Claudia Rack

Die Verwandlung


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bevor er sich erneut an Gabriel wandte.

      „Es wird Zeit, dass wir übernehmen, Gabriel. Ab sofort untersteht dein Reich mir und meinem Gefolge. Dir wird eine andere Aufgabe zuteil, sobald du bei ihnen vorsprichst. Ich denke, ich muss dir nicht erklären, wie enttäuscht sie von dir sind.“ Gabriel wusste genau, von wem Rafael sprach. Die Himmelsgarde rief ihn und wollte ihn woanders einsetzen. Er stellte sich vor, dass es ein Ort war, der ihm nicht gefiel. Oder eine Aufgabe, die ihm zuwider war. Das war die Strafe für seine Vergehen. „Am besten gehst du sofort. Für dich gibt es hier nichts mehr zu tun“, ergänzte Rafael noch. Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, gab er Sariel ein Zeichen. Dieser trat vor und ergriff Gabriels Oberarm, um ihn aus dem Saal zu begleiten. Rafael sah sich um und entdeckte erst jetzt die Leibwächter, die stumm da standen und ihn ängstlich ansahen. „Ihr könnt gehen oder bleiben, das ist eure Entscheidung. Solltet ihr bleiben wollen, untersteht ihr ab sofort mir.“ Die Leibwächter sahen sich an und brauchten nur Sekunden, um sich zu entscheiden. Stumm nahmen sie ihre Beine in die Hand und flohen aus dem Saal. Rafael blickte ihnen belustigt hinterher. „Tja, zumindest sind sie treu ergeben“, meinte er salopp zu Calliel. Diese grinste leicht und wusste, was Rafael damit zum Ausdruck bringen wollte. Es gab Leibwächter oder Untertanen, die ihren Herrn verraten würden, sobald sein Posten durch einen mächtigeren Engel bedroht wurde. Diese Leibwächter taten das nicht, was er mit seinem Respekt zollte. Gemächlich schritt Rafael vor und inspizierte sein brandneues Zuhause. Mit Sicherheit würde er für eine lange Zeit hier sein. Dieses Reich war lichtdurchflutet, das war außergewöhnlich für ihn. Er mochte es eher dunkler und maskuliner. Möglicherweise würde er einiges verändern. Sobald er den Thron erblickte, zog er eine Augenbraue nach oben und sah Calliel fragend an. Sie lächelte und zuckte mit den Schultern, um ihn zu signalisieren, dass es nicht schaden konnte. Rafael ging auf den Thron zu und ließ sich grinsend darauf nieder. Seine Hände strichen behutsam über die Armlehnen. Inzwischen hatten sie ihre Flügel eingefahren und Sariel kam wieder zu ihnen. Er nickte Rafael zu, zum Zeichen, dass er die Aufgabe erledigt hatte. Gabriel war aus dem Reich verbannt worden. Ab sofort gehörte es zu ihren Aufgaben, Ophelia zu finden, um sie zu verhören. Sariel spielte mit dem gesegneten Dolch in den Händen und drückte die Spitze gegen eine Fingerkuppe. Selbst als Blut hervortrat, hörte er nicht damit auf. Die Klinge blitzte im Licht auf, sobald er den Dolch drehte.

      „Wie weit sind wir?“, fragte er. Calliel beobachtete das gefährliche Spiel mit dem gesegneten Dolch. Sariel ließ das kalt und er sah unbeteiligt drein, wartete auf die Antwort zu der Frage. Rafael kannte Sariel gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht ernsthaft verletzen würde. Somit ließ er ihn gewähren.

      „Sucht sie! Ich will sie haben, wenn es geht, bevor sie noch mehr Schaden auf der Erde anrichtet“, sagte Rafael bedrohlich. Sariel wollte sich bereits in Bewegung setzen, als Rafael ihn aufhielt. „Du nicht Sariel“, rief er ihm zu. Der Engel drehte sich erstaunt um und sah Rafael fragend an. Rafael wandte sich an Calliel. „Du gehst und suchst Ophelia, Calliel. Bring sie mir!“ Calliel nickte und verließ den Saal, nicht ohne Sariel grinsend anzusehen. Dieser war beleidigt, da sie diese Aufgabe erledigen sollte. Rafael wusste, wie gern Sariel auf der Erde war und Vergeltung übte an Engeln, die einen Fehler begingen. Sein Kopf fuhr zu Rafael herum. Er wollte ansetzen, bis Rafael die Hand hob, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Ich habe eine andere Aufgabe für dich, Sariel. Du kümmerst dich um die Auserwählte. Sie schnüffelt zu viel herum und macht ständig Ärger.“ Sariel war nicht glücklich über diese Aufgabe. Seine Gesichtszüge verzogen sich mürrisch.

      „Ich soll mich um einen Menschen kümmern? Das ist nicht dein Ernst, Rafael!“ Entrüstet schnaubte er. Rafael lächelte unbeteiligt über den Ausbruch und sah ihn beschwichtigend an.

      „Sie ist kein normaler Mensch, Sariel. Ich bin überzeugt davon, dass dich das erfreuen wird. Es ist von großer Bedeutung, dass sie über den freien Fall nichts erfährt, hörst du? Egal, wer ihr hilft, niemand von ihnen darf mehr darüber erfahren.“ Sariel verstand noch nicht und schüttelte den Kopf.

      „Was ist erlaubt?“, fragte er nach. Rafael dachte kurz darüber nach.

      „Berichte mir und ich entscheide zu jener Zeit, ob wir einschreiten müssen oder nicht. Keine Alleingänge hörst du? Wir können es uns nicht erlauben, jemanden voreilig auszuschalten.“ Sariel verstand, was Rafael meinte und nickte. Er machte sich auf den Weg, um den Befehl auszuführen. Rafael rief ihm noch nach: „Um Jazar kümmere ich mich, Sariel. Du rührst ihn nicht an, verstanden? Bring ihn zu mir, sobald du ihn gefunden hast!“ Sariel blieb kurz stehen. Ein kurzes Kopfnicken von ihm war seine Antwort, bevor er aus Rafaels Blickfeld verschwand. Sariel zischte vor Wut, sobald Rafael ihn nicht mehr sehen konnte. Ein Geräusch zu seiner Linken ließ ihn abrupt innehalten. Sobald er in die Richtung sah, hätte er schwören können, dass eine dunkle Gestalt dort stand. Er kniff die Augen zusammen und suchte gezielt die Stelle ab. Sobald er sicher war, dass er sich getäuscht hatte, setzte er den Weg fort. Nemir schüttelte sich und nahm seine Engelsgestalt an, sobald Sariel verschwunden war. Um nicht entdeckt zu werden, hatte er die Form der weißen Säule angenommen, die neben ihm stand. Eine Weile sah er dem Vollstrecker noch nach. Das war nicht gut. Er hatte die Unterhaltung zwischen Rafael und Gabriel mitbekommen. Auch das Gespräch zwischen Sariel, Calliel und Rafael war ihm nicht entgangen. Er musste zu Arabas. Sie schwebten in Gefahr und hatten keine Ahnung davon. Eilig sah er sich kurz um und rannte los. Hoffentlich kam er rechtzeitig.

      3. Kapitel

      Sie war gut. Er hatte noch keine menschliche Frau gesehen, die beim Kickboxen austeilen konnte, wie sie das tat. Kein Wunder, dass Rafael sie im Blick haben wollte. Jetzt verstand Sariel, was er damit meinte, sie sei kein gewöhnlicher Mensch. Die anderen Menschen konnten es nicht sehen. Sie dachten, sie sei talentiert oder hatte Glück. Jeder Hieb von ihr war ein Volltreffer. Ihr Partner beim Training hatte keine Chance. Er schwankte bedrohlich und würde jeden Moment umfallen. Sie war außergewöhnlich flink, zu flink für einen gewöhnlichen Menschen. Er stand abseits am Eingang der Halle und studierte ihre Technik. Niemand beachtete ihn. Sie konnten ihn nicht sehen. Für das menschliche Auge war er unsichtbar. Er wollte es ungern zugeben, aber er sah ihr gern zu. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. Erst als sie einen harten Schlag abbekam und kurz die Hand hob, als Zeichen für eine Pause, erstarb das Lächeln. Ariana bedeckte ihr rechtes Auge mit der Hand und krümmte sich vor Schmerzen. Verdammt, wie hatte er sie so hart treffen können? Sie konzentrierte sich und sah sich um. Irgendetwas hatte sie abgelenkt. Sie hatte irgendetwas gespürt. Oder jemanden? Das rechte Auge zusammengekniffen, versuchte sie die Leute um sich herum auszumachen. Sobald der Trainer sie ansprach, sah sie ihn direkt an. Er musste sich wiederholen, weil sie ihn nicht verstanden hatte.

      „Willst du aufhören, Ari?“, fragte er sie besorgt. Zuerst schüttelte sie ihren Kopf, bis irgendetwas Feuchtes in ihr Auge lief. „Du blutest, Ari. Das reicht für heute. Lass dich vom Arzt versorgen. Das war gut heute“, meinte ihr Trainer noch zu ihr. Sie wischte mit der Hand über das Auge und erschrak. Blut. Ihr Trainingspartner musste sie ungünstig erwischt haben, sodass es blutete. Es versperrte ihre Sicht und sie schwankte leicht, sobald sie den Ring verließ. Mit unsicherem Gang lenkte sie ihre schwerfälligen Füße in Richtung Arztzimmer. Auf dem Weg dorthin lief sie direkt in kräftige Arme, die sie auffingen, bevor sie fiel. Sie sah auf und blickte in grüne, wachsame Augen. Der attraktive Mann lächelte und hielt sie. Ariana löste sich sofort aus seinem Griff und trat zurück. Er hatte dunkelblondes Haar, welches kurzgeschoren war. Seine Muskeln steckten in einem dunklen Pullover. Da war irgendetwas an ihm, was sie misstrauisch machte. Sie kannte dieses Gefühl, welches sich in ihr ausbreitete. Der Schmerz an ihrem Auge nahm zu, sodass sie den Gedanken verwarf und sich kurz bei ihm bedankte, bevor sie ihn stehen ließ. Erst im angrenzenden Zimmer dachte sie noch über die seltsame Begegnung mit diesem Mann nach. Der Arzt untersuchte ihr Auge und war behutsam. Sie dankte es ihm, die Schmerzen waren höllisch. Ihr war leicht schwindelig, sodass sie sich auf der Trage mit den Händen abstützte.

      „Das sieht nicht gut aus, Ariana“, meinte der Arzt zu ihr. „Ich schätze, das muss genäht werden. Ich kann das direkt tun, wenn du willst? Oder du fährst in ein Krankenhaus.“ Sie lächelte ihn an.

      „Sie können das gern jetzt tun. Ich vertraue ihnen, Henry.“ Er lächelte bei