Maxi Hill

Die Nacht der Schuld


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bisher auch länger. Ich werde ihm natürlich persönlich…«

      »Bleiben Sie mal geschmeidig, Doktor. Haben Sie die Chance, dem Mann beizubringen, dass die Frau ... sagen wir, keinen Besuch mehr …Vielleicht verlegt wurde — meinetwegen zu einer Spezialbehandlung in einen Klinikbereich, der tabu ist für Nichtpatienten?«

      Haarström wundert sich vermutlich, denn er schweigt verdächtig lange.

      »Es ist wichtig für die Ermittlung. Es gibt noch viele diffuse Flecken, wenn Sie verstehen. Und jetzt ist es zumindest ein Fall mit Todesfolge. Außerdem kennen wir jetzt den Laborbefund…« Weiler hält inne. Zuviel darf er auch einem Arzt nicht verraten. Also ergänzt er: »Wir müssen ganz einfach alles Unvorstellbare ausschließen…Wenn Sie verstehen?«

      Diesmal fällt ihm der Mediziner ins Wort: »Hat der Laborbefund eine Relevanz für…« Als Weiler nicht darauf eingeht, was nicht ungewöhnlich ist bei gewissen Delikten, gibt der Arzt undeutliche Töne von sich, bis er fortfährt: »Die Sache mit der Verlegung wird schwer. Das Personal … Sie verstehen? Ich muss mir erst etwas überlegen…«

      »Ich muss wissen, was genau … und das so bald wie möglich. Ein Widerspruch zwischen Krankenhaus und Polizei wäre für die Wahrheitsfindung tödlich.«

      Wieder undeutliche Töne am anderen Ende, dann schließt der Arzt ab: »Sie hören von mir. «

      Noch ehe Weiler den Hörer auflegt, tritt Karl Schreiner ins Zimmer. Offenbar hat er alles mitgehört. Sein grinsendes Gesicht verrät ihn mal wieder.

      »Ich glaube, ich kann mich an die Frau von dem Bach erinnern.«

      Weilers Züge verheddern sich zwischen Geringschätzigkeit und Überlegenheit: »Na, solange ist es ja noch nicht her…«

      »Ich meine von früher. Verschwommen zwar, aber ich komme noch dahinter, ob sie es war.«

      »Geht das auch genauer?«

      »Geht schon, hoffe ich zumindest. Aber nicht jetzt — noch nicht. Ich muss da erst etwas recherchieren.«

      »Dann mach mal Dampf. Die Frau ist nämlich verstorben. Aber das bleibt noch geheim, bis wir Klarheit haben. Verstanden?«

      Ziemlich rasch findet Schreiner aus seiner Verblüffung: »Glaubst du, dass dieser Doktor seine Frau getötet hat?« So wie er stutzt, hat er weder etwas gehört noch passt es zu seiner Vermutung, welche auch immer es ist. Weiler hebt die Schultern und reibt verzweifelt seinen Oberschenkel, ehe er sich resigniert auf den Stuhl fallen lässt. Resigniert wegen seines Beines, was sonst. Jetzt wird dieser Fall ja endlich einer, warum sollte er jetzt noch resignieren.

      »Solange wir keine eindeutigen Beweise haben«, sagt er zu Schreiner. »Genau genommen haben wir gar keinen Anhaltspunkt für Fremdverschulden. Nur die Logik sagt, sie kann sich ja nicht selbst…«

      Er wiederholt sich. Das ist ein deutliches Indiz für zu geringe Anhaltspunkte.

      »Kann einem leidtun, der Kerl. Wenn man eine so gefährlich attraktive Frau hat…oioioi. «

      Das ist eine der Situationen, wo man einen Kollegen in die Schranken weisen kann, und Weiler nutzt sie: »Jeder Chef erwartet von seinen Mitarbeitern, dass sie mit den Opfern fühlen, Hauptkommissar Schreiner«, blufft Weiler, dreht sich demonstrativ zum Fenster und schaut herüber auf den langgestreckten Block, der beinahe die Farben spiegelt, in dem die Architekten auch den Komplex gehalten haben, in dem sein Revier untergebracht ist. Seit einiger Zeit sammelt sich vor den vielen Eingängen da drüben allerlei Unrat an. Er weiß nicht, ob das Zeug aus den Studentenwohnungen stammt, die die Stadt recht preiswert vermietet. Oder ob die Asylbewerber nicht mit den Almosen der Deutschen leben möchten und ihre Wohnungen leer räumen, um sie —als wäre Goldstaub vom Himmel gefallen — plötzlich auf eigene Kosten einzurichten.

      Er musste sich für diesen Moment von Schreiner wegdrehen. Seine Lippen hätten die kleine Schadenfreude verraten, die er, seit er in diesem Fall bevorzugt wurde, gegen seinen poltrigen Partner hegt.

      In diese diffuse Situation hinein antwortet er ernsthaft auf Schreiners unbeantwortete Frage: »Na ja, ob er sie nun umgebracht hat oder nicht, wir sind am Zuge, seine Schuld zu beweisen. Und dazu fehlt mir so gut wie jede Handhabe. Als der Bach das Haus verlassen hat, war seine Frau noch am Leben, wie er versichert. Wann also ist sie so zugerichtet worden?«

      »Ich habe da so meine Beobachtung. Es wird nicht lange dauern. Nur ein Gespräch mit meiner Frau…«

      »Im Moment sind wir auf das angewiesen, was möglich erscheint. Und das ist mit Sicherheit der Ehemann. Wer sonst sollte am frühen Morgen…«

      »Na ja«, gibt sich Schreiner geschlagen. Vermutlich aber will er nur seinen Wissensvorteil ausschöpfen, ohne Weiler schon einzuweihen. »Vielleicht hatte der Doktor auch eine längere Pause.«

      Auf eine solche Bemerkung hat Weiler spekuliert.

      »Nicht dumm. Dann musst du schnellstens zu seiner Fakultät. Und frag die Leute ein bisschen über alles aus, was den Mann betrifft. Skandale inbegriffen.«

      Dem Schreiner steht unübersehbar sekundenschnell in tief gemeißelten Buchstaben deutlicher Groll ins Gesicht geschrieben. Er hasst diese Herren Professoren, die mit seinem Jargon nicht klarkommen. Weiler spürt, am liebsten würde Schreiner es ihm an den Kopf werfen, aber da hätte er auf einmal seinen 'geborenen' Disputanten vor sich. So viel Logik hat auch Schreiner in seinem Kopf, der etwas rauer, etwas rustikaler geartet ist als der von Weiler.

      Schreiner würde schwören, sein Gesicht ist völlig ausdruckslos, aber leider kann er sein Spiel nicht mit dem scharfsinnigen Weiler spielen. Der nutzt die Chance und tippt auf seine Uhr: »In fünf Minuten kannst du dort sein. In einer halben Stunde machen die Sekretariate dicht.« Die Order kommt schärfer heraus als beabsichtigt. Schreiner dreht sich auf den Hacken um. Gegen die Tür wettert er: »Auch bei aufgestocktem Salär kann man Mensch bleiben. Falls ich das bei einem Vorgesetzten mal erlebe, darauf besaufe ich mich bis zur Ohnmacht.« Der letzte Teil von Schreiners Worten verliert sich schon im Gang, wo sie die nette Kollegin Sauer einigermaßen verwundern.

      Armer Schreiner, denkt Weiler hinter der massakrierten Tür. Irgendwie hat er Recht. Weil der kleine Andreas Weiler es bald bis nach ganz oben schaffen wird, wenn er zur rechten Zeit genügend Dampf ablässt, ist jetzt der kleine Andreas Weiler auch in der Lage, alles, was bei den Ermittlungen schief läuft, auf diesem Scheißtypen Schreiner zu schieben, der keine Ideen hat, wohin der Teufel geschissen haben könnte. Und dieser Teufel kann ebenso Doktor Bach sein, wie jeder verdammte Kerl in dieser Stadt, mit denen der Gehörnte nicht aufwarten will. Noch nicht. Bis der kleine Andreas Weiler ihn in die Mangel nehmen wird. Ich sage ja nicht umsonst: Ein Wunder bleibt bei jedem Fall.

      MITTWOCH — 22. MAI

      Zum ersten Mal seit diesem vermaledeiten Freitag spürt Holger Bach wieder Kraft in seinen Muskeln.

      Es hat ihn nicht verwundert, dass er so gar keine Energie aufbringen konnte. Woher diese Kraft jetzt kommt, ist ihm schleierhaft. Freilich war sie stets vorhanden, hatte sich nur in der wirren Unsicherheit der letzten Tage verheddert. Kein Mensch würde verstehen, wenn er laut darüber spräche. Jetzt, wo er nicht mehr stundenlang an Renées Bett verbringen darf, kehrt unvermutet das Gefühl von Leben in ihn zurück. Leben!

      Seit seiner Jugend war er süchtig nach Leben. Zu Renées Leidwesen lehnte er alles ab, was das Gemüt herunterziehen konnte. Keine Dramen. Keine Krimis. Keine trüben Gedanken — nicht einmal vorsorglich an den eigenen Tod. Er dünkt sich als Frohnatur, wie er auch von vielen Menschen gesehen wird. Eigens seine Frau kam damit nicht gut zurecht. Am Anfang ihrer Liebe war er noch ihr Traummann, ihr Fels in der Brandung, ihr Juwel im Geschmeide des Lebens.

      Wann hatte das ein Ende? Nach seiner Ansicht ist sie schuld daran, dass alles so gekommen ist. Die gute Zeit mit Renée verlor sich irgendwann im Nebel, die schwierige Zeit wurde bald allgegenwärtig. Warum waren sie beide nicht bereit, etwas daran zu ändern? Er war ein gebranntes Kind, diesbezüglich musste er sogar Renée Recht geben. Als kaum Zehnjähriger