Renate Amelung

Falsche Annahme


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      Schon wieder, sie hasst seine rheinische Eigenart die Menschen überall und bei Jedermann beim Vornamen zu nennen sobald er per Du mit ihnen ist, so wie sie sein Frau Eden kannst du, machst du, gehst du, hasst. Rheinischer Schwachsinn an den sie sich nur schwer gewöhnt. Hier geht es nicht um persönliches, sondern um drei Kinder die ihr Leben gelassen haben. Da muss ihr jedes probate Mittel recht sein und über dem eigenen Ego stehen. “Rufen Sie die gute Dame an!”

      “Wie bitte, was meinst du Frau Eden?”, fragt Lachmann.

      “Ihre Doktor Elisa. Sagen Sie, sie soll sich beeilen, oder besser nicht.”

      “Äh...” Er lacht. “Frau Eden, Frau Eden!” Die schwarzen Türen des verhangenen Mercedes schließen. “Verzeihung, ist nicht angebracht. Doktor Emilian wird dir gefallen, Frau Eden. Aber ich kann schlecht. Ich darf daran erinnern, es ist Sonntag, und noch in aller Herrgottsfrühe, da kann ich Emilian schlecht aus dem Bett schmeißen.”

      Aha, selbstredend das Bett aus dem er kam und in das er beabsichtigt gleich wieder reinzusteigen, denkt Rebecca Eden und sagt barsch, “für mich auch!”

      “Was?”, will Lachmann wissen.

      “Sonntag! Und verdammt früh für einen dienstfreien Tag! Hören Sie, ich war von der Idee nicht sonderlich angetan, aber jetzt soll sie ihren Allerwertesten zusammenrotten und schleunigst im Präsidium erscheinen. Ich hoffe sie ist nicht zimperlich!”

      “Ach, Frau Eden, dass ich es nicht vergesse, Doktor Emilian hat alle Befugnisse und ist mir unterstellt.

      “Prima, und keine Pflichten nehme ich an.” Abrupt wendet sie sich ab und steigt in ihren Dienstwagen. Glaubt er etwa ihr macht es Spaß? Sie ärgert sich, was ist der wirkliche Grund warum man ihr eine Wanze in den Pelz setzt? Und sie stimmt leichtsinnig zu. Ihre Qualifikation kann es nicht sein, ihre Aufklärungsrate liegt über dem Durchschnitt. Nur ein einziger Fall lagert zäh auf ihrem Schreibtisch, der tote Gärtner. Gleich am Montag wird sie den Akt bei Seite schieben. Was wird ihre Tochter Gerrit sagen, wenn sie merkt, dass wieder ein Sonntag geplatzt ist? Wie hat sie sich die Arbeit mit einer Psychologin an ihrer Seite vorzustellen? Müssen die nicht selbst alle bei ihrem Kollegen auf die Couch? Hoffentlich ist es keine Klatschbase. Sie wird ihr mit dezidiertem Desinteresse begegnen oder auf bilaterale Entspannungspolitik in Nimmer Land umlenken, aber sich nie in die Karten schauen lassen. Rebecca Eden greift zum Telefon. “Eden.”

      “Hallo Robert, schön, dass du im Land bist, kannst du deine Tochter heute abholen?”

      “Sicher Rebecca. Will sie das denn?”

      “Robert...”

      “Aha, deine Arbeit, geht vor. Rebecca, komm zurück zu mir, dann brauchst du diesen blöden Job nicht machen. Ich meine 18 Jahre Ehe sind doch kein Pappenstiel...” Rebecca hält das Handy angewidert mit ausgestreckter Hand und lässt die Blubbermaschine ausklingen.

      “Wir haben da genug drüber diskutiert! Holst du Gerrit nun ab?”

      “Ja! Wir haben nicht diskutiert. Du bist sang und klanglos in diese winzige Wohnung gezogen.”

      “Verdammt Robert, wir haben wochenlang geredet, wir haben 5 Jahre gestritten, genau seit ich wieder arbeite.”

      “Du brauchst ja auch nicht arbeiten!”, mault Robert Eden.

      “Du hast dich in deiner Wortwahl vertan, ciao Robert und danke.” Mistkerl, Frauen sollen ihre Arbeitsplätze den Männern überlassen ist seine Divise und es stimmt sie heute noch übellaunig trotzdem sie seit einem Jahr von ihm geschieden ist und das Sorgerecht für die 17-jährige Tochter Gerrit hat. Rebecca geht die wenigen Schritte zum Wagen, der auf der Ernst Poensgen Allee gegenüber dem Polizeisportverein parkt. Ohne den Berufsverkehr wird sie in ein paar Minuten im Präsidium sein.

      2

      Elisa betritt den Frisiersalon als einer der letzten Kunden am Samstag. Es ist ein schwerer Gang. Sein ganzes Leben trug er das Haar lang, nun muss der Zopf ab. Für Christine wird er ihn opfern, besser für alle Christinen die er je trifft und ihn interessieren. Der Schnitt mit der Schere ist der Schnitt durch sein Leben.

      Seine glücklose Kindheit machte ihn zu dem was er ist. Ruhelos auf der Suche nach einer besseren Welt, immer mit Rat und Tat zur Seite. Der sich auf die Maxime gesetzt hat jedem Kind eine Zukunft zu geben, zurückzugeben. Im eigenen Überlebenskampf hat er gelernt zu überleben, ein feines Ohr, Gespür dafür zu entwickeln was in anderen Menschen vorgeht und so Katastrophen zu erahnen.

      Die Tür klimpert nervig in das Schloss. Binnen Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkommen und Raum zur Flucht lassen, rauscht ein Farbkasten auf zwei Beinen um den mit Duftwässerchen gefüllten Raumteiler.

      “Waschen, Föhnen, Legen?”, fragt die junge Dame.

      Sie wird wissen was zu tun ist. Er nickt ergeben. Mühelos bugsiert sie seine verstimmten 88 Kilogramm bei 1-Meter-88 auf einen der Marterstühle. Hebelt ihn unsentimental in den Abgrund. Sie fasst in seine Mähne, streift sie nach hinten, ihr Griff prüfend.

      “Ganz nett”, sagt sie, “ein schöner Fasson Schnitt, wo arbeiten Sie? Ich mein darf es etwas Modernes sein?”

      “Nein!”, sagt Elisa energisch.

      “Dann zeige ich Ihnen etwas.” Geschwind wirbelt sie mitschwingenden Hüften, unter dem kurzen Rock davon und lässt ihn allein mit seinem Spiegelbild. Sie kommt auf den Absätzen zurück geklappert. Das Musterbuch landet auf seinem Schoß. Traummänner lächeln ihn an. Nein! Nie wird er so wie diese Sonnyboys lächeln.

      “Sind Sie neu in der Gegend?”

      “Nein, ich bin der Typ den ihr nicht mögt!”

      “Der mit dem Renault.” Elisa weiß wie unbeliebt er mit dem alten, stinkenden Sportwagen ist, wenn er spät in der Nacht nach Hause fährt und sein röhrender Auspuff die Bauern in Hamm aus dem Schlaf reißt. Kappes-Hamm nicht zu verwechseln mit der Stadt in Westfalen, sondern ein Stadtteil von Düsseldorf. Eingeschlossen von der Südbrücke, die lange die südlichste Möglichkeit der Rhein-Querung nach Neuss darstellte und von der Eisenbahnbrücke im Norden. Den Westen begrenzt der Rhein mit einem Hochwasserdeich auf dem sich vier Wassersportvereine etabliert haben. Den Osten verbindet die Straßenbahn-Linie 708, mit der Endstation, wie an einem Faden mit der Stadt. Bis Ende der sechziger Jahre lebte man hier wie in einem Dorf mit Ackerbau, denn die Natur ließ einst einen Klecks fruchtbare Erde aus der Kölner Bucht hier fallen. Im innersten seines Herzens war jeder Einwohner in dieser Enklave ein Hammer und kein Düsseldorfer, selbst der Dialekt trennte die Menschen. Hier übersetzt man nicht alle Tassen im Schrank mit ‘ne Äz am rollen. Sie hießen Schmitz, Knell, Esser, Leuchten, Röckrath und, und, und es schien als bliebe es so. Bis der erste Gemüsebauer ein Mietshaus errichtete. Bald erkannten auch andere, dass Mietbücher bequemer sind als Feldarbeit und der Bau-Boom hielt Einzug in die Idylle, so blieben nur wenige Höfe erhalten.

      Warum die Friseuse wenig später ein ansehnliches Trinkgeld von Elisa bekommt wird ihr ein Rätsel sein, aber sie hofft er kommt wieder und sie steigt eines Tages mit in den blauen Zweisitzer.

      Elisa schnappt nach Luft als er wieder auf dem Bleek, dem Marktplatz der früher als Bleichplatz diente, draußen vor dem Salon steht.

      Bei leichtem Nieselregen tritt er zu Fuß den Heimweg an, biegt um die Ecke zur hohlen Gasse ‘Auf den Kampen’, erleidet knapp einen Herzstillstand der in Herzjagen umschlägt. Christine! Es kann nur Christine sein die auf den Stufen vor seiner Haustür sitzt. Er beschleunigt und stockt nach wenigen Metern. Diese blutjunge Frau kennt er nicht. Die ganze Kartei seiner Probanden geht er wie im Diavortrag durch.

      Direkt vor ihm erhebt sie sich, lächelt, schaut auf ein Foto. “Hast dich kaum verändert, Onkel Elisa.”

      “Onkel?”, fragt er verdutzt.

      “Ja, also bei der Taufe war ich etwas zu klein um mir dein Gesicht einzuprägen, bis zum zehnten Lebensjahr hast du Steiftiere