Anne Swalski

Suche Stelle als Talk-Gast


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einem Weilchen überwältigender Erleichterung hatten die Fernsehmacher das dann alles verstanden, und der gemeinsame Wackerstein auf ihren Herzen verflüchtigte sich im Nirgendwo. Natürlich bekam Herr Wolf den Auftrag für die Neugestaltung des sendungsbezogenen Anteils im Internetauftritt.

      So wurden für den Sender mit der Digitalisierung Probleme gelöst; die Lösungen brachten sogar Kohle ein, denn sie machten Fahrer/innen genauso überflüssig wie Busse. Allerdings auch, solange sie nicht zahlten, leibhaftige Zuschauer/innen, nun ja, Kollateralschäden eben.

      Als ich auf den Plan trat, waren Otto und Karl längst Geschichte. Ich war nun eingeladen, den frühen Bots sei Dank, mich für die aktuelle Sendung ‚Verbotene Laber‘ zu vervielfachen. Da es mir nicht verboten worden war, die Sendung zu genießen, gab ich mich ihrer Lebhaftigkeit hin. Bis es dieses Mal zu einem unerwarteten Show-Down kam, dann war auch ich weg. Im Folgenden eine besondere Story.

      6 Der Kilometerzähler

      Vico Stricher, Moderator beim ‚Köller TV-Talk‘, hatte eines seinen Kollegen/innen von der Zunft voraus: Er pflegte den unverstellten Blick auf Abgründe und Untiefen. Diese Eigenschaft machte ihn zur Idealbesetzung für die Sendung ‚Verbotene Laber‘. Wie sein Name schon vermuten lässt, war er nicht hetero, ein Vorteil, den besonders Frauen an ihm schätzten, denn niemand konnte mit solch einer Leichtigkeit über sie und ihre Beziehungen herziehen wie er, und damit brachte er ihre Beziehungen auf die Stufe, auf der sie gern wären, nämlich auf der des coolen Oberwassers. Da ihm nichts Menschliches fremd war, war er so unmenschlich. Und dafür wurde er geliebt. Auch von der Geschäftsleitung als Werbefläche.

      Jemand wie ich hatte dem Köller TV-Talk für die aktuelle Sendung ein Video aus Marokko zugespielt, in dem ein Hochzeitsbrauch eine Rolle spielte. Es ging darum, dass die Braut direkt nach der Vermählung ins Brautgemach geführt und durch ihren Bräutigam entjungfert wurde. Dies geschah natürlich hinter verschlossener Tür, aber doch wie in aller Öffentlichkeit. Als Beweis des Vollzugs hatte der Bräutigam im Anschluss mit einem blutigen Tuch zu den Gästen zurück zu kehren.

      Das Thema hätte für die ‚Verbotene Laber‘ nicht besser sein können. Die Redaktion hatte die Feministin, Frau Alice Wunderland, eingeladen und einen einigermaßen gut Deutsch sprechenden Türken, Herrn Ali Baba, aus der Hauptstadt eingeflogen.

      Vico Stricher erwartete das Schlimmste und ließ die Stühle seiner beiden Gäste zwei Meter weit auseinander positionieren und dazwischen auf zwei Beistelltischchen eine Reihe von Kakteen setzen. Der Produktionsleiter seinerseits hatte für die Sendung im Studio zwei Mitarbeiter des Malteser Hilfsdienstes postiert und ebenso zwei Herren von einem Sicherheitsdienst hinter einem Paravent mit entsicherter Waffe Platz nehmen lassen. Vico Stricher wurde unter seinem eleganten Oberhemd der Marke ‚Smart Casual‘ mit einer kugelsicheren Weste ausgestattet, denn seit der Produktionsleiter durch Zufall erfahren hatte, dass einige Leute jenes Dienstes zwar zuschlagen konnten, aber dafür lausige Schützen waren, hatte er Angst vor ihnen.

      Die Sendung ‚Verbotene Laber‘ wurde live ausgestrahlt. Meist waren zwei Talk-Gäste eingeladen – in der Regel Kontrahenten - und das eben erwähnte zu vervielfältigende Publikum, das im Studio für Atmosphäre sorgte. Nach der Begrüßung durch den Moderator wurde das Hochzeitsvideo eingespielt, welches eine Hochzeitsgesellschaft inmitten einer Oase in der Wüste bei Marrakesch zeigte. Man sah nur Männer, wenn Frauen mitfeierten, so waren sie wohl irgendwo verborgen. Es wurde ein Teil der Zeremonie gezeigt und dann, wie die Braut vom Bräutigam ins Gemach geführt wurde, gefolgt vom Gejohle der männlichen Gäste. Nach irgendeiner Zeit trat er wieder auf den Innenhof, wo die Hochzeitsgäste sich die Zeit vertrieben hatten, und schwenkte ein blutverschmiertes Tuch, das ursprünglich wohl weiß gewesen war. Die Männer lachten und jubelten. Schnitt.

      „Herr Baba, wird bei Ihnen in der Türkei auch so gefeiert?“ eröffnete Vico Stricher die Runde.

      „Nein, nicht überall, aber auf dem Land ist das Tradition bei uns. Nicht genau gleich, wie im Film, aber so ungefähr. Manchmal prüft die Mutter des Bräutigams das Tuch, und die Gäste bekommen nichts mit.“ Herr Baba fand das ganz normal.

      „Das Tuch muss rot von Blut sein, Herr Baba, ist das immer gewährleistet? Ich meine, dass die Braut Jungfrau ist?“

      „Ja, in der Regel schon, das wäre ganz selten, wenn das nicht der Fall ist.“

      „Und wenn das nicht der Fall ist, was dann, Herr Baba, geht dann die Ware zurück?“ Da war er wieder, der besondere Flair von Vico! Mit seinem coolen Blick erfasste er die Situation so knallhart wie sie war. Es entstand einen Moment Stille im Publikum. Als Herr Baba mit der Antwort zögerte, fiel Frau Wunderland ein:

      „Die Ware geht zurück, und das Geld wird zurück gezahlt.“

      „Stimmt das, Herr Baba?“ fragte Vico Stricher nochmals.

      „Ja“, antwortete der Mann nun, und das Publikum entspannte sich, „also ja, manchmal wird die Braut an ihre Familie zurück gegeben. Und das Geld wird zurück gezahlt, ja.“

      „Dies ist ja schon ein seltsamer Brauch ...“, sinnierte Vico Stricher.

      „Nein, es ist eine Frage der Tradition, wie die ganze Feier, und auch eine Frage unserer Kultur. Wenn das nicht Ihre Tradition hier in Europa ist, dann können Sie das auch nicht verstehen“, warb Herr Baba für sein Brauchtum.

      „Gut. Was könnte denn noch passieren, wenn sich das Tuch nicht rot färben lässt?“

      „Dann kommt es vor, dass der Bräutigam es mit Schafsblut tränkt“, antwortete Herr Baba schnell, und Vico Stricher verlängerte ebenso schnell den Satz:

      „… um nicht als düpierter Idiot da zu stehen, dem eine Familie eine entjungferte Braut untergeschoben hat.“ Einige aus dem Publikum kicherten. Herrn Baba war die Situation unangenehm, aber er nickte:

      „Ja, kann man so sagen.“

      „Und wenn gerade kein Schafsblut zur Hand ist, was ist dann?“

      „Wenn das Tuch nicht rot ist, dann kann es auch zu einer Katastrophe kommen, je nachdem.“

      „Welcher Art?“

      „Es kann zum Krieg zwischen den Braut-Familien kommen. Je nachdem wo es ist, kann die Braut sogar verschwinden. Für immer.“

      „Die Heirat scheint mir aber eine äußert gefährliche Angelegenheit für die Braut zu sein. Frau Wunderland, was sagen Sie dazu?“ Vico Stricher wandte sich an seinen zweiten Gast.

      „Tja, vor allem wenn man bedenkt, dass bei einem Viertel der Frauen bei der Entjungferung kein Blut fließt, weil der Hymen zu dünn oder zu klein ist …“ Hier unterbrach der Moderator seinen Gast:

      „Aber Frau Wunderland, wer will denn sowas wissen? Wir haben hier eine Unterhaltungssendung, nicht?“ Doch Frau Wunderland ließ sich nicht beirren, Unterhaltungssendung hin oder her, und fuhr fort:

      „Das sind harsche Bräuche. Ich kann nur hoffen, dass die Frauen sich das langsam nicht mehr gefallen lassen. Ich rate allen, die von solchen Bräuchen betroffen sind, es nicht soweit kommen zu lassen.“ Herr Baba bestätigte:

      „Der Meinung bin ich auch.“

      „Ja“, machte Frau Wunderland weiter, „sollten die Frauen ferner vor der Ehe tatsächlich sexuell aktiv gewesen sein, so könnten sie hier die Situation entschärfen ...“

      „Frau Wunderland“, jetzt unterbrach Herr Stricher die redegewandte Dame, um das Thema zu zerdehnen, „Sie reden in Rätseln. Wie entschärfen Sie denn solch eine Situation?“

      „Indem sich die Frauen wieder heiratsfähig machen lassen. Das geht! Sie müssen nur bei einem Gynäkologen vorbei kommen, der kann sie wieder zur Jungfrau machen, indem er mit zwei Nadelstichen den Hymen wieder annäht, und alles ist paletti!“ Die Zuschauer/innen klatschten Beifall. Ali Baba sah irritiert aus. Vico bemerkte es.

      „Herr Baba, was sagen Sie denn dazu? Dass der Bräutigam vor den