S.C. Keidner

Unvergängliches Blut - Sammelband


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Wenn ich nach ihm frage, schüttelt sie den Kopf und wendet sich ab. Ich bin überrascht, dass sie mir überhaupt einmal gesagt hat, dass er Soldat war. Sie will ihr Andenken an ihn mit sich selbst ausmachen.«

      »Hm«, machte Gregorius. »Möglich, dass er in den Vampirkriegen ums Leben gekommen ist. Da sind viele schlimme Dinge passiert. Vielleicht erinnert sie sich daran, wenn sie an ihn denkt.«

      Gregorius und sie hatten keine Erinnerung an die Kriege, waren sie doch erst zwei Winter alt gewesen, als die Vampirstämme aus dem Qanicengebirge mordend und brandschatzend über das Niemandsland zwischen Grasländern und Bergen hergefallen waren. Es gab viele Geschichten über die Kriege und jede einzelne erzählte von Tod, Schändung, Versklavung, und sich an den Hälsen von Männern, Frauen und Kindern nährenden Vampiren, Schauergestalten mit übermenschlichen Kräften und ohne Mitgefühl oder Gewissen. Die Menschen hatten versucht, sich zu verteidigen, doch den übermächtigen Stämmen konnte niemand etwas entgegensetzen. Einzig die Sonne wies diese Wesen in ihre Schranken, machte sie abhängig von Unterschlüpfen und dem Dunkel der Nacht, was sie schließlich, nachdem kaum noch Menschen im Niemandsland zu finden gewesen waren, ins Gebirge zurückgetrieben hatte.

      »Nein, mein Vater ist noch vor meiner Geburt gestorben. Aber es wäre schön, mehr über ihn zu wissen.«

      »Vielleicht war er ein Prinz aus den Städten.« Gregorius grinste wieder breit.

      Taran lachte. »Ich glaube nicht, dass sie in den Städten Prinzen haben. Eher reiche Kaufleute.«

      »Dann eben der Sohn eines reichen Kaufmanns, der das Abenteuer gesucht hat. Das solltest du Cailina an den Kopf werfen, wenn sie dich das nächste Mal als Wechselbalg beschimpft. Ihre Familie hütet nur das Vieh.«

      Er deutete mit dem Kopf zu den Hirten, Cailinas Vater und Brüdern. Einer der Jungen war auf eines der Pferde, einen Braunen, gesprungen und galoppierte laut juchzend in die Ebene hinaus. Sein Vater brüllte etwas hinter ihm her.

      »Das sollte ich in der Tat. Wobei ich das Gefühl habe, dass sie dann noch unverschämter werden wird.« Taran und Cailina waren von Kindesbeinen an Feindinnen gewesen. Dass sie in einer Liebesbeziehung mit Gregorius steckte, half da nicht. Cailina hatte schon lange ein Auge auf ihn geworfen und war entsetzt gewesen, als Gregorius ihr erklärte, er sei in Taran verliebt.

      »Wahrscheinlich.« Gregorius zuckte mit den Schultern. »Sie ist eben einfach giftig.«

      Taran beobachtete den Jungen, der das Pferd in einem großen Bogen zurück zur Herde lenkte. Wie schön wäre es, einfach eines dieser Pferde zu nehmen und durch die Weiten der Grasländer in die Städte zu reiten! Das mühselige, gefahrvolle Leben der Siedler hinter sich zu lassen! Es musste ein sonderbares Gefühl sein, mit vielen hunderten oder gar tausenden Menschen zu leben. Anders als mit den paar Dutzend Siedlern, mit denen Mutter und sie seit vielen Wintern durch das Niemandsland zogen. Die Menschen in den Städten gingen Vergnügungen nach. Sie musizierten. Sie tanzten. Im Gegensatz zum Niemandsland, wo man in ständiger Angst vor den Wajaren lebte, die die Vampirstämme des Gebirges mit Blutsklaven versorgten. Das Gebirge, das sie würde sehen können, falls sie es schaffte, auf die steilen Felsklippen hinter den Hütten zu klettern. Doch wie jeder Siedler vermied sie, soweit es ging, den Blick gen Osten. Dorthin zu sehen bedeutete, dass man die Aufmerksamkeit der Gebirgsbewohner auf sich ziehen würde. Vielleicht war es nur Aberglaube, doch es gab keinen Grund, es herauszufordern.

      »Du denkst wieder daran«, sagte Gregorius und verdrehte die Augen.

      »Woran?«

      »Das ist dein ›Ich-will-in-den-Städten-leben‹-Blick.«

      »Was ist daran so schlimm?«, verteidigte sie sich. »Das Leben in den Städten ist einfacher. Und ungefährlich. Es gibt keine Vampire.«

      »Solange nicht, bis die Blutsauger Wege ersonnen haben, um die Grasländer zu queren.«

      »Gregorius, bitte! Wie sollen Vampire da draußen der Sonne entgehen? In den Grasländern gibt es keine Höhlen, wo sie tagsüber unterkriechen können.«

      »Keine Ahnung. Zelte?«

      Taran schnaubte. »Zelte! Das Sonnenlicht dringt durch Stoffe und Leder! Die Vampire brauchen Höhlen, um ‒.« Da sah sie das Funkeln in seinen Augen. »Du ziehst mich auf!«, beschwerte sie sich und stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.

      Er lachte, griff nach ihr und küsste sie. Einer der Viehhirten pfiff und Gregorius ließ sie los. »Wenn wir so weitermachen, sitzen wir noch heute Nacht hier«, sagte er seufzend.

      Taran kicherte, beugte sich vor und küsste ihn. »Heute Nacht gibt es hier nur uns und die Sterne«, flüsterte sie.

      Seine Augen wurden dunkel. Auch er dachte an die Nächte, in denen sie sich aus der Siedlung geschlichen hatten, das Geräusch ihrer verstohlenen Schritte maskiert vom Wind. Das Rauschen der Blätter über ihnen, als sie sich im Schutz der tief herunterhängenden Äste einer Trauerweide liebten. Der Ruf eines Wolfs draußen in der Steppe, der sie vergessen ließ, dass ihre Familien nicht weit entfernt von ihnen schliefen. »Wir müssen weitermachen!«, sagte er streng. »Und erinnere mich nicht daran, sonst werden wir nie fertig!«

      Sie schafften es trotz aller Ablenkungen, die Reparatur der Matten bis zum späten Nachmittag zu beenden. Mit Hilfe eines Pferdes brachten sie sie den Waldpfad hinauf in die Siedlung und legten sie vor die Hütten, wo sie sie am Morgen abgeholt hatten.

      Mit einem unauffälligen Blick, um sicherzustellen, dass niemand sie sah, küsste Gregorius sie zum Abschied und verschwand pfeifend in Richtung der Hütte, die er mit seinen Eltern und Brüdern teilte.

      Taran ging indessen zu der Kate, die sie mit Rodica bewohnte. Sie stand versteckt am Rande der Siedlung, zwischen knorrigen Eichen, hinter denen die steilen Felsen in den sommerlich blauen Himmel ragten. Als sie den Fellvorhang am Eingang hochband, war sie überrascht, ihre Mutter zu sehen, die an der Feuerstelle einen Kessel mit kochendem Wasser bewachte.

      Um das Feuer stapelten sich Töpfe und Schalen, daneben lagerten die Vorräte in einer Truhe mit Eisenbeschlägen. Der Rauch des Feuers zog durch ein Loch im Dach ab. Im hinteren Teil der Hütte lagen ihre Strohsäcke, Felle und Decken, im vorderen Teil gab es zwei Stühle und einen schmalen Tisch aus Holz und Schilfgeflecht. An die Holzgitter, die die Schilfmatten hielten, hatten sie ihre Kleidung gehängt, einfache Kleider und Kittel aus ungefärbter Schafwolle. Im Winter wurden mehrere Lagen an Fellen von innen an den Holzgittern angebracht, um die bittere Kälte fernzuhalten. Im Sommer reichten die Matten, um sie vor Sonne und Regen zu schützen.

      »Du bist schon von den Feldern zurück?«

      Rodica nickte müde. »Olwenus ist wieder da. Aldo hat für nachher eine Zusammenkunft einberufen und uns früher zurückgeschickt. Ich will die Zeit nutzen, um die Wäsche zu machen.« Olwenus, der Fährtensucher, half den Männern, bei der Jagd das Wild aufzuspüren. Außerdem unternahmen er und seine Söhne regelmäßige Streifzüge durch das Niemandsland, um nach Spuren der Wajaren Ausschau zu halten. Es war gefährlich, aber notwendig, um die Siedlung zu schützen.

      Besorgt musterte sie ihre Mutter, die etwas von der Seife aus miteinander verkochtem Öl und Lauge in das brodelnde Wasser gab. Wie an jedem von Tarans Jahrestagen sah Rodica traurig aus. Ihre Augen waren gerötet. »Geht es dir gut?«, fragte sie leise, obwohl sie wusste, wie die Antwort lauten würde.

      »Natürlich«, sagte Rodica prompt und richtete sich auf. »Ich bin nur ein wenig müde von der Arbeit und dem Staub auf den Feldern. Komm, jetzt hilf mir mit der Wäsche.«

      Taran seufzte resigniert und begann, die Wäsche zu sortieren, die ihre Mutter in den Kessel legte und mit einem Stock umrührte. Sie arbeiteten schweigend, Rodica gedankenversunken, Taran durch den offenen Eingang das Treiben in der Siedlung beobachtend.

      Viel passierte nicht. Bis auf ein paar spielende Kinder waren die Siedler vor der Sonne nach drinnen geflüchtet, was keine Wohltat bedeutete. Die Hütten hatten sich in diesen letzten Tagen des Sommers aufgeheizt, doch niemand beschwerte sich darüber. Der Sommer mit den kurzen hellen Nächten und der Winter mit seinen Schneemassen waren die sichersten Zeiten des Jahres. Die Wajaren bevorzugten lange