finanziell besser ging, ja, dann wollte sie ihre Pläne verwirklichen.
Auch an diesem Morgen war sie beruflich unterwegs. Aber das verstanden die wenigsten aus ihrem Bekanntenkreis. Sie waren mehrheitlich der Ansicht, dass Tamora ihr Geld im Schlaf verdiente oder sich danach auf der Straße nur zu bücken brauchte. Dabei ging sie einem harten Job nach, nur wollte davon kaum einer etwas wissen:
»Du bist doch immer zu Hause und hast keinen Chef. Du kannst tun und lassen was du willst.«
»Ihr seid mir gut«, antwortete sie dann jedes Mal. »Na, eines Tages stelle ich ihn euch vor, dann werdet ihr staunen, weil auch ich einen Boss habe.« Nein, sie nahmen es ihr nicht ab. »Also ist eurer Meinung nach, nur derjenige ein schwer arbeitender Mensch, der morgens aus dem Haus geht und in einem Büro seine Brötchen verdient?«
»Ja.«
»Gut, was hindert mich daran anderswo, außerhalb meiner eigenen vier Wände, ein Büro einzurichten? Das wird sogar vom Fiskus anerkannt. Dann würde auch ich aus dem Haus gehen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Tamora amüsierte sich köstlich. Damit hatte sie alle in die Enge getrieben.
»Das ist noch immer ein Unterschied«, gaben einige zu bedenken.
»Seht ihr«, riefen andere fröhlich, »jetzt gibt sie endlich zu, dass sie es besser hat als wir.«
»In Manchem habe ich es tatsächlich besser. Ich bin keine Angestellte und in die korsetthaften Abläufe eines Betriebes eingeschnürt. Allerdings bekomme ich auch kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Bei mir ist wirklich einiges anders. Bezahlter Urlaub? … Wenn ich Ferien machen will, dann verdiene ich nichts.« Warum muss ich nur gerade jetzt wieder daran denken?, fragte sie sich und grübelte darüber nach. Ach ja, richtig, ich bin beruflich unterwegs: in diesem Augenblick.
Eigentlich gab ihr Beruf sie niemals frei. Er war immer da. Andere Leute schlossen abends im Büro die Schubladen ab und hatten für viele Stunden ihre Ruhe – sogar geregelte Freizeit an den Wochenenden – und sie? Ich hätte niemals Schriftstellerin werden sollen, dachte sie spontan und fragte sich: Wie bin ich eigentlich dazu gekommen?
Sie wollte sich gerade weiter den Kopf darüber zerbrechen, als sie im letzten Augenblick Mays Einfahrt bemerkte. Gedankenversunken wäre sie beinahe an ihr vorbeigefahren. »Noch mal gut gegangen«, murmelte sie halblaut vor sich hin. »Ich sollte während der Fahrt nicht meinen Gedanken nachhängen.« Sie nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz, schloss den Wagen ab und schritt über die Stufen zum Haus hinauf.
May musste sie vom Fenster aus schon gesehen haben, denn noch bevor sie an der Tür läuten konnte, wurde ihr bereits geöffnet.
»Komm rein! Es ist wirklich eine Seltenheit, dich zu sehen. Du machst dich ganz schön rar«, begrüßte ihre Freundin sie mit einem strahlenden Lächeln.
»Weißt du …«, begann Tamora zögernd, »ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es richtig ist, dass ich hergekommen bin.«
May war einer der wenigen Menschen, der sie verstand. »Verstehe mich nicht falsch. Ich klage ja gar nicht und bin schon mit den Brotkrümeln zufrieden, die ich von dir bekomme. Es ist einfach jammerschade, dass wir uns nur so selten sehen. Aber du weißt ja, ich habe auch immer sehr viel um die Ohren. Manchmal denke ich, ich muss meine Prioritäten ändern.«
»Du ahnst nicht, wie oft ich mir das auch schon gesagt habe«, nickte Tamora lächelnd. »Meinst du nicht, wir sollten lieber gleich nach unten gehen? Sonst ist sie am Ende noch weg und alles war vergeblich?«
»Da mach dir mal keine Sorgen«, meinte May schmunzelnd, legte Tamora einen Arm auf die Schulter und zog sie in den Flur. »Sie lässt sich gerade eine Dauerwelle legen und du weißt ja selbst, wieviel Zeit das in Anspruch nimmt. Weißt du was? Jetzt kommst du erstmal mit und ich mache uns einen ordentlichen Kaffee. Du kannst bestimmt einen brauchen, nachdem ich dich aus dem Schlaf gerissen habe. Du hattest sicher noch keinen, oder?«
»Stimmt, eine gute Idee«, erwiderte Tamora und folgte ihrer Freundin in die Küche.
»Sag mal, wann hast du denn das letzte Mal mit einer Prostituierten gesprochen?«, erkundigte sich May, während sie einen Kaffeepad in die Maschine einlegte und einen Becher auf die Tassenfläche stellte.
»Weißt du, das überlasse ich für gewöhnlich anderen, ich bleibe gern im Hintergrund. Zumeist recherchiere ich im Stillen von zu Hause aus. Das Internet ist eine echte Fundgrube. Außerdem habe ich eine umfassende Bibliothek, wie du ja weißt.«
»Ich verstehe, du willst unerkannt bleiben«, erwiderte May.
»Du weißt doch selbst, wie schnell sich die Leute das Maul zerreißen … Erst neulich habe ich wieder einen neuen Verehrer bekommen«, verriet Tamora ihr.
»Echt? Schon wieder?«, May lachte herzlich.
»Ja, tatsächlich! Diesmal ist es mein Postbote. Er wunderte sich, weil ich immer so viele Briefe von meinem Verleger bekomme. Da fragte er mich. Das Verlagshaus war ihm durch seine Frau bekannt, die wohl viel liest und deshalb wurde er aufmerksam.«
»Und was hast du gemacht?«
»Ach, ich habe ihm welche geschenkt, … Romane meine ich. Von den Freiexemplaren, die ich immer bekomme«, erwiderte Tamora.
»Auch von deiner ganz speziellen Serie?«, hakte May mit einem frechen Grinsen nach.
»Nein, natürlich nicht!«, gab Tamora lachend zurück. »Wo denkst du hin?! Ich bin doch nicht verrückt!«
»Warum nicht?«, setzte May herausfordernd nach. »So prüde bist du doch nicht.«
»Hat ja auch nichts mit Prüde sein zu tun«, entgegnete Tamora. »Ich will einfach nicht bekannt sein wie ein bunter Hund. Ich finde es schon schlimm genug, dass es dieser und jener weiß.« Sie sah ihre Freundin offen an. »Du weißt sehr genau, dass ich das nicht wirklich mag.«
»Warum eigentlich?« May erwiderte ihren Blick neugierig. »Ich glaube, wenn ich so schreiben könnte: Ich fände das schon ziemlich cool.«
»Ich schätze die blöde Fragerei nicht. Die Leute sollen mich schlicht in Ruhe lassen. Ich will einfach nicht über meine Arbeit erzählen. Es sind eh immer dieselben Fragen … und wenn ich es dann ausnahmsweise doch einmal mache, nimmt mir keiner die Schriftstellerin ab. Dieses wissende Lächeln nach dem Motto: du kannst ja viel erzählen! … Ach May, diesbezüglich hat sich nichts geändert.«
»Tja, wie man sich bettet, so liegt man, Süße!«
»Ich frage mich, was sie daran reizt?«, reagierte Tamora ein wenig verletzt, während May zwei große Pötte mit frischem Kaffee auf den Küchentisch stellte.
»Du, das kann ich dir erklären«, meinte sie dabei unbefangen.
»Ach, tatsächlich?« Tamora hob ihre Augenbrauen.
»Schau mal, … jeder Beruf lässt sich erlernen. Man macht entweder eine Lehre, so wie Liam und ich, oder studiert, wie dein Freund. Das ist es, was ich meine.«
»Soweit schon klar …«
»Und deine Schriftstellerei, die ist nicht wirklich erlernbar, oder etwa doch?«
Tamora überlegte, während sie leicht in den Kaffeepott pustete, um anschließend daran zu nippen. »Na ja, … dieses Talent hat man wohl einfach, oder auch nicht. Warum ich es habe, kann ich dir nicht sagen. Obwohl, natürlich kann man das grundlegende Handwerkszeug erlernen.«
»Betrachte es doch mal anders und sage dir, da ist eine Menge Neid im Spiel, und dass sie es dir deshalb madig machen wollen.«
Tamora dachte über Mays Worte nach. »Das mag vielleicht stimmen, aber wir sollten uns daran jetzt nicht festquatschen, sonst vergesse ich noch, warum ich eigentlich hier bin. Ich habe auch gar nicht so viel Zeit.«
»Das kenne ich von dir ja nicht anders. Aber ich muss mich auch sputen, gleich kommen die Kinder von der Schule zurück. Na komm, ich bringe dich nach unten.«
*
May