Maxi Hill

Die Nacht der Schuld


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Er glaubt, es sei ihm meisterlich gelungen.

      Leicht war das Leben mit Renée in den letzten Jahren nicht mehr — weiß Gott — und das alles hatte seine Gründe, die er, wie auch Renée, nach außen gut überspielen konnte, besonders vor ihren beiden Kindern.

      Mit den Jahren war Renée immer schlechter drauf —bisweilen sauertöpfisch. Für nicht einen seiner Scherze hat sie ein klitzekleines Verständnis aufbringen können. Kein Lachen mehr wie früher. Kein ausgelassenes Scherzen. Dabei war gerade ihr unschuldiges Lächeln einmal so anziehend gewesen, so süß und wegen der Unschuld sogar verführerisch. Langsam aber stetig hatte es eine große Wende in ihrem Wesen gegeben. Bei ihm lag die Schuld dafür nicht.

      Zuletzt führte ihr strikter Hang zur Ernsthaftigkeit dazu, dass sie sich am Abend weger der bevorzugten Fernsehprogramme trennten.

      Wie sehr er schon in der Vergangenheit denkt, fällt ihm jetzt nicht ein. Er steht vor seiner Wohnungstür und dreht den Schlüssel herum. Zaghaft. Die Tür ist nur zugezogen, nicht abgeschlossen…

      Zwei Stunden später verabschieden sich der Notarzt und die beiden Sanitäter mitsamt der Krankentrage. Zum Glück hatte er es geschafft, Renée trotz ihres Zustands von diesem Hauch aus Nichts zu befreien. Wie hätte sie in einem so aufreizenden Teil auf die jungen Männer gewirkt? Und dass es zumeist junge Männer sind, die da kommen, war ihm sofort klar, als er den Notruf wählte.

      Inzwischen ist sogar die Polizei vor Ort, um der Diagnose des skeptischen Notarztes zufolge der Ursache auf den Grund zu gehen. Er hatte das Telefonat des peniblen Notarztes schließlich mitgehört: Renée Bach, die Frau des Universitäts-Dozenten Doktor Holger Bach, ist im eigenen Bett bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden, was durch ein zweites Gutachten noch zu bestätigen sein wird.

      »Doktor Bach, Hauptkommissar Schreiner. Nun wollen wir mal Klartext reden. Was ist passiert?« Vor Holger Bach baut sich ein breitschultriger Kerl auf. Seine Hände ähneln den Pranken eines grobschlächtigen Pferdedoktors, sein helles Haar schimmert rötlich, als reflektiere es die letzten Sonnenstrahlen dieses lauen Frühlingstages. Leider kündet dieser Frühling von eisigen Zeiten im Hause Bach.

      »Was soll denn passiert sein? Man muss doch kein Polizist sein, um zu sehen, was hier passiert ist…«

      Die mephistophelische Art dieses Hauptkommissars Schreiner, der schon eine Zeit lang in seiner Wohnung herumläuft, ist für Holger Bach unwidersprochen beeindruckend, nur dieses lautlose Herumschleichen und seine fistelnde Stimme passen weder zu den Worten, noch zu dem ausladenden Körper, der das eine wie das andere ganz ohne Anstrengung zustande bringt.

      »Klartext, hatte ich gesagt. Wer wollte Ihrer Frau an die Wäsche…«

      Es ist nicht der Zeitpunkt, diesem Grobschlächtigen zu erklären, warum Renée nicht akkurat gekleidet in ihrem Bett lag. Dem Kerl hätte der Hauch von Nichts vermutlich gefallen, aber welche Schlussfolgerung hätte er gezogen? Die richtige? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

      Außerdem macht ihn der Kerl schon seit einigen Minuten wütend. Solange sich die Nothelfer noch vor Ort befanden, war Holger Bach für die beiden Schnüffler —den wortlosen wie auch den mit dem Straßenjargon — in seiner eigenen Wohnung nichts als Luft. Sie haben unter sich gemurmelt, als sei er gar nicht da. Und vorgestellt hat sich bis vor ein paar Sekunden auch noch keiner von den beiden. Manieren sind das…

      Holger Bach greift in eine Schublade, zieht etwas heraus und putzt damit seine Brille, als rühre ihn die Frage gar nicht. Dennoch bemerkt er das nervöse Zucken der Hände von Schreiner an seinem Holster, das sich unter der Jacke abzeichnet.

      »Mit einem Video von der Tatzeit kann ich leider nicht dienen. Irgend so ein Karl wird ihr wohl an die Wäsche gegangen sein… Oder glauben Sie, sie war zu alt, um begehrt zu werden…?«

      »Verständlich, dass Sie angefressen sind. Wer ich auch. Jemand bringt meine Frau fast um, da habe ich ein Recht auf …Erschütterung — sofern sie ehrlich ist…«

      Die wenigen Sätze haben Schreiner viel Kraft abgefordert. Höflicher, vor allem aber intellektueller, kann er nun mal nicht…

      »Ehrlich? Was erlauben Sie sich«, schreit Holger Bach ihn an. »Lehrt man an der Polizeischule keine Psychologie? Wenn Sie Ihr Metier nicht beherrschen, hauen Sie ab und lassen Sie mich in Ruhe!«

      »Pech gehabt. Dürfen wir gar nicht!«

      »Hauen Sie ab und kommen Sie wieder, wenn Sie die nötigen Umgangsformen gelernt haben.«

      Holger Bach erhebt sich abrupt. Woher er in dieser Minute die Kraft nimmt, erklärt er sich nicht. Was hinter seinem Rücken passiert, erkennt er nicht. Die wenigen Schritte bis zur Tür und der Wink von seinem Kollegen genügen Schreiner, um herauszuwürgen: »Sorry. Ausrutscher. Wir sind auch gestresst…«

      »Aber der Stress der Betroffenen spielt bei der Staatsmacht keine Rolle, wie ich sehen kann.«

      Schreiners Kollege Andreas Weiler kommt sanfter ins Spiel. Auch er ist Hauptkommissar und war eher zufällig in Schreiners Auto, als der Funkspruch von der Zentrale kam. Welche Strategie Schreiner verfolgt, kann auch er nur raten.

      »Hat Ihre Frau gesagt, ob sie noch Besuch erwartet?«

      »Im Negligee? Wohl eher nicht.« Das war ungeschickt, das spürt Holger Bach sofort, aber die beiden haben andere Sorgen, als Wortklauberei.

      »Wäre es nicht an der Zeit zu fragen, was ich vorgefunden habe, als ich vom Dienst gekommen bin?«

      Holger Bach lässt seinen abschätzigen Blick über die beiden Männer streichen, abwartend, unschlüssig, ob er die beiden endgültig vor die Tür setzen soll.

      »Wenn Sie schon den Ton angeben müssen. Bitte«, sagt Weiler betont ruhig. »Wann sind Sie vom Dienst gekommen?«

      »Gegen sechzehn Uhr…«

      »Genauer.«

      »Sechzehn Uhr neun oder zehn. Die Sekunden habe ich nicht gezählt.«

      »Kann jemand die Zeit bezeugen?«

      »Sie werden es nicht glauben, aber in einem so großen Haus wird man x-mal gesehen, aber niemand nimmt den anderen wahr.«

      »Dann haben Sie jetzt die Arschkarte, mein Lieber«, mischt sich Schreiner wieder ein.

      »Oder Sie. Sie können ja mal durch die Gänge schleichen und an den Türen klopfen…«

      Freilich könnte der Pförtner… Ein Gedanke schießt Holger Bach durch den Kopf. Viola Svenson. Für die Bestätigung seiner Zeitangabe wird sie zweifellos in der Lage sein.

      »Warum ist die Zeit eigentlich so wichtig?«, fragt er vorsichtshalber den sanfteren der beiden.

      »Noch haben wir keinen Tatzeitpunkt, dass wir Sie als Täter…als Verursacher ausschließen könnten.«

      »Mich… als Täter…« Holger Bachs Körper spannt sich gefährlich, doch er weiß, gegen die Staatsmacht hat er keine Chance. »Raus jetzt. Haut ab Ihr beiden. Los … raus…! Ist es so schwer, sich vorzustellen, dass ich jetzt ganz andere Sorgen habe?«

      »Wenn Sie sich stur stellen, sind wir gezwungen, Sie mitzunehmen. Angehörige sind immer zuerst zu befragen. Also? Aufs Revier?«

      Holger Bach macht eine Kehrtwendung, weg von der Tür zurück ins Zimmer. Als er sich in den Sessel fallen lässt, gelingt es ihm sogar, seine Stimme so klingen zu lassen, als sei gar nichts passiert.

      »Mir ist etwas eingefallen. Ich habe mit einer meiner Studentinnen die Universität verlassen. Viola Svenson. Sie wohnt bei ihren Eltern in diesem Block. Die Etage weiß ich nicht genau.«

      »Na, geht doch«, meldet sich Schreiner wieder, den Wink von Weiler ignorierend nutzt er die Gunst des Moments: »Und… die Kerle haben doch bestimmt auch Namen. «

      »Ich wüsste nicht welche…«, erwidert Holger Bach mit unklarem Kopfschütteln, was zumindest Bedauern ausdrücken soll.

      »Die Kerle, die Ihrer Frau