Claudia Rack

Die Verwandlung


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kam in ihrem Traum vor. Er stand abseits und sprach zu ihr, aber sie konnte ihn nicht verstehen. Schließlich wurde er eindringlicher, bis die Engel ihn mit einem gesegneten Dolch hinterrücks erstachen. Mit dem Zeigefinger fuhr sie über die frische Naht über ihrem rechten Auge. Die Wunde schmerzte noch. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ariana erhob sich und zog einen dunklen Pullover über, bevor sie das Schlafzimmer verließ. Die Haare zersaust und die Augen noch halbwegs geschlossen, schwankte sie leicht, sobald sie in der Küche das Licht anknipste. Sie holte sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und nahm diese mit. Ihr Blick fiel auf die Unterlagen, die auf dem Wohnzimmertisch verstreut lagen. Sie hatte noch recherchiert und vergessen, die Unterlagen wegzuräumen, bevor sie ins Bett gegangen war. Sämtliche Überlieferungen über Engel und den Himmel hatte sie gesammelt, um sie zu studieren. Lektüren, die verboten waren, hatte sie für viel Geld über das Internet erstanden. Ob sie darin Antworten finden würde, wusste sie nicht. Es war ihre einzige Möglichkeit. Theorien gab es zuhauf, eine spektakulärer, als die andere. Informationen über Gefallene gab es ebenfalls im Überfluss. Aber über den freien Fall eines Engels? Bisher Fehlanzeige. Entweder hatte niemand irgendetwas darüber gehört. Oder jemand hatte gute Arbeit geleistet, um keinerlei Informationen darüber durchsickern zu lassen. Ariana tippte auf die zweite Variante. Es lag auf der Hand, dass jemand alles unternahm, damit nichts über den freien Fall herauskam. Wer hatte die Macht, um das zu schaffen? Gott? Er war die machtvollste Person im Himmel, korrekt? Deprimiert fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn, bevor sie einen Schluck Wasser direkt aus der Flasche trank. Sie fragte sich, ob Arabas ihr absichtlich Informationen vorenthielt. Wusste er mehr darüber, als er preisgab? Falls ja, wieso schwieg er darüber? Oder hatte er keine Ahnung und war genauso ratlos, wie sie? Die angestaute Wut in ihr steigerte sich. Desto mehr sie darüber nachdachte, wie erfolglos sie war, desto unkontrollierter wurde sie. Ariana starrte auf die Bücher und Notizen, bis sie die Wasserflasche schreiend an die Wand warf. Die Tapete verdunkelte sich sofort, sobald das Wasser darauf spritzte. Die Flasche fiel polternd auf den Boden und das Wasser lief ungehemmt aus. Wütend beugte sie sich über den Tisch und fegte sämtliche Bücher mit ihren Händen herunter. Im Anschluss griff sie an die Tischkante und hob den Tisch an, bevor sie ihn rasend vor Wut umkippte und gegen ihn trat. Permanent trat sie auf den Tisch ein, sodass es schepperte. Sie konnte nicht aufhören. Ihre Wut war außer Kontrolle, sodass sie nichts mehr um sich herum mitbekam. In Rage ließ sie ihre Wut an dem Tisch aus, der erste Risse aufwies und jeden Moment drohte in zwei Teile zu zerfallen. Ariana hämmerte auf das Holz ein, einzelne Holzsplitter nicht beachtend, die durch die Gegend flogen. Erst als der Tisch in zwei Hälften zerbrach, hielt sie überrascht inne und betrachtete das Ausmaß ihres Ausbruches. Am Boden hockend, wischte sie stoisch die Tränen von den Wangen und starrte verzweifelt an die Decke.

      „Was zum ...“, erklang eine Stimme hinter ihr. Ariana wirbelte erschrocken herum und entdeckte Arabas. Entsetzt sah er zuerst sie und dann den zerbrochenen Tisch an. Ariana stöhnte genervt und ließ ein unechtes Lachen erklingen.

      „Das war klar. Du tauchst genau dann auf, wenn ich es am wenigstens erwarte, Arabas“, meinte sie schnippisch. Er trat einen Schritt auf sie zu, bis ihr gefährlicher Blick ihn aufhielt. Zuerst dachte Arabas an einen Angriff. Bis es ihm dämmerte. Sie war daran schuld. Sie hatte den Tisch zerbrochen. Sofort erfasste er ihre Wunde am rechten Auge, die genäht war. Kurz darauf bemerkte er den Blutstriemen, der sich über ihren linken Oberarm zog.

      „Du blutest“, meinte er trocken und perplex über die Tatsache, dass sie außer Kontrolle war. Er wusste, dass es ihr nicht gut ging in letzter Zeit. Dieses Ausmaß war ihm allerdings nicht bewusst. Ariana sah an ihrem Arm herunter und zuckte mit den Schultern.

      „Das ist ein Kratzer“, antwortete sie lapidar. Entrüstet schnaubte Arabas und eilte zu ihr. Er scherte sich einen Dreck darum, ob sie ihn aufspießen wollte oder nicht. Er ergriff ihren Arm und sah sich die Verletzung genauer an. Ein tiefer Riss am Oberarm. Vermutlich von einem der Holzsplitter, der sie getroffen hatte. Ariana riss sich von ihm los und stolperte zur Küche. Sie ließ den Wasserhahn der Spüle an, schnappte sich ein Handtuch, und begann die Wunde zu reinigen. Obwohl es schmerzte, verzog sie keine Miene. Sie vermied es absichtlich Arabas anzusehen, sobald dieser auf sie zukam. In dem schwarzen Kampfanzug gekleidet, bestückt mit dem Waffengürtel, leuchteten seine Augen glühend rot.

      „Was hast du dir dabei gedacht, Ariana?“, polterte er los. An seiner Stimmlage erkannte sie, dass er äußerst wütend war. Sie starrte an die Decke und drückte das Handtuch auf die Wunde, damit die Blutung stoppte. Sie wollte ihn nicht ansehen. Sie wollte den anklagenden Blick nicht sehen, der auf ihr ruhte. Sie wollte sich nicht erklären müssen. „Ariana!“, brüllte er sie an. Sie zuckte und wirbelte zu ihm herum.

      „Schrei mich nicht an!“, rief sie wütend. Sobald sie in seine roten Augen sah, verebbte ihre Wut. Sie hatte angenommen, er verurteilte sie. Da war irgendetwas anderes in seinen bedrohlichen Augen. Sie runzelte die Stirn. Angst? Der Gefallene hatte Angst um sie? Weshalb? Das irritierte sie. Arabas hielt ihrem Blick stand. Er brauchte einen Moment, bis er die Kontrolle zurück erlangte. Sobald er ruhig atmete, sah er sie mit seinen schwarzen Augen an. Vorsichtig trat er zu ihr und griff nach dem Handtuch, welches sie eisern an ihren Oberarm drückte. Ariana machte keinen Versuch, ihn von sich zu stoßen, was er als gutes Zeichen wertete. Er wurde kühner und nahm ihr das Handtuch aus der Hand. Er sah sich die Wunde genauer an. Seine Hand legte sich um ihr Handgelenk und hinterließ eine rote Spur auf ihrer Haut. Für das menschliche Auge nicht zu erkennen, spürte Ariana den Schauer, der durch ihren Arm fegte, sobald er das tat. Der Riss an ihrem Oberarm verschloss sich augenblicklich. Arabas ließ sie los und trat beiseite, um ihr Raum zu geben. Hatte er sie geheilt? Ariana war sprachlos und starrte den makellosen Oberarm an. Sie hatte nicht gewusst, dass er dazu fähig war. Sofort schossen ihr Bilder durch den Kopf und noch mehr Fragen, auf die sie keine Antworten fand. „Kannst du mich jetzt kontrollieren?“, fragte sie angriffslustig. Arabas erkannte, dass sie damit auf Ramael ansprach und das, was er mit Nicholas getan hatte, nachdem er ihn geheilt hatte. Bevor er darauf antwortete, ertappte er sich dabei, dass er es nicht schlecht finden würde, wenn er das könnte. Allerdings würde er sie anders kontrollieren, als sie dachte. Die Bilder, die in seinen Kopf schossen, blendete er sofort aus. Er konnte froh sein, dass Ariana nicht die Fähigkeit besaß, Gedanken zu lesen. Wenn sie wüsste, welche verbotenen Gedanken er über sie beide hatte, würde sie kein Wort mehr mit ihm wechseln.

      „Nein, keine Sorge. Als Gefallener besitze ich dieses Privileg nicht“, erwiderte er mit enttäuschtem Unterton. Ariana sah ihn an. Es war schon seltsam. Man sollte meinen, dass ein Engel Gutes vollbrachte, sobald er einen Menschen kontrollieren konnte. Ramael hatte sie eines Besseren belehrt. Ein Gefallener, der im Grunde auf ihrer Seite stand, konnte zwar heilen, aber die Kontrolle über den Menschen bekam er nicht. Ariana würde die Regeln der Engel niemals verstehen, wusste sie.

      „Was tust du überhaupt hier, Arabas? Wir hatten keine Vereinbarung, oder?“, fragte sie überrascht.

      „Es gibt Neuigkeiten, die nicht warten können. Ich bin sofort hergekommen, als ich davon erfuhr“, meinte er. Ariana horchte auf und ging auf die Couch zu. Sie ließ sich darauf nieder und wartete auf seine Erklärung. „Nemir ist zurück“, fing er an. Ariana lächelte und war sichtlich froh darüber.

      „Das ist gut. Ist er wohlauf?“, hakte sie nach. Arabas nickte und ging vor ihr hin und her, sichtlich nervös.

      „Gabriel wurde verbannt und wir haben einen anderen Gegner. Im Grunde sind es drei Gegner. Einer von ihnen ist auf dem Weg zu dir“, erklärte er. Ariana schossen sofort wachsame grüne Augen ins Gedächtnis, die sie anstarrten.

      „Er ist schon da“, meinte sie trocken. Arabas sah sie besorgt an.

      „Was soll das heißen? Du weißt nicht, von wem ich rede, Auserwählte“, sagte er verwirrt. Ariana grinste.

      „Wenn mich nicht alles täuscht, bin ich ihm begegnet. Groß, dunkelblonde kurz geschorene Haare, grüne Augen, kräftig?“

      „Ja das ist er, eindeutig. Wo bist du ihm begegnet und wann zum Teufel?“, platzte es aus ihm heraus.

      „Gestern beim Training. Ich habe gespürt, dass er anders ist, aber ich konnte es nicht deuten. Jetzt weiß ich, weshalb.“ Arabas war nicht erfreut, wie sie an seiner