Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Muspelheim


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blieb stehen und wieherte auf. „Bist du verrückt? Es gibt kein Pferd in allen neun Welten, das mutiger ist als ich! Ich sagte doch, dass sie noch Lieder von uns singen werden.“

      „Ehrlich gesagt denke ich, dass ihr ganz gut zueinander passt“, erwiderte Freyr mit einem Lachen und lief davon.

      „Was ...“, stutzte Thea. „Was soll das nun heißen?“

      Freyr winkte nur über seine Schulter und verschwand.

      2. Kapitel

      

      

      Wie so oft in den letzten Tagen, saß Thea am Rand Asgards. Diesmal wartete sie auf den Sonnenwagen und ihren baldigen Aufbruch nach Muspelheim. Schwermütig betrachtete sie die Landmasse unter ihren Füßen. In einem breiten weißen Teppich zogen die Wolken über das Firmament hinweg. Hier und da ließen sie einen Blick auf den Kontinent zu und erlaubten Thea, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Das Aufschauen der Fylgja kündigte einen Gast an, noch ehe dieser seine Stimme erhob. „Natürlich finden wir dich hier!“

      Thea drehte sich um und lächelte gezwungen. Es war Juli. Begleitet wurde sie von Tom und der jüngsten der Baba Jagas.

      „Du musst aufhören Trübsal zu blasen“, stimmte Tom zu. Er setzte sich neben sie und legte seine Hand auf ihr Knie. Die zärtliche Berührung tröstete Thea, sie erwischte sich aber dabei, dass sie ertappt in Richtung ihrer Freundin blickte, der die Geste nicht entgangen war. Was immer Juli empfand, sie verbarg es. Thea legte ihre Hand auf die von Tom, drückte sie dankbar und schob sie sanft von sich weg.

      „Ich blase kein Trübsal. Ich denke nach“, widersprach sie.

      „Du starrst seit Tagen Löcher in die Wolken“, erwiderte Baba Jaga vorwurfsvoll.

      „Zwischendurch war ich in Gladsheim und habe meinen neuen Auftrag entgegengenommen“, antwortete Thea mit einem Zwinkern.

      Juli stellte sich auf die Zehenspitzen und äugte in die Tiefe. „Vielleicht werfen wir wieder ein paar Steinchen auf Midgard – nur ganz kleine. Das bringt dich auf andere Gedanken. Wir könnten versuchen, den Eiffelturm zu treffen.“

      „Bist du wahnsinnig? Ich werde mir nicht noch einmal eine Strafpredigt von Wal-Freya anhören!“, rief Tom sofort.

      Juli lachte und Thea fiel mit ein. Tom schaute so entsetzt, als würde er mit Fenrir persönlich in einen Kerker gesperrt.

      „Das war ein Scherz“, stellte er fest.

      „Natürlich!“ Juli zwinkerte. „Aber es hat funktioniert. Es hat sie abgelenkt.“

      Thea seufzte. „Ich kann nichts dafür. Ich vermisse meine Familie. Wir reisen schon wieder fort und sie werden weiterhin auf uns warten. Habt ihr denn nie Sehnsucht nach euren Eltern?“

      Juli zuckte mit den Schultern. „Ab und zu ein bisschen. Aber da sind wir eben anders. Im Gegensatz zu dir habe ich Eltern, die ohnehin kaum zu Hause sind. Ich bin nicht so eng mit ihnen wie du mit deiner Familie. Und jetzt aufstehen! Du wirst dich ein wenig von Thor ablenken lassen. Er hat dich einbestellt.“

      „Das ist lieb. Sag ihm, er soll mir nicht böse sein, aber bis wir aufbrechen, möchte ich hierbleiben. Außerdem bin ich nicht hungrig.“

      „Das sagst du ihm schön selbst. Er ist im Stande und schickt mich die Treppe noch einmal runter“, versetzte Juli.

      Baba Jaga kicherte. „Du hättest Juli mal fluchen hören sollen, bevor sie sich endlich in Bewegung gesetzt hat.“

      „Ja! Und ihr Gesicht, als sie Thor mit seinem Wagen hat davonfahren sehen“, gluckste Tom.

      „Er ist weggefahren?“, staunte Thea.

      Juli zuckte mit den Schultern. „Ja. Er sagte allerdings, er sei gleich wieder da und bis dahin sollst du in Thrudheim sein.“ Sie beugte sich zu ihrer Freundin hinunter und stieß ihr sachte mit der Faust auf den Arm. „Nun komm!“

      Mit einem Lächeln erhob sich Tom und half Thea auf. Ohne Gegenwehr schloss sie sich ihren Freunden an.

      Ihr Weg führte sie die goldene Treppe hinauf, neben der sich die Götterpaläste zu einem einzigen Gebilde verwoben. Thrudheim, der Ort, an dem Thors Palast Bilskirnir stand, offenbarte sich erst hinter einem dichten Tannenwäldchen. Die Freunde waren den Weg schon so oft gegangen, dass es ihnen keine Mühe machte, den versteckten Pfad zu finden. Die weite Hügellandschaft, die dem Wald folgte, mischte sich mit vielen kleinen Schonungen, über die sich weithin sichtbar der goldene Weg zu Thors Halle schlängelte. Als sie das leuchtende Gebäude mit dem reetgedeckten Dach erreichten, klopfte Juli an die Tür. Ohne auf ein Zeichen von innen zu warten, trat sie ein. Sie waren gern gesehene Besucher in Asgard und das Ausharren auf Einlass hatte man ihnen rasch abgewöhnt.

      Sif stellte gerade eine Fleischplatte auf der großen Tafel ab. Lächelnd schaute sie von ihrer Arbeit auf und begrüßte die Ankömmlinge. Seufzend überschaute Thea die Speisen. Sie hatte Recht behalten. Natürlich hatte Thor zum Festmahl gerufen. Röskva und Thjalfi bestätigten den Verdacht, als sie weitere Köstlichkeiten auf dem Tisch anrichteten. Nicht ohne die drei zusätzlichen Gedecke außer Acht zu lassen, nahm Thea Platz. Vielleicht erwartete Thor seine Kinder Magni, Modi und Thrud. Ihre Aufmerksamkeit wurde auf ihre Fylgja gelenkt, da sich diese unvermittelt schnurrend und leise maunzend an der Haustür rieb.

      Juli setzte sich neben ihre Freundin und knuffte ihr in die Seite. „Und das wolltest du dir entgehen lassen!“

      Die sich öffnende Tür nahm Thea die Antwort von den Lippen. Mit einem breiten Grinsen trat Thor ein. In seiner Begleitung befand sich ein blonder Junge, dessen Kleider sofort verrieten, dass er aus Midgard stammte. Er trug Jeans, Sneakers und einen Pullover. Kurz hinter ihm erschienen eine Frau und ein Mann. Fröhlich stieß die Fylgja ihr Köpfchen an die Beine der Ankömmlinge. Thea glaubte ihren Augen kaum. Quiekend sprang sie auf und stürzte ihren Eltern in die Arme. Eine Woge des Glücks umfing sie. Niemals hätte sie diese Begegnung für möglich gehalten.

      „Und wo ist der Rest?“, beschwerte sich Juli. „Hast du nur Theas Eltern mitgebracht?“

      „Deine sind an einem Ort, den die Menschen Malaysien nennen. Ich wäre nicht rechtzeitig vor unserem Aufbruch zurückgewesen. Außerdem habt ihr beide nicht den Eindruck gemacht, dass es euch so wichtig ist.“

      „Selbstverständlich wäre es das! Na ja, irgendwie ist es auch wieder typisch, wie immer sind sie nicht zu Hause.“

      Thor lachte erheitert und nahm Platz.

      Die Familie öffnete den Kreis. Einladend winkte Theas Mutter den Jungen heran, der die Szene still beobachtete.

      „Komm zu uns, Mats. Das ist deine Schwester!“

      Thea durchfuhr ein Blitz. Die Ähnlichkeit des Jungen mit ihrem kleinen Bruder war nicht von der Hand zu weisen, doch er war um wenigstens zwanzig Zentimeter gewachsen. Er wirkte so viel älter, zudem schien er keine Erinnerungen mehr an sie zu haben.

      „Was hat das zu bedeuten?“, flüsterte Thea. Sie ahnte die Antwort bereits, wagte aber nicht, den Gedanken weiter zu führen.

      Thor brummte abwehrend.

      „Es sind zwei Jahre vergangen“, sagte ihre Mutter mit erstickter Stimme.

      Erschrocken legte Thea die Hand über den Mund. Ihr Vater drückte sie an sich, als sich ihre Augen mit Tränen füllten. „Du kannst nichts dafür“, wisperte er und gab ihr einen Kuss aufs Haar.

      Sif trat heran. „Komm Mirjana, setz dich zu uns, oder möchtest du, dass ich dich Ilona nenne?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Das ist in Ordnung.“