Mira Beller

UNARTIG


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darüber. Der berühmte Seerosenteich mit seinen herrlich pastelligen Farben. Die lavendelfarbigen und samtigen Vorhänge. Alles hat sich verändert. Es war nur wieder einmal ein böser Traum. Und nun ist sie wieder zurück.

      Doch die Erleichterung mag sich nicht einstellen. Ein besorgniserregender Gedanke keimt in ihr auf. Was, wenn es einmal Realität war? Wenn ein Funken Wahrheit darin liegt? Schnell verwirft sie diesen Gedanken wieder. ‚So ein Unsinn‘, denkt sie sich. Dies muss eine ganz logische Ursache haben. Wahrscheinlich bekommt sie ihre Tage und ihr Körper muss mit einem Hormonchaos zurechtkommen. Vielleicht sollte sie wieder ihren Frauenarzt aufsuchen und sich gründlich durchchecken lassen.

      Oder die seltsamen Schmerzen in der Intimregion rühren von der Pille, welche sie aktuell einnimmt. Aber vielleicht sind es auch Chlamydien. Über diese hat sie einmal in einer Frauenzeitschrift gelesen. Diese liegen im Durchschnitt bei etwa 10 % der Bevölkerung vor und werden durch häufigen Sexualkontakt mit wechselnden Partnern übertragen.

      Sie ist zwar bereits seit zwei Jahren mit Paolo zusammen, vor ihrer Beziehung war sie jedoch häufig mit einigen Typen aus Bars oder auch mit welchen vom Sender im Bett. Eventuell hat sie sich dadurch angesteckt? Doch dagegen spricht, dass die Schmerzen eigentlich nur im Traum und einige Zeit nach dem Aufwachen zu verspüren sind. Aber sind Menschen nicht unterschiedlich? Vor allem in ihren Empfindungen?

      Sie wird es einfach abklären lassen, dann weiß sie Bescheid. Bestimmt ist es etwas ganz Harmloses. Und Alpträume können von so vielen Situationen hervorgerufen worden sein. Von einem Film zum Beispiel, welchen sie einmal gesehen hat und ihr Gehirn sich plötzlich daran erinnert. Auf jeden Fall ist dies kein Grund zur Sorge, nur weil sie in letzter Zeit öfters Alpträume hat. Es ist alles in Ordnung. Die intensive Grübelei hat vorerst ein jähes Ende, als sie nach wenigen Minuten wieder einschläft und erst am nächsten Morgen wieder erwacht.

      3.

      Ist es Karma, Schicksal oder unendliches Glück? Das ist die große Frage, wenn wir auf den einen Menschen treffen, mit dem wir uns von Beginn an verbunden fühlen. Wir haben das Gefühl, dass wir uns auf dem richtigen Weg. befinden.

      Eine buddhistische wie auch eine asiatische Weisheit lehren uns: ‚Großes Verstehen kommt mit großer Liebe.‘ und ‚Die Liebe ist ein scheuer Vogel, der den Schlüssel deines Gefängnisses um seinen Hals trägt.‘ Liebende verstehen, Liebende unterstützen sich und vor allem, Liebende verhelfen sich gegenseitig auf dem Weg zur Freiheit.

      So empfinden es auch Laure und Paolo, als sie sich das erste Mal begegnen.

      4.

      Sanftmütige mandelbraune Augen und stets ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Fast schelmenhaft und dennoch unglaublich liebenswürdig und vertrauenerweckend. Als Laure Paolo zum ersten Mal erblickt hat, ist es sofort um sie geschehen. Ihre Augen führen einen regen Wettkampf aus, stetig zwischen den faszinierenden Augen und den lächelnden geschwungenen Lippen hin und her wechselnd. Doch eine alte Macht der Gewohnheit sagt ihr, dass sie sich nicht zu leicht davon beeindrucken lassen sollte. Vertraue keinem Fremden. Bloß keine Emotionen zulassen. Erst einmal muss dieser Mann aus der Ferne beobachtet werden. Ein solch gutaussehender Typ kann doch nur ein arrogantes hinterhältiges und Frauen verachtendes Arschloch sein. Die Gespräche mit ihm wären bestimmt von selbstgefälligen Monologen und Bekundungen gekennzeichnet. Letztendlich würde er sie nur ins Bett kriegen wollen und wäre am nächsten Morgen wieder verschwunden. Wenn sie überhaupt gut genug für ihn war. Ein solcher Mann gibt sich nicht mit normal aussehenden Frauen zufrieden. Für ihn müssen es schon Topmodels mit Size Zero sein, die zwar nicht viel im Kopf haben, aber leicht zu vögeln sind.

      Trotz dieser Gedanken kann sie den Blick nicht von ihm lassen. Sie sollte ihn nicht nur aufgrund seines äußeren Erscheinens von vornherein abstempeln. Wenn sie ihn genauer beobachtet, liegt in seinem verschmitzten Lächeln nicht nur ein pikaresker Ausdruck, sondern auch pure Lebensfreude, wahre und offene Sympathie gegenüber seinen Gesprächspartnern. Es wird ihr nun ganz warm ums Herz und sie merkt, dass sie selbst zu lächeln beginnt. Sollte sie ihn ansprechen? Aber was sollte sie ihm bloß sagen? Sollte nicht der Mann den ersten Schritt machen? Und würde er sie überhaupt wahrnehmen neben all den wunderschönen Frauen, welche heute anwesend sind?

      Plötzlich bemerkt sie, wie er sie ebenso anstarrt. Ob er sich wohl wirklich für sie interessiert?

      5.

      „Schon wieder überall diese Snobs und Angeber. Wie heißt denn noch gleich dieser schnörkellose Moderator von der Samstagabend-Sendung? Der Typ geht mir sowas von auf den Zeiger mit seinem hirnrissigen Gequatsche!“

      „Hey komm schon! Der Kerl ist zwar wirklich bescheuert, aber immerhin macht er seinen Job gut. Kai Homann heißt er. Ich stand mal hinter der Kamera für ihn, als er noch die Theatersendung moderierte. Die war gar nicht so übel, immerhin ging es dort wenigstens um kultivierte Inhalte. War wirklich sehr spannend ihm zuzuhören. Außerdem war immer alles ziemlich schnell im Kasten, da er sehr natürlich agierte und den Producer immer zufrieden gestellt hat. Ich kann mich nicht an einen einzigen Set-Tag erinnern, an welchem er es verpatzt hätte. Er ist wirklich gut, da ist ein bisschen Arroganz nicht unüblich. Aber du hast Recht, jetzt ist er wirklich ein Arsch. Das war nicht immer so. Früher konnte man mit ihm bei einem kühlen Bier nach Drehschluss echt gut über Gott und die Welt philosophieren. Tja, aber die Zeiten sind wohl vorbei, seit er die neue Sendung moderiert.“

      „Wow, ihr wart wohl best friends oder wie? Oder bist du vielleicht doch schwul? Paolo der Poporitter!“ Schallendes Gelächter folgt und Paolo winkt mit einer Hand ab, lächelt wie ein Schelm und nimmt dafür einen großen Schluck von seinem Bier.

      Paolo sieht darüber hinweg, denn er weiß es selbst besser, dass er ein ganzer Kerl ist. Auch wenn er oft sensibler und einfühlsamer als andere Männer mit seiner Umwelt umgeht.

      Heute ist der große Abend des Senders. Sein Kamerakollege Mario und er stehen in der Nähe der Bar und beobachten die umstehenden und vorbeigehenden Mitarbeiter und geladenen Gäste der Party im Münchner Olympiapark. Anlass der Feier ist die Erhöhung der Einschaltquote um 1,00 % auf 3,00 % gegenüber dem Vorjahr. Nun hatten sie den Durchbruch zu einem qualitativen und angesagten Kultursender im bunten Fernsehland Deutschlands geschafft. Sogar der größte Konkurrent Arte sieht in dem neuen Sender eine potentielle Bedrohung. Mit urigem Münchner Charme und anspruchsvollen Sendungen, hochwertigen Dokumentationen und Spielfilmen macht der Sender auch den großen öffentlich-rechtlichen Anstalten bereits zu schaffen, obwohl diese mit öffentlichen Geldern und Förderungen unterstützt werden.

      Der Privatfernsehsektor ist dagegen eine ganz andere Liga. Vor allem, da der deutsche Fernsehmarkt stark durchmischt ist. Zahlreiche Spartensender, die zwar Inhaltsvielfalt propagieren, aber dennoch alle dasselbe senden. Und kein Konzept kann den beiden Privatkonzernen – der ProSiebenSat.1- und der RTL-Mediengruppe - das Wasser reichen. Bis auf Kult TV. Was einst als idealistisches Konzept von einem ehemaligen Theaterregisseur, einem Producer und einer Journalistin begann, ist heute nun Wirklichkeit: dem Publikum anspruchsvolle und dennoch leicht verständliche Kultur im südlichen Raum Deutschlands – vorwiegend natürlich in München und der alpinen Region – zu präsentieren. Anspruchsvoll heißt hierbei nicht nur über Theaterstücke, Orchesterauftritte, Filmfestivals, usw. zu senden, sondern auch die Kultur und Lebensart von Jugendlichen, Frauenvereinen, privaten Künstlertreffs und vielen weiteren versammelten kulturinteressierten Menschen zu dokumentieren und darüber zu berichten. Die Freude an der Kulturausübung in der Gemeinschaft steht hier im Vordergrund. Genauso nah und authentisch wie das Bundesland Bayern.

      Von ehemals zehn Mitarbeitern wuchs das Unternehmen innerhalb zehn Jahren stark an. Nun gibt es über 200 Redakteure, Moderatoren, Producer, Cutter, Tontechniker, Buchhaltungskräfte, … und eben auch Kameramänner wie Paolo und sein Kollege und Kumpel Mario.

      Paolo erinnert sich noch heute an seinen ersten Tag beim Sender. Er war vorfreudig und neugierig auf die Arbeit hinter der Kamera. Welche Einstellung wäre die richtige für eine Anmoderation, welchen Blickwinkel wählt man bei einer Dokumentation und wann konnte er eine Kamerafahrt einsetzen?

      Es bildeten sich schon vorab erste Szenarios in seinem Geist, bevor er mit der Arbeit begann. Um dann nach kürzester