Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Muspelheim


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von Theas Größe auf. Die aufgewölbte Nasenpartie mit den dunklen, strengen Augen, war angsteinflößend, da halfen auch die leuchtend weißen Haarbüschel um seine Hufe nicht, die im Gegensatz zu seiner schwarzen Mähne standen.

      Odin schritt auf den Hengst zu und saß auf. Sleipnir tänzelte auf der Stelle, beruhigte sich aber, als der Allvater ihm sanft den Hals tätschelte. Juli verabschiedete sich von Theas Eltern und eilte auf Fifill zu, das Walkürenpferd, auf dem sie schon nach Hel geritten war. Tom folgte ihrem Beispiel. Zur Überraschung aller lief ihm Leiftri entgegen.

      „Er hat deine weibliche Seite entdeckt“, scherzte Juli.

      Tom ignorierte ihren Kommentar schmunzelnd. Liebevoll begrüßte er das Tier, ehe er, begleitet von Verzückung und Stolz, auf seinen Rücken sprang. Thea beobachtete ihren Freund mit gemischten Gefühlen. Erneut stürzte er sich in ein Abenteuer, ohne die Konsequenzen abzuwägen. Ihr war bewusst, dass Hel nicht nur sie selbst des Verrats bezichtigte, sondern auch Juli und Tom. Wenn sich die Totengöttin nicht umstimmen ließ, blühte ihnen eines Tages ein grausames Schicksal und das nur, weil sie Thea treu gefolgt waren. Sie hoffte inständig, dass die Asen Hel rechtzeitig besänftigten würden, ehe einem von ihnen etwas zustieß.

      Sie spürte Wal-Freyas Hand auf ihrer Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Er ist stärker, als du glaubst.“

      Thea äugte zu Odin, der Tom gerade dazu aufforderte, an seiner Seite zu reiten. Unwohlsein überkam sie. Sie wusste nicht warum, aber sie hasste es, wenn der Allvater ihren Freund derart für sich einnahm. Sie hatte Juli und Tom in genug Schwierigkeiten geführt, sie sollten nicht noch größer werden – falls das überhaupt möglich war.

      „Ich achte trotzdem auf ihn. Auf beide!“, erwiderte Thea.

      „Ihr werdet euch gegenseitig beschützen, denke ich. Diesmal werden wir zusammenbleiben, keine Sorge.“ Sie schritt an Thea vorbei und begrüßte Sigrún, ehe sie Vala sanft über die Nüstern strich.

      Thea seufzte. Die Walküren waren zahlreich erschienen, aber nicht, um sie zu begleiten, sondern um ihre Familie nach Hause zu bringen. Sie wusste, dass es Zeit war Abschied zu nehmen. Sie verabschiedete sich erst von den Baba Jagas, die ihr alle Mut zusprachen. Die Ältere drückte fest ihre Hand und überreichte ihr dann einen kleinen Beutel.

      „Heilerde“, sagte sie. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du die brauchen kannst.“

      Thea warf einen Blick zu ihrer Mutter, doch diese schien Baba Jagas Worte nicht gehört zu haben. Thea dankte leise und nahm die Alte noch einmal in die Arme.

      „Sei nur mutig und habe keine Angst“, raunte sie ihr ins Ohr und löste sich von dem Mädchen. Thea lächelte, dann umarmte sie erst ihren Vater und schließlich ihre Mutter, ehe sie sich ihrem Bruder zuwandte. Der fiel Thea kurzerhand um den Hals.

      „Ich bin bald zurück“, versprach sie ihm. „Und dann holen wir alles nach, was wir verpasst haben. Ich besorge dir jeden Tag so viel Eis, wie du essen kannst, ganz wie früher.“

      „Weißt du ...“, druckste Mats und entließ sie aus der Umarmung. „Wir können zusammen zum Venezia fahren.“

      Sie wuschelte ihm die Haare. „Das stimmt wohl. Das machen wir dann und ich werde dir haarklein erzählen, was ich erlebt habe, bis du kein Eis mehr in dich bringst.“

      Mats grinste. „Au ja!“

      Sie lächelte gepresst, winkte ihrer Familie zu und wandte sich von ihnen ab. Djarfur tänzelte erfreut.

       „Endlich, meine Heldin!“

      Dicht gefolgt von ihrer Fylgja lief Thea ihm entgegen. Erst als sie auf seinem Rücken saß, drehte sie sich noch einmal zu ihrer Familie um. Ihre Mutter lächelte ihr aufmunternd zu und Thea erwiderte die Geste, ehe ein Donnergrollen alle Blicke zum Himmel lenkte. Blitze zuckten über das Firmament. Mit hoch über den Kopf erhobenen Mjölnir näherte sich Thor. Als Tanngrisnir und Tanngnjostr auf der Terrasse aufsetzten, verloschen die Lichtquellen und das Grollen verstummte. Laut lachend steckte Thor seine Waffe in den Gürtel.

      Wal-Freya rollte die Augen. „Niemand der hier Anwesenden lässt sich von diesem Auftritt beeindrucken, Thor.“

      Der Donnergott lachte abermals. „Und wenn schon! Ich freue mich eben.“

      „Du wirst noch genug Gelegenheit bekommen deine Kräfte zu zeigen, Sohn“, ahnte Odin voraus. „Nimm dir ein Pferd und lass uns aufbrechen.“

      Empörter als beide Böcke blickte Thor.

      „Ich setze mich doch auf kein Pferd!“, wehrte der Donnergott ab.

      „Du erregst zu viel Aufmerksamkeit mit deinem Wagen“, wies Wal-Freya ihn zurecht.

      „Genau! Wir reisen sicher geheim“, fügte Juli spöttelnd hinzu.

      Thor grinste breit. „Wozu sollte das nötig sein, liebe Juli? Wir besuchen nur ein paar Riesen.“

      Schmunzelnd hob Juli die Schultern. „Oh, ich erinnere mich an einige Begegnungen, die wir mit Riesen hatten und alle waren nicht so schön.“

      „Es gibt auch nette Riesen, wie du weißt“, entgegnete Thor.

      „Und das aus deinem Mund“, lachte Juli.

      „Ich steige auf kein Pferd“, schloss Thor.

      „Dann lass es sein“, knirschte Wal-Freya, die offenbar wusste, dass weitere Diskussionen darüber zwecklos wären.

      „Also los“, brummte Odin und kaum hatte er es ausgesprochen, schnellte Sleipnir voran. Ehe es sich Thea versah, setzte sich auch Djarfur in Bewegung. Rasch wandte sie sich im Sattel um und winkte ihrer Familie zum Abschied zu, ehe sie diese begleitet von Julis Jubellauten aus den Augen verlor.

      3. Kapitel

      Mehrere Tage reisten sie über einen Kontinent hinweg, ehe sich das Land unter ihnen in einem weiten Ozean verlor. Zu Beginn ihrer Reise waren sie geritten, bis Pferd und Reiter ermüdeten. Erst dann hatten sie sich auf Midgard niedergelassen und an einem von Wal-Freyas magischen Feuern Essen und Schlafstatt geteilt. Thea vermutete, dass die Wanin das Feuer zunächst aus Gründen der Gemütlichkeit entfachte, denn erst später nahm die Kälte zu. Liebevoll von Odin begrüßt, stießen irgendwann Hugin und Munin zur Gruppe. Sie begleiteten ihn mal fliegend, mal auf seinen Schultern sitzend. Hin und wieder verschwanden sie, kehrten aber stets nach einigen Stunden zurück.

      Als die Reisenden nichts außer Wasser unter sich fanden, entfaltete Odin für die Rast Skidbladnir. Thea liebte die Momente auf dem Schiff. Sie weckten vertraute Erinnerungen, außerdem besänftigten sie Juli, die im Angesicht der klirrenden Temperaturen regelmäßig über Wal-Freyas Frostwickel schimpfte, den sie anstatt eines warmen Umhangs im Gepäck führte. Irgendwann hüllte sie sich auch tagsüber in ihre Nachtdecke ein, was in Anbetracht des ruhigen Ritts kein Problem darstellte.

      Tage später stiegen die Temperaturen derart an, dass Juli die Decke auf Skidbladnir zurückließ und Wal-Freya mit einem Grinsen für den Kälteumhang dankte. Zur ansteigenden Hitze begleitete ein stetig anschwellendes Rauschen die Stille. Mit den verstreichenden Stunden wurde es so laut, dass jedwede Unterhaltung im Keim erstickt wurde. Zunächst suchte Thea die Ursache dafür in den Lichtpunkten, die weit hinten am Sternenhimmel loderten und an fliegende Funken erinnerten. Auch die Fylgja beobachtete sie mit wachsamen Augen. Irgendwann deutete Odin mit dem Speer in die Tiefe. Thea stockte der Atem. Unter ihnen rauschte das Meer in einen bodenlosen, tiefschwarzen Abgrund. Dahinter lagen nur Sterne und ein weitreichendes Nichts.

      „Wer sagt, die Menschen der alten Zeit hätten keine Ahnung von der Beschaffenheit der Welt gehabt, der irrt. Wer bis hierhin segelt, fällt unweigerlich ins Leere“, sprach Thea Wal-Freya an.

       „Kein Mensch schafft es,