geschah es. Der Engel führte sie dann und wann in das Haus ihrer einstigen Herrin zurück, die schwer krank geworden war, und sie vernahm aus dem Mund des göttlichen Wesens, dass auch sie in nicht allzu ferner Zeit die Schwelle des Jenseits überschreiten müsse, und sie sollte zu ihrer Begrüßung zugegen sein.
Als es dann soweit war, brachte ein Engel die Kunde von der bevorstehenden Heimkehr ihrer einstigen Herrin mit dem Namen Doris. Der Engel nahm sie wieder mit in das Sterbehaus, und da konnte sie mit ansehen, in welcher Weise sich der Geist aus dem Körper der Sterbenden löste und wie die verbindende silberne Schnur zerschnitten wurde. Als diese Trennung vollendet war, stand sie da, die einstige Herrin. Doris war etwas benommen, unsicher um sich schauend und alles Neue bestaunend. Überrascht erblickte sie ihre frühere Dienerin und war erstaunt über ihr wunderschönes Aussehen, denn diese hatte sich zum Empfang noch ganz besonders geschmückt. Noch wusste die Heimgekehrte nicht recht, was mit ihr geschehen war. In ihrer Benommenheit betastete sie ihren geistigen Leib und stellte fest, dass sie nun in den Kleider ihrer früheren Dienerin stand, und sie gab sogleich ihrer Entrüstung Ausdruck. Der Engel aber, der ihr zur Seite stand, sagte ihr gleich:
"Du hast deinen irdischen Leib auf der Erde zurückgelassen, aber was unsterblich ist an dir, ist auferstanden, und wir haben dich eingehüllt in das Gewand, das du dir zeit deines Lebens selbst gewoben hast. Etwas befremdet über die ihr noch nicht verständlichen Worte und zugleich enttäuscht betrachtete sie sich wieder so gut sie konnte. Dann rief sie ihre einstige Dienerin verzweifelt beim Namen. Hilflos stand sie zuerst da, doch bald wurde sie energisch. Ihre Dienerin betrachtend glaubte sie, diese hätte ihre schönen Kleider geraubt, und nun herrschte sie sie an:
"Es ist mein Gewand, das du trägst."
Dabei machte sie eine etwas ungeschickte Bewegung, als wollte sie ihrer einstigen Dienerin das Kleid von ihrem Geistesleib reißen. Der Engel jedoch stellte sich dazwischen und sprach:
"Du trägst wahrhaftig das Gewand, das dir gehört, und das du dir im Leben selbst gewoben hast."
Sie musste die gleichen Schuhe tragen, wie auch die geflickten und abgetragenen Kleider der Dienerin, die sie ihr im Leben gab. Die Schuhe waren einmal zu klein, sodass ihre Füße schmerzten, und ein anderes Mal waren sie zu groß. Jetzt musste der Engel mit der einstigen Herrin ernsthaft sprechen und musste ihr sagen:
"Duldsam war dieses Wesen, und deutet auf ihre Dienerin, und trotz aller Erniedrigung bewahrte sie ihr frommes Herz. Sie hat sich den Himmel verdient. Du aber hast Karin erniedrigt, gequält und geschlagen. Du hast viel Unrecht an ihr und auch an anderen getan. So bekommt dir das Kleid, das du jetzt trägst, gut. Denn aus deinen Untugenden heraus hast du es dir selbst gewoben."
Die Unselige hörte empört zu. Dann suchte sie etwas aus ihrer Erinnerung hervor, was an Gutem sie getan hatte. Doch was sie auch vorbrachte, es fiel nicht ins Gewicht.
Was an Guten sie getan hatte, hatte sie nur getan, umgesehen zu werden, und jeder sollte erfahren, an wen sie einmal etwas Gutes tat.
"Darum", sprach der Geist Gottes" ist deine Belohung schon dahin, du hast sie dir schon im Leben vorweggenommen."
Da aber diese Seele immer noch glaubte, dass ihr Unrecht geschehe, erklärte ihr der Gottgeist weiter:
"Du hattest eine Bekannte, die du nie leiden mochtest, weil sie, wie du sagtest, viel zu gut mit den Mitmenschen war und ihre Güte nur Dummheit wäre. Diese Bekannte wird auch noch in deine Nähe kommen."
Die Engel Gottes hatten für diese Begegnung bereits vorgesorgt. Aber diese Bekannte, namens Helga, kam nicht allein sondern Arm in Arm mit einer ihrer früheren Dienerinnen. Diese beiden waren so hell und licht gekleidet, und sie sahen so vornehm aus, dass man sie für Schwestern halten konnte. Hier sagte der Geist Gottes:
"Das ist sie, der du ihre Güte als Dummheit ausgelegt hast."
Und zur Dienerin, mit der sie Arm in Arm gekommen war, sprach der Engel Gottes:
"Nun siehst du auch deine einstige Herrin wieder, du hast es aber danach besser gehabt bei deiner neuen Arbeitgeberin, mit der du jetzt hier bist."
Noch verwirrt blickte die im Leben so herrschsüchtig und egoistisch gewesene Heimgekehrte auf ihre einstige Dienerin und ihre Bekannte. Wie schön war ihr Aussehen! Nun erkannte Doris, dass es in der himmlischen Welt eine Vergeltung gibt für das Erdenleben.
Anschließend sagte der Engel es ihr deutlich:
"Du kennst wohl auch deine frühere Dienerin Anna noch, die du aus deinem Hause jagtest, weil sie krank wurde. Aber du hast sie beschuldigt, sie wäre zu faul, um zu arbeiten. Deine Bekannte Helga hatte sie aus Erbarmen aufgenommen, und die beiden haben sich zeit ihres Lebens gut verstanden. Gemeinsam hatten sie gute Werke getan, und Dienerin Anna hatte dadurch ein angenehmeres besseres Leben bekommen."
Nun sah die Unselige Doris wie jene in der himmlischen Welt belohnt worden waren, und sie sah sich selbst. Sie sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, sich weiter aufzulehnen, aber sie wollte es anders versuchen. Sie glaubte, ihre Dienerin noch beanspruchen zu können, die bis zu ihrem Tode bei ihr gedient hatte. Sie sollte ihr nun weiter helfen und sie führen.
Zuerst willigten die Geister Gottes nicht ein, denn sie hatten den Weg schon vorbereitet, der von diesem herrschsüchtigen Wesen durchschritten werden sollte. Doch da war es die Dienerin Karin, die für ihre einstige Herrin flehte und bat:
"Lasst mich doch wenigstens eine zeitlang bei ihr sein. Ich will versuchen, ihr etwas von der himmlischen Seligkeit beizubringen und ihr etwas von dem zu geben, was sie im Leben nie gekannt hatte, nämlich Liebe, Verständnis, Nachsicht, Frieden und Güte."
Auf dieses Bitten hin erteilten die Geister des Himmels die Erlaubnis, der armen Seele zur Seite zu stehen und sie zu führen. Doch wussten diese hohen Geister schon im Voraus, dass es sich dadurch nicht zum Besseren wenden würde, denn die Herrschsucht kann nicht so ohne weiteres abgelegt werden. Aber man erfüllte der guten Dienerin den Wunsch, doch es geschah so, wie diese Heiligen des Himmels es vorausgesehen hatten. Diese belastete Seele konnte ihre Herrschsucht nicht lassen, sie forderte sogar von ihrer einstigen Dienerin die Herausgabe ihrer schönen Gewänder, da sie nicht gewillt sei, noch länger in ihren armseligen abgetragenen Kleidern umherzugehen. Auch verlangte sie herausgeführt zu werden aus dieser bescheidenen Umgebung der Bedrängnis. Ihre einstige Dienerin Karin musste sie darüber aufklären und ihr sagen:
"Schrittweise nur wirst du dieser beengten Welt entweichen können. Du wirst zuerst dein Denken und dein ganzes Wesen ändern müssen, ehe du aus deiner Bedrängtheit herauskommst."
Aber immer noch glaubte Doris über ihre einstige Dienerin herrschen zu können und ein Anrecht auf ihre Kleider zu haben. Die gute Seele aber willigte nicht ein und sagte:
"Die Engel Gottes haben mich damit beschenkt", und es ist mein Eigentum, ich kann dir davon nichts abgeben."
Die frühere Herrin aber wurde immer aufdringlicher und immer unzufriedener über ihr sehr verändertes Dasein, das sie zu fristen hatte. Als ihre einstige Dienerin sah, dass sie an ihr nichts auszurichten vermochte, verließ sie die Unverbesserliche. Da reichte ihre große Duldsamkeit und ihr Verständnis nicht mehr aus, und sie erkannte, was die Engel vorausgesehen hatten, dass diese Seele nur durch Schmerz und Entbehrung zu einem anderen Denken gelangen konnte. Und so ging sie zurück zu ihren erhabenen Geschwistern und erklärte ihnen:
"Mit dem besten Willen bin ich nicht fähig, sie zu führen, aber ich will von Zeit zu Zeit zu ihr gehen, sie trösten und auf den Gehorsam aufmerksam machen den sie in der himmlischen Welt zu leisten hat."
Die Engel stimmten ihr zu. Nun musste diese herrschsüchtige Seele den von ihnen vorgeschriebenen Weg der Bedrängnis antreten. Sie musste durch Leid und Schmerz gedemütigt werden, bis sie zur Einsicht gelangte. Also führte man sie in die Bedrängnis hinein, an einen Ort der Einsamkeit. Dort war sie ganz verlassen, niemand war in ihrer nächsten Umgebung. Sie ahnte nicht wo sie war und konnte es auch niemals erfahren, denn es war so dunkel dort, und sie fühlte um sich herum nur einen Abgrund. Hier sollte sie in ihrem geistigen Leibe gedemütigt werden.
Ein Engel Gottes hatte sie in diese Verlassenheit geführt und ihr noch