Claudia Rack

Die Verwandlung


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half er im Sportstudio aus und versorgte die Verletzten. Henry war die gute Seele im Studio. Sobald er zurückkam und mit einer Nadel vor ihrem Gesicht fuchtelte, schluckte sie leicht. Seine rechte Hand zitterte bedrohlich, sodass sie Panik bekam. Er schien es zu bemerken.

      „Keine Sorge, ich bin vorsichtig. Dein hübsches Gesicht werde ich nicht verunstalten.“ Ariana lachte bei seinen schmeichelnden Worten und ließ ihn seine Arbeit verrichten. Jeder Stich schmerzte, sodass sie tapfer den Atem anhielt und die Zähne zusammenbiss. Es war ihr unbegreiflich, wie das hatte passieren können. Entweder ließen ihre Fähigkeiten nach oder irgendetwas war geschehen, was sie ablenkte. Sogar ihr Trainingspartner war total überrascht gewesen und hatte sie entgeistert angesehen, nachdem sein rechter Fuß sie hart getroffen hatte. Sofort hatte er sich entschuldigt und schuldbewusst auf sie eingeredet. Wenn er wüsste, was sie erlebt hatte, würde er das eventuell anders sehen. Ariana lächelte in Gedanken und zuckte jedes Mal kurz zusammen, sobald die Nadel sich in ihr Fleisch bohrte. „Das muss fürs Erste reichen. Ich werde ein desinfiziertes Pflaster darauf machen, damit die Wunde nicht verschmutzt wird. Ich kann dir nicht versprechen, dass keine Narbe zurückbleiben wird, Ari.“ Sie nickte kurz und hörte kaum zu, was Henry sagte. Sobald er sie verarztet hatte, sprang sie auf. Sie ging zur Tür und spähte kurz hinaus. Der Mann war verschwunden. Seltsam. Sie hätte schwören können, dass er auf sie warten würde. Ariana drehte sich zu Henry um.

      „Haben sie den Mann vorhin gesehen, der am Eingang stand, Henry?“ Er kam auf sie zu und sah auf die Stelle, die sie meinte. Er schüttelte ratlos den Kopf.

      „Nein, da stand niemand.“ Er ging zurück in den Raum. Ariana runzelte die Stirn.

      „Sind sie sicher? Dort stand kein Mann, sagen sie?“ Henry schaute sie an.

      „Ich bin mir absolut sicher, Ariana. Ich habe dein Training beobachtet, wie immer, weil ich dich fantastisch finde“, meinte er mit einem bewundernden Lächeln, „ich habe niemanden gesehen. Bist du sicher, dass es nur das Auge ist? Eventuell hast du eine leichte Gehirnerschütterung davon getragen.“ Ariana versicherte ihm, dass es ihr gut ging, und verabschiedete sich von ihm. Sobald sie vor dem Eingang vom Sportstudio stand, atmete sie die angenehme frische Luft ein. Argwöhnisch sah sie sich um. Die Sonne war untergegangen und es war nach zehn Uhr abends. Kurz überlegte sie, ein Taxi zu nehmen. Sie beschloss, zu Fuß zu gehen. Das Escala lag in der Nähe. Den mysteriösen Mann mit den grünen Augen sah sie nicht mehr, obwohl sie das insgeheim gehofft hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass er sie verfolgen würde. Ariana wusste nicht, wieso sie das annahm. Irgendetwas an diesem Mann schrie nach Gefahr. Sie ahnte, dass sie den Mann nicht zum letzten Mal gesehen hatte.

      Ein gellender Schrei ließ ihn aus dem Schlaf hochfahren. Kurz orientierte er sich, wo er war, bevor er die Decke wegschob und aufsprang. Nackt stand er im Dunkeln und horchte. Da war er erneut. Jemand schrie da draußen um Hilfe. Eine Frau. William schlürfte schlaftrunken ins Zimmer und knipste das Licht an, sodass seine Augen sich automatisch zusammenkniffen, bevor er sich daran gewöhnte.

      „Was ist los?“, meinte er noch fast im Schlaf. Jazar lachte über ihn und hob zur Beruhigung die Hand.

      „Es ist nichts, Bill. Ich glaube, da draußen braucht eine Frau Hilfe, sie schreit.“ William nickte bedröppelt und tätschelte den Kopf von Mirabel, die schwanzwedelnd um seine Beine tänzelte.

      „Nein Mirabel, wir gehen noch nicht raus. Platz!“, befahl er dem Hund. Dieser gehorchte und legte sich enttäuscht auf die Hundedecke. Jazar war im Begriff sich anzuziehen. „Was hast du vor, John?“ Er sah den alten Mann an und zuckte mit den Schultern, sobald er die Stiefel überzog.

      „Ich gehe nachsehen, was denkst du? Falls jemand Hilfe braucht, sitze ich nicht herum und hoffe darauf, dass jemand der Frau zu Hilfe kommt.“ William sah ihn skeptisch an. Sicher vermutete er, er hätte es geträumt und diese Frau gab es in Wirklichkeit nicht. Aber er hielt ihn nicht auf. Das Beste war es, wenn er das mit seinen eigenen Augen feststellte. Sobald er die Tür aufriss, fegte ein eisiger Wind durch die Hütte. William schimpfte leicht verärgert und ging zurück ins Bett. Jazar machte sich auf den Weg und stampfte mitten in der Nacht durch den Schnee. Durch den Schneesturm sah er so gut wie nichts und das Schreien war verstummt. Hatte er sich das eingebildet? Der eisige Wind war unangenehm und erschwerte das Vorwärtskommen. Er wollte schon aufgeben und umdrehen, bis er eine kurze Bewegung ein paar Meter vor sich wahrnahm. Jazar beschleunigte den Schritt und eilte zu ihr. Die Frau lag im Schnee und schien Schmerzen zu haben. Sie verzog gequält ihr Gesicht. Ihre roten Locken wehten im Wind. Sobald er sie erreichte, sah sie hilfesuchend zu ihm auf. Ihre grünen Augen bohrten sich in seine und er hielt kurz den Atem an. Sie war wunderschön. Sobald er sich gefasst hatte, half Jazar ihr auf und hielt sie mit der Hand, damit sie stehen konnte.

      „Haben sie sich irgendetwas gebrochen?“, fragte er sie. Sie sah an sich hinunter, wischte sich den Schnee vom dunkelblauen Wollkleid und stützte sich an seiner Schulter ab.

      „Ich fürchte schon, mein rechter Fuß schmerzt und ich kann nicht auftreten“, antwortete sie erschöpft und wehleidig. Jazar hockte sich herunter und sah sich ihren Fuß genauer an. Vorsichtig tastete er ihn ab. Sofort zuckte sie vor Schmerz zurück und drohte zu fallen. Blitzschnell fing er sie in seinen Armen auf. Die Frau lächelte ihn an und ihre Blicke trafen sich. „Danke“, meinte sie einschmeichelnd, „sie sind mein Held, hm?“ Jazar lächelte zurück und trug sie den weiten Weg bis zur Hütte auf seinen Armen. Sie bettete ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Er betrachtete ihr zauberhaftes Gesicht. Was hatte eine Schönheit wie sie allein hier draußen zu suchen? Vor allem mitten in der Nacht und bei diesem Wetter? Sie war ihm eine Erklärung schuldig. Jazar wollte sie vorerst zur Hütte bringen und sie versorgen. Im Anschluss konnte sie ihm ihre Geschichte erzählen. Er war gespannt und konnte es nicht erwarten, mehr über diese Frau zu erfahren. Sein Herz pochte, jedes Mal, wenn sie ihn mit ihren grünen geheimnisvollen Augen ansah. Aus der Ferne beobachtete Calliel das Geschehen und verzog missbilligend den Mund. Ihre vier Flügel boten ihr Schutz vor dem Schneesturm, sie lagen wie ein Kokon um ihre Gestalt. Skeptisch dachte sie über Ophelia nach. Was hatte sie vor? Wieso hatte sie sich Jazar genähert und spielte eine gewöhnliche Frau? Das erschwerte ihr Vorhaben, den abtrünnigen Engel zu Rafael zu bringen. Jazar war tabu für sie. Calliel musste sich entscheiden. Der Wind blies kräftig um ihre Gestalt und lenkte sie ab. Genervt seufzte Calliel auf und schloss die Augen. Im nächsten Moment öffnete sie die Augen, die pechschwarz wurden. Es dauerte einen Moment, bis der Wind nachließ und der Sturm abebbte. Calliel war zufrieden mit ihrem Werk und entspannte sich. Mit einem Lächeln auf dem Mund nahmen ihre Augen die normale Farbe an. Es bereitete ihr Vergnügen, sobald sie eine ihrer Fähigkeiten einsetzen konnte. Den Wind zu beherrschen war keine Schwierigkeit für Calliel. Sie beschloss, Jazar und Ophelia weiterhin zu beobachten. Sie musste herausfinden, was Ophelia im Schilde führte, bevor sie einschritt. Sie musste aufpassen, Jazar außen vor zu lassen. Rafael wollte sich selbst um Jazar kümmern. Sollte sie ihm sagen, dass sie Jazar gefunden hatte? Calliel hielt das zur Zeit für unwichtig. Sobald sie sich auf den Weg machen wollte, hörte sie ein Geräusch und spitzte die Ohren. War ihr jemand gefolgt? Calliel sah sich um und kniff die Augen zusammen. Instinktiv griff sie zu ihrem gesegneten Dolch und hielt ihn angriffsbereit in der Hand. Vorsichtig schritt sie vorwärts und suchte die Gegend ab. Ihre weißen knielangen Stiefel fraßen sich in den Schnee und ließen Calliel schleppend vorankommen. Das Knirschen, sobald ihre Stiefel auf den Schnee trafen, kam ihr übermäßig laut vor. Eine Bewegung ließ sie kurz zusammenzucken. Sie drehte sich um. Eine dunkle Gestalt kam auf sie zu. Sie dachte zuerst, dass es ein Engel war, jemand von ihren Leuten, bis sie überrascht die Augen aufriss. Der Junge kam mit Gebrüll und erhobenen Fäusten auf sie zugerannt. Die Gesichtszüge kampfbereit verzogen, stürzte er auf sie zu. Calliel betrachtete die schlaksige Statur und schüttelte fassungslos ihren Kopf. Er war viel zu schmächtig und ein Mensch. Dieser Junge wollte sie mit seinen Fäusten überwältigen. Ernsthaft? Sie respektierte den Mut des Jungen. Jedoch wusste sie, dass sein Vorhaben töricht war. Calliel ließ sich alle Zeit der Welt, um ihren Dolch an seinen Platz im Waffengürtel zurückzuschieben. Entspannt wartete sie darauf, dass der Junge sie erreichte. Es dauerte ein paar Minuten, bis er schweratmend bei ihr ankam und sein rechter Haken gefährlich nahe ihrem Gesicht kam. Geschickt wich sie dem Schlag aus und grinste ihn an. Sein linker Haken verfehlte sie ebenfalls. Ihr Grinsen wurde breiter.