von einer schweren Axt getroffen worden. Das Glühen in seinen Augen erstarb im gleichen Moment, da sich Gungnir wie von Zauberhand aus seiner Brust löste und zurück in Odins Hand kehrte. Mit einem wütenden Schrei warf der Gigant neben seinem toten Kumpan ein Geschoss in Thors Richtung. Der Donnergott hob Mjölnir über den Kopf, sprang auf den Rand des Wagens und stürzte sich in die Tiefe. Nur einen Augenblick später traf der Feuerball mit einem furchtbaren Laut auf den Wagen. Blökend gerieten Tanngnjostr und Tanngrisnir ins Trudeln. Sie verloren die Kontrolle, stürzen hinab und schlugen zwischen den Füßen der Giganten auf.

      „Wir müssen ihnen helfen!“, rief Djarfur alarmiert.

      „Los!“, erwiderte Thea. Sie zog Kyndill aus der Scheide und presste die Beine fester an Djarfurs Flanken. In rasender Geschwindigkeit hielten sie auf die Feuergiganten zu.

      „Was soll das? Was tut ihr?“, rief Wal-Freya ihnen nach.

      Für einen Moment befürchtete Thea, dass sie an dem Schutzschild der Wanin abprallen würden, doch sie durchbrachen es problemlos. Blitze, von Mjölnir ausgestoßen, tauchten den Platz in gleißendes Licht. Auch der Donnergott versuchte zu seinen Böcken vorzudringen, die, in ihrem Geschirr verheddert, vergeblich darum rangen, aus den Reihen der Giganten auszubrechen. Die Angriffe der Kolosse hatten sich auf Thor und Odin konzentriert, doch jetzt rückten Thea und Djarfur in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Wie ein kleiner leuchtender Flummi rannte die Fylgja neben Thea her. Die Anspannung des Folgegeistes schien unbegründet. Spielerisch wich Djarfur den Lavabällen aus, während er auf die Gestalt zuhielt, die den Böcken am nächsten stand.

      Plötzlich kam Thea in den Sinn, dass sie noch nie auf einem Pferd in eine Schlacht gezogen war – erst recht nicht auf einem fliegenden. „Wie machen wir das jetzt?“, fragte sie gehetzt.

      „Ich zieh an diesem Ding vorbei und du machst irgendeinen Schnickschnack mit deinem Schwert, was sonst?“, erwiderte Djarfur.

      „Irgendeinen Schnickschnack“, wiederholte Thea vorwurfsvoll. Sie duckte sich vor einer Faust weg, die an ihr vorüberfegte. Doch Djarfur hatte bereits reagiert.

      „Ich erledige das Ausweichen, kümmere du dich um die Angriffe“, kommentierte er mit leichtem Tadel. Er machte kehrt, ebenso der Koloss. Als wolle er eine Fliege fortjagen, riss der Gigant den Mund auf und hieb nach Reiter und Pferd. Wieder drehte Djarfur ab. In einem geschickten Bogen schwang Thea Kyndill zum Körper der Hünengestalt, verfehlte sie aber knapp. Das Wesen lachte bösartig und holte erneut aus. Djarfur tauchte unter der schwarzen Hand hinweg. Diesmal führte Thea ihre Waffe in Richtung des Gigantenkopfes. Ein Lichtblitz blendete sie, zeitgleich krachte Mjölnir gegen den Kiefer des Geschöpfs. Ehe Thea ihren Schlag setzen konnte, fiel es hinten über.

      „Zum Nächsten“, knurrte Djarfur. Er machte eine Wende und sprang über eine weitere Attacke hinweg. Im Gewühl der Kolosse verlor er aber den Überblick. Schon die nachfolgende Offensive übersah er. Flink hob Thea die Klinge und konzentrierte all ihre Kraft in den Angriff. Knirschend drang Kyndill durch den Arm des Geschöpfs. Es heulte auf und legte die Hand über den entstandenen Stumpf. Heiße Lava quoll aus der Wunde, dann fiel auch dieser Gigant von Mjölnir getroffen zu Boden.

      Thea entdeckte Vala in ihren Augenwinkeln und sah den vertrauten blauen Umhang Wal-Freyas an sich vorbeischnellen. Offensichtlich hatte sich die Walküre dem Kampf angeschlossen, doch Thea war nicht in der Lage, sie im Getümmel wiederzufinden, zu rasch änderte Djarfur die Richtungen. Gleichermaßen erging es ihr mit ihrer Fylgja, die im Gewirr der Feuerbälle kaum wahrzunehmen war. Sie konnte nur darauf vertrauen, dass Djarfur ebenso an seinem Leben hing wie seine Reiterin und sich umsichtig verhielt. Thea fokussierte Tanngrisnir und Tanngnjostr. Ihr panisches Blöken wurde lauter, da die Giganten nun gezielt Jagd auf sie machten. Als Djarfur knapp an einem der Wesen vorüberstreifte, dachte Thea nicht lange nach und schwang Kyndill in dessen Richtung. Als wäre sein Körper aus Butter schnitt